Wie gebannt starren die Forscher durchs Teleskop, um die heftigen Kämpfe der verfeindeten Armeen zu verfolgen. Der Mond - ein Schlachtfeld? Nun schiebt sich gar ein riesenhaftes Wesen ins Blickfeld - ein Elefant greift ein! Aber woher nur kommt dieses Rumpeln im Teleskop? Als der Gehilfe das Fernrohr öffnet, surren Fliegen heraus und eine Maus trippelt hinterher. Die Tierchen hatten sich zwischen Betrachter und Himmelskörper geschoben.
High Moon
Die Satire The Elephant in the Moon, die Samuel Butler um 1666 veröffentlichte, beschreibt eine Sitzung, wie sie an der kurze Zeit zuvor gegründeten Royal Society in London stattgefunden haben könnte. Die Fellows glauben dank des Fernrohrs neue Wirklichkeiten in den Blick zu bekommen. Sie bedürfen des einfachen, nicht verblendeten Gehilfen, um zu erkennen, dass sie nicht das sehen, was sie zu sehen glauben. Das Erkenntnisversprechen des neuen Instruments entpuppt sich als trügerisch, die Wissenschaftler erscheinen als aufgeblasene Ignoranten. Als Galileo Galilei 1610 behauptete, vier Monde des Jupiters entdeckt zu haben, meldeten seine Widersacher Zweifel an der Verlässlichkeit des gerade erst erfundenen Fernrohrs an. Wer weiß, was man da wirklich sieht, wenn man durch geschliffene Linsen blickt?
Von einfachem "Sehen" kann angesichts der Refraktionen und der vom Fernrohr bedingten farblichen Abweichungen tatsächlich nicht gesprochen werden. Um sich durchzusetzen, müssen Instrumente eine Phase der "Stabilisierung" durchlaufen, die mit ihrer Hilfe gewonnenen Ergebnisse müssen reproduziert und von anderen Forschern akzeptiert werden. Um seine Sichtweise der Gestirne zu verbreiten, verschickte Galilei nicht nur seine Abhandlung an einflussreiche Astronomen und Gönner in ganz Europa, sondern legte ihnen gleich auch seine Teleskope bei.
Galileis Fernrohr erinnert uns daran, dass die Bildversessenheit der heutigen Wissenschaft nicht historisch beispiellos ist. Die Wissenschaft der Neuzeit war nie bildlos, ihre Erfolgsgeschichte ist auch eine Geschichte ihrer Visualisierungstechniken: Dazu zählen neben Teleskop, Mikroskop, Camera obscura und Fotografie auch entsprechende Arrangements in naturhistorischen Sammlungen, in denen Objekte systematisch geordnet und "zusammengeschaut" werden konnten. Die Erkenntnisproduktion äußerte sich oft in grafischer Form: als Weltkarten, Konstruktionszeichnungen von Dampfmaschinen, Mortalitätsstatistiken, Fieberkurven und Darwinschen Stammbäumen des Evolutionsverlaufs.
Präsentation
Wer in der Lage ist, Dinge sichtbar zu machen, erhöht seine Chance, die Fachkollegen auf seine Seite zu bringen. Mitunter genügt ein suggestives Modell. Alfred Wegeners Theorie der Kontinentalverschiebung überzeugte nicht zuletzt deshalb, weil die Küste Westafrikas und der Osten Südamerikas so gut ineinander passen.
Die Bilder sind nicht nur ein wichtiger Teil, sondern auch Ergebnis des Erkenntnisprozesses, doch es braucht auch den Mut, sie zu interpretieren. Rosalind Franklins röntgenkristallographische Molekülaufnahmen darf man mit Fug und Recht als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Fotografien des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Sie bildeten die Grundlage für die Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNA durch James Watson und Francis Crick, die weltberühmt wurden, während Franklins Vorarbeit in Vergessenheit geriet.
Die Komplexität der bildgebenden Verfahren wuchs beständig - und damit auch der Abstand zwischen dem Objekt und seinem Bild. Was Charles Wilson 1911 in einer Nebelkammer erstmals abfotografierte, waren lediglich die Kondensationsspuren, die atomare Teilchen bei ihrem Weg durch den Wasserdampf hinterließen. Die Technik wurde weiterentwickelt zur Blasenkammer, wo Aufnahmen von allen Seiten und mit extrem kurzer Belichtungszeit möglich waren. Die Teilchenphysik musste Tausende von Fotos auswerten, um die charakteristischen Bewegungsmuster der elektrisch geladenen Teilchen in dem Magnetfeld zu rekonstruieren. Während die Beobachtungen immer flüchtiger wurden, wagten einige Theoretiker umso mehr Deutlichkeit. Niels Bohr ließ sich von den Planetenumlaufbahnen zu einem farbigen(!) Modell des Wasserstoffatoms inspirieren, das, allen Einwänden seines Freundes Werner Heisenberg zum Trotz, ein voller Erfolg wurde.
Sowohl quantitativ als auch qualitativ haben die Bilder in den Naturwissenschaften freilich sehr wohl um sich gegriffen. Die Vergangenheit sieht buchstäblich alt und vor allem grau aus. Analoge Aufschreibesysteme wie Kurvenschreiber und Fotografie wurden durch digitale Systeme abgelöst. Verschiedene Bildtechniken lassen sich heute im Computer miteinander kombinieren. In fast allen naturwissenschaftlichen Disziplinen spielt die zur Verfügung stehende Bildsoftware im Forscheralltag längst eine zentrale Rolle. Nicht nur bei der Datenerhebung, sondern auch bei der Fachkommunikation haben die Bilder das Sagen.
"Wenn man heute einen Vortrag hält oder einen Artikel bei einer Zeitschrift einreicht, wird eine gewisse Professionalität in der visuellen Präsentation der Daten erwartet", sagt die Wiener Zellbiologin Elisabeth Waigmann. "Jede Tabelle wird mit Excel gemacht. Seit es Powerpoint gibt, entwickelt kein Mensch mehr Dias. Jeder Forscher muss heute auch ein Layouter sein." Das wirkt sich auch auf die entsprechende Ausstattung der Labors aus, berichtet Waigmann: "Vor sechs Jahren haben wir uns hier im Biocenter dafür entschieden, auf unseren Fotografen zu verzichten und stattdessen einen Spezialdrucker angeschafft. Die Bilder werden jetzt im Computer generiert und dann mit sehr hoher Auflösung auf Spezialpapier ausgedruckt."
Bilder unter Verdacht
Was wohl der Satiriker Samuel Butler zur Bilderflut des 21. Jahrhunderts sagen würde? Die Ansprüche der neuen Visualisierungstechniken sind ja nicht gerade bescheiden. Das Hubble-Teleskop bringt mit seinen Aufnahmen Licht in die dunkle Frühgeschichte des Universums. Die Mediziner schneiden schon heute die Körper ihrer Patienten mit den verschiedensten Schichtbildverfahren von MRI (Magnetic Resonance Imaging oder Kernspintomographie) bis PET (Positronen-Emissions-Tomographie) in hauchdünne virtuelle Scheibchen, um die Aktivität des Gehirns sichtbar zu machen oder Tumore zu lokalisieren. Sie träumen von einer Endoskopie, die den menschlichen Körper öffnet, ohne auch nur an der Haut zu ritzen. Besonders futuristisch wirken die Abbildungen, mit denen die Nanowissenschaften ihre Versprechungen in Szene setzen. Kleinste Roboter, so genannte Nanoläuse, heften sich hier an rote Blutkörperchen, um ihnen Wirkstoffe zu injizieren.
Aufwändig inszenierte und häufig nach Science-Fiction ausschauende Abbildungen finden sich mittlerweile nicht mehr nur in populären Medien, sondern auch in Fachzeitschriften wie Nature und Science. Aus Sorge über die Verführungskraft der Bilder wird in letzter Zeit der Ruf nach verbindlichen Regeln für deren Gestaltung laut. Wie viel darf man an den Graustufen spielen, um die Kontraste zu erhöhen? Ist es wirklich notwendig, dass Atome Schatten werfen? Die Berliner Kunsthistorikerin Gabriele Werner verweist darauf, dass diese Bilder oft reine Illustrationen oder Fantasiegebilde sind: "Ihr Informationswert geht gegen null, aber sie haben eine enorme Wirkung, um die Technik stark zu machen."
Visuelle Modelle
Im Sog der bunten Bilder kommt die Reflexion über deren Zustandekommen zu kurz, findet auch der Medizinhistoriker Cornelius Borck von der Universität Weimar: "Die Rohdaten eines Experiments sind nicht nur unanschaulich, sondern aufgrund ihrer schieren Fülle auch schlicht nicht zu handhaben. Da diese Rohdaten aber bereits digitalisiert vorliegen, sind sie auch in besonderer Weise formbar." Wenn Messergebnisse vorsortiert und korrigiert werden, geschieht dies bereits mit entsprechenden Visualisierungstechniken. Bilder bilden demnach nicht mehr nur den Gegenstand ab, sondern auch die zugrunde liegenden theoretischen Modelle. Ist den Wissenschaftlern bewusst, welch enormen Übersetzungen mit der Produktion ihrer Bilder verbunden sind? "Das kommt ganz darauf an", sagt Borck, der selbst jahrelang als Physiologe gearbeitet hat: "Im informellen Gespräch räumen Wissenschaftler meist ein, dass ihre Bilder stark konstruiert sind. Im Alltag der Forschung findet man aber doch sehr häufig einen einfachen Realismus."
Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich in der Medizin, aber auch in anderen Disziplinen jene Techniken durchsetzen, die dreidimensionale und farbcodierte Bilder liefern. Die wirken nämlich besonders anschaulich. Bei Gehirntomographien werden aktive Zonen rot oder gelb dargestellt, ruhigere grün oder blau, obwohl der Frontallappen genauso wenig farbig ist wie das Atommodell von Bohr. Unsere Sehgewohnheiten und -vorlieben bestimmten also bis zu einem gewissen Maße die Entwicklung der Wissenschaft.
"Bilder und bildgebende Techniken setzen sich nicht von allein durch", sagt David Gugerli, Wissenschaftshistoriker an der ETH Zürich: "Die Technik als solche mag noch so ausgefeilt sein, beweisen muss sie sich in der Praxis." Was als visuelle Repräsentation eines wissenschaftlichen Objektes gilt, wird innerhalb der Fachgemeinschaft ausgehandelt. Den Kollegen muss plausibel gemacht werden, was bestimmte Bilder zu leisten imstande sind.
In der Medizin ist dieser Bereich der Praxis besonders prekär: Wie verändern neue bildgebende Verfahren die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten? Kann der Klinikchef überzeugt werden, diese teuren und oft noch in der Entwicklung befindlichen Apparaturen anzuschaffen? Was können Patienten, Versicherer und Juristen auf den Bildern erkennen? Techniken wie der 3D-Ultraschall haben sich durchgesetzt, weil werdende Eltern ihr zukünftiges Kind lachen und zappeln sehen, was bei einem einfachen 2D-Schnittbild nicht möglich ist. Mit kleinen Kindern ist auch die Geschichte der Kernspintomographie (MRI) verbunden. Diese wuchtigen Apparaturen sind heutzutage in fast jeder größeren Klinik zu finden. In ihrer Anfangszeit waren die entsprechenden Geräte aber noch viel zu klein für erwachsene Menschen. Nur Kleinkinder passten hinein. Die Winzlinge von der Kinderstation haben die Weiterentwicklung der Technik gesichert.
Zum Weiterlesen:
Bettina Heintz/Jörg Huber (Hg.): Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten. Wien, New York 2001.
David Gugerli/Barbara Orland (Hg.): Ganz normale Bilder Historische Beiträge zur visuellen Herstellung von Selbstverständlichkeiten. Zürich 2002.
Martin Kemp: Bilderwissen. Die Anschaulichkeit naturwissenschaftlicher Phänomene. Köln 2003.
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