Fantasysport ganz real

Quidditch Quidditch, der Sport aus den „Harry Potter“-Romanen, findet immer mehr irdische Nachahmer

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Größter Unterschied? - Auch mit einem 'Nimbus 1000' wird hier wohl keiner abheben
Größter Unterschied? - Auch mit einem 'Nimbus 1000' wird hier wohl keiner abheben

Foto: BenHollandPhotography/Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Die Jesuitenwiese in Wien – dort, wo einst Soldaten der örtlichen Garnision exerzierten, schieben Menschen in Sportklamotten am Samstagvormittag großformatige Rollkoffer über das holprige Geläuf und ziehen Ballnetze hinter sich her. Alle gehören zu den Vienna Vanguards, dem ersten Verein im Quidditch in Österreich. „Quidditch“? Harry Potter-Fans wissen sofort, was hinter dem Kunstwort steckt: der Sport, den die Zauberlehrlinge im Internat Hogwarts bei Wind und Wetter in 20 Metern Höhe auf ihren Besen treiben.

Sport mit Bodenhaftung

Der Fantasysport ist längst in der realen Welt angekommen. „Quidditch ist ein Mix aus Handball, Rugby und Völkerball, ein Vollkontaktsport, den gemischtgeschlechtliche Teams mittlerweile seit zwölf Jahren spielen“, erklärt Andrea Wöger, Teammanagerin der Vanguards, gegenüber dem Autor. Der Legende nach haben 2005 zwei Studenten an einer Privatuniversität im kleinen US-Bundesstaat Vermont, der Heimat des früheren US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders, damit angefangen.

Das Spielprinzip in Kurzform: Vier Spielertypen pro Team und ein neutraler Akteur tummeln sich mit drei Ballarten auf dem Feld. Die drei Jäger (Chaser) mit weißen Stirnbändern punkten mit einem Volleyball, wenn sie durch einen der drei Torringe werfen. Zehn Punkte gibt’s dafür. Die zwei Treiber (Beater) mit schwarzen Stirnbändern versuchen die gegnerischen Jäger mit Dodgebällen abzuwerfen und aus dem Spiel zu nehmen. Der Hüter (Keeper) mit grünem Stirnband soll die Würfe der Jäger vor den Torringen abfangen. Die Sucher (Seeker) mit goldenem Stirnband wollen dem in gelb gekleideten „Snitch-Runner“ den in einer Socke verstauten Tennisball (Snitch) aus dem Hosenbund ziehen. Gelingt das, bringt das 30 Punkte und das Spiel ist aus. Gewonnen hat das Team mit den meisten Punkten. Skurril: Alle Spieler halten ein etwa ein Meter langes PVC-Rohr als Besen-Ersatz zwischen den Schenkeln - ein Tribut an die literarische Vorlage. „Wenn man zwei-, dreimal zugeschaut hat, hat man die Grundzüge des Spiels begriffen“, beruhigt Wöger.

Mit Quidditch auf Werbetour

Wie kam Quidditch nach Wien? „Nach einem Studienaufenthalt eines Mitstreiters in Australien“, erzählt Wöger. Und dann ging's rasch: Gründung im Oktober 2014, erste Wettkämpfe kurz danach. Als Reisekader stellt Wöger mit dem zweiten Wiener Team, den Danube Direwovles, und dem Nationalverband Austria Quidditch den Sport landesweit vor. Mit Erfolg: Teilnehmer des Lehrgangs gründeten die Quidditch Graz Grimms. Nun soll Linz folgen. Wöger ist optimistisch, dass sich in ganz Österreich Quidditch-Teams bilden werden. Dann könne ein ordentlicher Ligabetrieb starten. „Im Herbst des Jahres werden wir aber schon mit einem vorläufigen Ligabetrieb dreier Teams beginnen“, versichert Richard Turkowitsch, Pressesprecher von Quidditch Austria.

Ihr Team hat zum Schautraining geladen. An einer alten Buche mitten im Park schlagen die Akteure ihr provisorisches Lager auf: halb geöffnete Rucksäcke mit Trinkflasche und Vitaminriegel liegen neben Wechselschuhen und Fahrrädern. Alles, was es an Equipment braucht, hat Wöger angeschleppt: die Torringe mit festem Fuß und natürlich einen Satz PVC-Rohre. Alles Marke Eigenbau – aber nach Normen des internationalen Quidditch. Zuerst muss das Spielfeld aufgebaut werden. Ein Rechteck, 22 x 33 Meter. Einen eigenen Sportplatz mit Kabinen und Duschen haben die Vanguards nicht.

Nach der gemeinsamen halbstündigen Aufwärmrunde wird separat trainiert: je ein Coach für die Beater, Chaser und Seeker. „Quidditch ist taktisch komplex“, sagt Wöger, und deshalb die Übungseinheiten für die einzelnen Mannschaftsteile. In der zweiten Runde werden Ballstafetten im Positionsspiel verfeinert. Ziemlich genau 30 Minuten lang. Dann folgt eine einstündige Taktikschulung, um anschließend zum Praxistest, zum Spiel, überzugehen. Nochmal eine Stunde. Auf dem Spielfeld geht es rustikal zu: „Es macht auch Spaß, einen zwei Köpfe größeren Mann mit doppeltem Körpergewicht zu tackeln und zu Boden zu bringen“, sagt Wöger. Und das gehe gut, wenn man sich mit der Hebelwirkung auskenne.

Bobo-Sport“ mit dickem Regelbuch

Die Anhänger des Potter-Sports kämpfen gegen Ressentiments an. Karina Auer von den Vanguards zeigt sich gegenüber dem Autor überrascht: „Endlich interessiert sich mal eine Sportredaktion für uns, sonst landen wir in der Rubrik Lifestyle.“ Da will sie raus, was gar nicht so einfach ist. Quidditch gilt Kritikern als Sportersatz der „bourgeoisen Bohémien“ - ein „Bobo-Sport“, betrieben von „Nerds mit Zauberstab“.

Das Regelwerk umfasst 200 engbedruckte Seiten. Da Quidditch ein junger Sport sei, werden die Regeln häufig aktualisiert, sagt Pressesprecher Turkowitsch. Und danach dürfen zum Beispiel nur vier Feldakteure dem gleichen Geschlecht angehören. Hiermit ist nicht das Geschlecht gemeint, mit dem man geboren ist, sondern mit dem man sich identifiziert. Geschlechterdemokratie und Inklusion sind zwei wichtige Stichworte im Quidditch. Ist Quidditich deshalb auch ein „politischer Sport“? Wöger kann damit nicht so viel anfangen: „Für mich steht der sportliche Aspekt im Vordergrund.“ Sie ist klassisch über die Potter-Lektüre zum „fiktiven Sport“ gekommen.

Nach der dreistündigen Trainingseinheit auf dem improvisierten Spielfeld auf der Jesuitenwiese hat Wöger noch Kraft für Visionen. Ende April treten die 32 besten europäischen Teams in Pfaffenhofen in Oberbayern zum European Quidditch Cup (EQC) an. Die Vanguards sind dabei. Selbstbewusst zieht Wöger folgenden Vergleich: „Das ist so eine Art Champions League wie im Fußball.“ Ihr Ziel: „Wir wollen unter die Top 16.“ Dafür müssen in der Vorrunde aber erst einmal die Kontrahenten aus Oslo, Göteborg und München niedergetackelt werden. „Machbar“, meint Wöger.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Oliver Rast

Freier Journalist & schreibender Aktivist

Oliver Rast

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