Unorthodoxer Streiter

Rezension Eine umfassende Sammlung mit Texten des Rätekommunisten Willy Huhn ist erschienen

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Der Gewerkschafter und Verleger Jochen Gester hat sich auf eine publizistische Spurensuche begeben. Zielperson: Willy Huhn. Seine Ergebnisse liegen nun in dem Band „Auf der Suche nach Rosas Erbe. Der deutsche Marxist Willy Huhn (1909-1970)“ vor.

Gester dokumentiert einen Ausschnitt großteils unveröffentlichter Texte aus dem Huhn-Nachlass, der sich im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG) in Amsterdam befindet. Sein Auswahlmotiv war, „Texte zusammenzustellen, in denen Huhn versuchte, in Abgrenzung zur Sozialdemokratie und zum Bolschewismus eine autonome marxistische Position zu entwickeln.“ Den Dokumenten stellt der Herausgeber eine biografische Skizze des Autodidakten Huhn voran.

Der 1909 geborene Huhn wurde im Frühjahr 1919 mit seiner Familie aus Metz in Lothringen von den französischen Behörden ausgewiesen. Die Region fiel nach dem Ersten Weltkrieg an Frankreich. Der neue Lebensmittelpunkt wurde Berlin. Zunächst Kreuzberg, später Pankow. Huhn begann nach dem Schulabschluss eine Buchhändlerlehre, die er aber aufgrund des Firmenkonkurses abbrechen musste. In einer Fabrik konnte er seine kaufmännische Lehre fortsetzen und abschließen.

Die „antiautoritäre Jugendrebellion“ gegen seinen gewalttätigen Vater, der preußischer Polizeibeamter war, führte Huhn zum Sozialismus. „Der Sozialismus will uns helfen: ich gehöre ihm“, schlußfolgerte der junge Huhn. Der Tod des Vaters 1929 war ein Befreiungsakt. Huhn trat der Jugendgruppe des Zentralverbandes der Angestellten (ZdA) bei und organisierte sich ab Ende 1930 bei den Jungsozialisten, was automatisch die formelle SPD-Mitgliedschaft bedeutete. Das mißfiel ihm, „[d]enn er wollte ein junger Sozialist und kein Sozialdemokrat sein“, schreibt Gester.

Huhn schloss sich der im Oktober 1931 von der SPD abgespaltenen Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) an. „Unsere Hoffnung war, dass die SAP ihrem Namen Ehre machen und eine wirklich sozialistische, d.h. weder eine sozialdemokratische noch eine bolschewistische Partei sein […] werde“, so Huhn. Er zählte innerhalb der heterogenen SAP zu den vehementen Kritikern des „Staatskapitalismus“ in der Sowjetunion. Sein Auftritt in der SAP war indes nur ein Intermezzo. Huhn nahm Kontakt mit den „Roten Kämpfer“ (RK) auf. Eines halbklandestinen Netzwerks, das wesentlich von ehemaligen Kadern der Kommunistischen Arbeiterpartei (KAPD) gebildet wurde. Die Aktivisten betrachteten den Aufstieg des Nationalsozialismus als unaufhaltsam und bereiteten sich auf die Illegalität vor. Im Zuge der Zerschlagung und des Zerfalls der introvertierten RK-Debattierzirkel zog sich Huhn, der wegen einer schweren Asthmaerkrankung phasenweise vom Wehrdienst befreit war, in die “Abgeschlossenheit der Studierstube des Gelehrten” zurück.

„Huhns politische Desorientierung“ kommt „auf schmerzliche Weise“ (Gester) in einem Brief von 1942 an einen „Kriegskameraden“ zum Ausdruck. Darin votierte er für die „militärische Niederringung des Bolschewismus“ durch die deutsche Wehrmacht. Huhn plagten nach Kriegsende Schuldgefühle: „Ich will nochmal einen Versuch mit der Arbeiterklasse machen und meine Schuld, dass ich mich resignierend in den politischen Schmollwinkel zurückgezogen habe, durch erhöhten Eifer abbüßen.“ Im Juni 1945 trat Huhn in die KPD ein, später wurde er SED-Mitglied. In der Erwachsenenbildung der Volkshochschulen (VHS) fand er ein berufliches Standbein. Seine als “idealistisch” interpretierten Kurse zum historischen Materialismus gerieten ins ideologische Kreuzfeuer von SED-Kulturfunktionären. Er verlor seinen Posten und trat aus der SED aus.

In Westberlin versuchte Huhn über die Herausgabe von Periodika dissidente Marxisten unterschiedlicher Provenienz zu binden. Er fand Anschluss an die Berliner SPD, sorgte aber aufgrund seines Festhaltens am Räteprinzip für Konfliktstoff und wurde 1954 ausgeschlossen.

Huhn gehörte zu den Inspiratoren des Republikanischen Clubs (RC) in der Hochphase der Außerparlamentarischen Opposition (APO). In dieser Zeit setzte er sich mit Lenins vielzitierter Schrift zum linken Radikalismus auseinander, diese „ist so ziemlich die mäßigste der von ihm verfaßten Schriften“, urteilte er.

Huhn suchte nach einer proletarischen Bewegung des Massenstreiks und der Rätedemokratie in der Tradition Rosa Luxemburgs. Den „Arbeiteraufstand“ vom 17. Juni 1953 deutete er als Signal: „Die Arbeiter werden, vielleicht in Unkenntnis Rosa Luxemburgs […], in ihrer kämpfenden Praxis das theoretische Werk Rosa Luxemburgs praktisch fortsetzen […].“ Die Kontroverse um Willy Huhns Hinterlassenschaft ist eröffnet.

Jochen Gester (Hg.): Auf der Suche nach Rosas Erbe. Die Buchmacherei, Berlin. 2017. 835 S. (inkl. CD-Rom). € 22,-

http://diebuchmacherei.de/produkt/auf-der-suche-nach-rosas-erbe/

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Geschrieben von

Oliver Rast

Freier Journalist & schreibender Aktivist

Oliver Rast

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