„Wir sind die Sabres – und wer seid ihr?“

Fraueneishockey Die Eishockeyspielerinnen von Sabres Wien gewinnen in Serie – und kaum einer kriegt's mit

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Es ist kurz nach 11 Uhr am vergangenen Sonntagvormittag. Die Spielerinnen von Sabres Wien trudeln gemächlich in die Lobby ihres Hotels in Budapest. Sie machen sich zum Abmarsch bereit, das Finale in der supranationalen European Women's Hockey League (EWHL) steht an. Gegnerinnen sind die Eagles aus Bozen, Südtirol, die gegen das favorisierte Heimteam von KMH Budapest im Semifinale knapp mit 4:3 gewannen. Die Sabres deklassierten ihre Dauerrivalinnen vom DEC Salzburg Eagles in der Vorschlussrunde mit 8:1.

Am Kaffeeautomaten vor dem Frühstücksbuffet treffe ich Charlotte Wittich, die 24jährige gebürtige Wienerin ist Team-Kapitänin der Sabres. Ich stelle mich kurz vor und sage, dass ich extra morgens um 5 Uhr den Bus von Wien nach Budapest genommen habe, um für deutsche Medien über das Final4 der EWHL zu berichten. „Sportlich“, sagt sie keck. Die Endspielpaarung sei eine kleine Überraschung, findet Wittich. Alle „Experten“ hatten die Gastgebeberinnen im Spiel um Gold erwartet. Auf den Ausgang des Endspiels angesprochen, sagt sie entschlossen: „Wir spielen auf Sieg – nichts anderes zählt.“ Wir haben uns für später nach dem Spiel verabredet.

Auf den Sieg fokussiert

Der Tross setzt sich gegen 11.45 Uhr in Bewegung. Ziel ist der hochmoderne Hallenkomplex Tüskesátor – keine 20 Minuten Fußweg vom Hotel entfernt. Über die Donau geht's, an Jugendstil-Bauten aus der K.u.K.-Monarchie und funktionalen Wohnwürfeln vorbei. Vor Ort deutet nichts auf den Saisonhöhepunkt der EWHL hin. Keine bunten Plakate am Eingang, keine Medienvertreter mit Übertragungswagen auf dem Vorplatz, kein Programmheft mit Teamfotos und Biografien der Spielerinnen – der Eintritt ist frei. Dafür besticht das Interiore der Arena durch Komfort, vor allem die Polsterklappsessel mit Armlehnen in blauem Kunstleder auf der Haupttribüne.

Die Sabres sind Rekordmeisterinnen im Fraueneishockey Österreichs: 14 mal holten sie die Staatsmeisterschaft in ihrem Land, sechsmal den EWHL-Titel. Trotz der Erfolgsserie findet Fraueneishockey unterhalb des Radars statt. Gazetten berichten nur in den Randspalten und die Zuschauerzahlen sind selbst bei Finalrunden kaum messbar – so auch in Budapest. Oliver Jonischkeit, Bundessekretär im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und Sabres-Vorstandsmitglied, sieht sogar einen gegenläufigen Trend: „Das Niveau im Fraueneishockey steigt stetig, das geringe Zuschauerinteresse sinkt weiter.“ Eine Erklärung für diese Entwicklung hat aber auch er nicht parat.

Um 12.30 Uhr steht das Spiel um Platz drei auf meinem Merkzettel: Bronze holen sich die Budapesterinnen gegen die Salzburgerinnen - Endstand: 2:1. Nach dem Bronze-Spiel entdecke ich in der Kantine Martin Kogler, den General-Manager der EWHL. Ich frage ihn nach dem Stellenwert des Fraueneishockeys. Von Gleichberechtigung sei das Fraueneishockey im Vergleich zu den Männern noch Lichtjahre entfernt, gesteht er. „Wir sind aber auf einem guten Weg, machen kleine Schritte.“ Dann erklärt Kogler die Grundidee der EWHL: „Die EWHL ist für Teams gedacht, deren Ligen ein großes Leistungsgefälle aufweisen oder zu wenig leistungsstarke Mannschaften haben.“ Deshalb spielen die Sabres nicht in der Ersten Bundesliga Österreichs und die Frauen aus Südtirol nicht in der italienischen Mini-Liga.

Ein paar Meter weiter wartet Christian Benedek, der Vereinsboss der Sabres, auf den ersten Bully des Finals. Er wirkt gelassen, hat er doch bereits einige Finalturniere seiner Spielerinnen erlebt – irgendwann setzt so etwas wie Routine ein. Dennoch: auch er glaubt nicht, dass das Match gegen die Bozenerinnen, die fast die komplette italienische Frauen-Nationalmannschaft bilden, ein Selbstläufer werden wird. „Die Eagles aus Bozen werden sicherlich von der Euphorie des Sieges gegen die Gastgeberinnen getragen“, mahnt er.

Das Finale verläuft einseitig, chancenlos sind die Adler-Frauen aus Bozen. Sie kassieren fünf Gegentore und bleiben selbst torlos. Nach der Schlusssirene werfen die Sabres-Spielerinnen Schläger, Handschuhe und Helme in die Luft – ein Siegesritual. Das Zeremoniell der Medaillen- und Pokalübergabe streckt sich. Dann rast Wittich mit dem Pokal in den Händen auf ihre Teamkolleginnen zu und verschwindet in einer Jubeltraube. Schlussakt: Fotoshooting mit den Siegerinnen.

Ausgelassene Stimmung

Am frühen Abend brechen wir in einem angemieteten, mit Sportreklame verzierten Reisebus Richtung Wien auf. Einen eigenen Klubbus haben die Sabres nicht – im Gegensatz zu ihren Südtiroler Kontrahentinnen. Fraueneishockey ist insgesamt ein Low-Budget-Projekt. Selbst die erstklassigen Spielerinnen müssen für die Schutzkleidung unterhalb des Trikots finanziell aufkommen. Und nicht nur das: sie zahlen alle Mitgliedsbeiträge. Eishockey ist ein teurer Spaß.

Die Spielerinnen haben sich ins Busheck zurückgezogen, im Frontbereich nehmen Vereinsverantwortliche und Familienangehörige Platz. Nur wenige Minuten nach einem Zwischenstopp auf einem Rasthof schallen muntere Schlachtgesänge von hinten nach vorne – ein bisschen Spott für das Team aus Salzburg ist dabei („Wir sind die Sabres – und wer seid ihr?“). Erschöpfung klingt anders und das Dosenbier lockert die Stimmbänder. Aber vor allem werden die aktuellen Songs aus den Pop-Charts textsicher und melodisch abgespult. Alle werden gefeiert: einzelne Spielerinnen, Vorstandsmitglieder – und natürlich der Meistercoach Christian Klepp. Unter'm Strich: Leistungsportlerinnen feiern diszipliniert, kein Punkrock auf der Autobahn.

Apropos Meistercoach. „Wir waren auf den Punkt da“, bilanziert Klepp sichtlich stolz das Final4-Wochenende, während er seine um den Hals hängende Goldmedaille zurechtrückt. Er sei bereits seit 1991 Trainer und habe alle Nachwuchsstationen durchlaufen, erzählt er mir. „Später bin ich über eine Offerte von Vereinsfreunden zum Fraueneishockey gekommen.“ Als Frauentrainer hat er alles erreicht. Was motiviert ihn überhaupt noch? „Jede Saison ist neu, da entsteht Motivation von selbst.“ Er verrät aber: „Nach dieser Spielzeit höre ich als Sabres-Cheftrainer auf und werde Sportdirektor.“ Und noch was verrät er: mehr als eine Aufwandsentschädigung ist nicht drin, wenn man Trainer von Fraueneishockeyspielerinnen ist.

Ich warte noch auf die passende Gesprächssituation mit der Spielführerin, die als Verteidigerin wegen ihres harten Schlagschusses gefürchtet ist. Trainer Klepp ruft sie aus dem Pulk ihrer Kolleginnen aus dem hintersten Winkel des Busses nach vorne. Wittich war Legionärin, spielte schon in Schweden bei Linköping HC und der Schweiz beim Zürcher Schlittschuhclub, den Lions. Auf dem Eis, an der Bande und auch im Reisebus: sie gibt den Ton an – eloquent und prägnant.

Wittich erzählt, dass sich Frauen noch immer dafür rechtfertigen müssten, Eishockey zu spielen. Nach dem Motto „Was machen Mädels im Männersport?“ Die blödeste Frage, die ihr als Eishockeyspielerin bisher gestellt wurde, möchte ich von ihr wissen. „Bei einem Radio-Interview im Rahmen eines Turniers von vier A-Nationalteams Mitte Februar in Klagenfurt wurde ich gefragt, ob ich auch 'normale Frauendinge' tun würde, Kochen zum Beispiel.“ Wittichs trockne Antwort: „Klar, ich esse ja auch – und ich wasche sogar meine Wäsche selbst.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Oliver Rast

Freier Journalist & schreibender Aktivist

Oliver Rast

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