Mir war bereits als Kind bewusst, dass ich später einmal meine mecklenburgische Heimatstadt Lübtheen verlassen werde. Die große weite Welt sehen, nicht mehr nur durch die ewig gleichen Kiefernwälder spazieren. Hier warten nur Landwirtschaft, Fabrikarbeit oder mit viel Glück eine Lehre bei der Sparkasse.
Es blieb nicht bei einem Umzug in die nächste Großstadt. Meine Bilanz: sieben Städte in zehn Jahren, inzwischen lebe ich in Freiburg. Die Zahl der Umzüge mag ein Sonderfall sein, das Prinzip ist keiner. Und das betrifft längst nicht nur Akademiker wie mich, denen oft keine andere Wahl blieb, um Studienplätze und Jobs zu finden. Ich kenne Bankangestellte, Köche und Gerüstbauer, für die ein Umzug aus Gründen der Arbeit
er Arbeit normal geworden ist.Arbeitsmobilität scheint das Schlagwort unserer Generation zu sein. Soziale Beziehungen auf der lokalen Ebene werden loser und kurzlebiger. Viele Aspekte in unserem Leben basieren aber auf vertrauensvollen und vor allem stabilen Beziehungen.Wie diese Grundlage langsam bröckelt, sehe ich immer wieder bei Besuchen in meiner Heimatstadt. Äußerlich scheint es dem Ort so gut zu gehen wie nie zuvor. Der Fahrzeugbaubetrieb, der schon zu DDR-Zeiten einen großen Teil der örtlichen männlichen Bevölkerung beschäftigte, vergrößert sich stetig. Hierdurch sprudeln die Gewerbesteuereinnahmen, was man der Stadt ansehen kann: alte Kopfsteinpflasterstraßen, ein Heimatmuseum, eine Bibliothek, ein altes Rathaus, ein großer Kirchplatz. Alles liebevoll restauriert und gepflegt. Selbst die lokale Wohnungsbaugesellschaft kann sich nicht beklagen. Alle Wohnungen sind ausgelastet, dank des expandierenden Fahrzeugbaubetriebes. Allerdings kommen viele der neu eingestellten Arbeiter nicht aus der Region, sondern über teils dubiose Mittelsmänner aus Osteuropa und vom Balkan. Einheimische tun sich die Löhne weit unter Tarifniveau und das Drei-Schicht-System immer weniger freiwillig an. Tausende Kilometer von der Heimat entfernt arbeiten hier vor allem Männer, um das Geld in die Heimat zu schicken. Durch den Männerüberschuss ist das Rotlichtmilieu mit ähnlich internationaler Personaldecke eingekehrt.Die gut ausgebildete mecklenburgische Jugend zieht dagegen weg. Das betrifft vor allem junge Frauen, deren Perspektiven zwischen Landwirtschaft und Fabrik mager sind. Männer bleiben weit häufiger. Für sie wird es aber zunehmend schwieriger, eine Partnerin zu finden. Das betrifft fast ganz Mecklenburg-Vorpommern. In prosperierenden Großstädten finden sich hingegen immer mehr junge Frauen mit dem unerfüllten Wunsch nach Familie.In Mecklenburg geht währenddessen das kulturelle Angebot ständig zurück. Vereinen und den freiwilligen Feuerwehren fehlt es an jungen Engagierten. Stadt- und Erntefeste werden kleiner oder verschwinden ganz. Neue inhabergeführte Läden entstehen kaum noch. In meiner Heimatstadt erlebte ich noch in den 1990ern eine prosperierende Einkaufs- und Flaniermeile. Heute wirkt dieselbe Hauptstraße selbst an Samstagen wie ausgestorben.Somit sprießt der Rechtspopulismus. Lange vor Existenz der AfD etablierte die NPD ein Bürgerbüro in meiner Heimatstadt. Die Rechten zeigten Präsenz, wo sonst nur Dinge schlossen. Sie wurde mit zweistelligen Wahlergebnissen belohnt. Diese Taktik hat die AfD längst deutschlandweit übernommen, erfolgreich.In den Zentren deutscher Groß- und Universitätsstädte sehen die Entwicklungen anders aus. Die Probleme sind trotzdem relativ ähnlich. Es sind zwar massenhaft junge Leute präsent, aber der ständige Zu- und Wegzug schwächt die Motivation sich zu engagieren. Parteiarbeit wird unattraktiv, da über die Aufstellung für politische Ämter lokal entschieden wird. Hat es jemand erst einmal geschafft vor Ort ein politisches Netzwerk aufzubauen, kann dies bei einem Umzug wertlos werden. Die steigenden Mietpreise verdrängen zudem Alteingesessene und zerstören lang gewachsene Sozialstrukturen genauso stetig wie auf dem Land. Die Identität des Viertels verschwindet, indem die Leute verschwinden, die diese getragen haben. Straßenfeste und Nachbarschaftshilfe gehen verloren.Wüste dank WirtschaftspolitikAngesichts dieser Entwicklungen verlangt es nach einem stärkeren Engagement der Politik. Das heißt nicht, Mobilität zu unterbinden. Freizügigkeit ist ein hohes Gut und Migrationswillige lassen sich eh nur schwer aufhalten. Es ist aber wichtig, ein Verständnis für die negativen Folgen der Arbeitsmigration für die sozialen Beziehungen zu schaffen, um punktuell unsinnige Auswüchse zu verhindern.In Deutschland existieren etliche staatliche Maßnahmen, die regionale Ungleichgewichte fördern und soziale Strukturen zerstören. So hat die Exzellenzinitiative der Bundesregierung vor allem Universitäten in bereits attraktiven Städten wie Berlin, München oder Heidelberg gefördert und so die Konzentration der Spitzenforschung auf wenige Standorte noch intensiviert. Investitionen in ländliche Regionen kommen dagegen oft zu kurz. So ernte ich immer wieder verwunderte Blicke, wenn ich erzähle, dass es in meiner Heimatstadt bisher kein DSL gibt und erst in diesem Jahr verfügbar werden soll.Ähnlich sieht es in der Wirtschaftspolitik aus. Zu den Lieblingsprojekten deutscher Regionalpolitiker gehört die Clusterförderung – die Schaffung und Förderung einer Region mit einer hohen Anzahl vernetzter und spezialisierte Unternehmen. Als Vorbild gilt das Silicon Valley. Diese Politik schafft erhebliche regionale Ungleichgewichte, da bereits wirtschaftsstarke Regionen viel Geld für Subventionen bereitstellen können. Die Spezialisierung von Regionen auf bestimmte Branchen zwingt außerdem Fachkräfte in die je passende Regionen zu ziehen. Den langfristigen Nutzen dieser Subventionen sehen Ökonomen oft kritisch. Ein Beispiel hierfür ist der Niedergang des Solar Valley in Sachsen-Anhalt.Ähnlich fehlgeleitet ist die Steuerpolitik. Die Gewerbesteuer ist für viele Gemeinden die wichtigste Einkommensquelle. Deren Höhe kann durch den Hebesatz individuell beeinflusst werden. Gemeinden mit einer starken Wirtschaft können leicht einen niedrigen Hebesatz festlegen und noch mehr Unternehmen anziehen. Arme Gemeinden müssen meist einen hohen Satz fordern und schrecken dadurch Firmen ab.Viele Politiker wollen zwar derzeit den ländlichen Raum stärken. Die Maßnahmen drehen sich allerdings meist nur um das Bereitstellen lokaler Infrastruktur wie Krankenhäuser oder Schulen. Die Wirtschaftspolitik hängt viel zu oft hinterher, obwohl hier der größte Hebel besteht, um die ländlichen Regionen zu stärken und soziale Strukturen zu stabilisieren.Mich persönlich wird die Distanz zu meiner Familie in Mecklenburg künftig noch vor einige Herausforderungen stellen. Kinderbetreuung durch meine Eltern wäre eine immense Erleichterung, sofern meine Partnerin und ich weiter arbeiten möchten. Meine Eltern würden sich sehr freuen. 600 Kilometer Luftlinie machen das aber unmöglich. Umgekehrt werde ich mich wohl nie ausgiebig um meine Eltern kümmern können, sollten diese einmal Pflege im eigenen Haus benötigen. Einmal mein Erbe antreten und ins selbst errichtete Elternhaus ziehen? Eine schöne Vorstellung, aber kaum realistisch.Placeholder authorbio-1Placeholder link-1