American Dream aus Packpapier

Ausstellung Aufgetakelte Damen, White-Collar-Visagen, Cowboys mit romantischen Hüten: Das Museum Ludwig in Köln zeigt Saul Steinbergs gezeichnete Chronik der USA
Ausgabe 13/2013

1958, die Welt öffnet ihre Pforten. Erstmals nach den Grauen des Zweiten Weltkriegs wirbt in Brüssel eine Weltausstellung für Annäherung. Die Dissonanzen des Kalten Kriegs dominieren die Welt der Wunder. Die UdSSR beeindruckt mit zwei Nachbauten der Sputnik-Satelliten. Die USA, nicht in Besitz der aktuellen technischen Sensation, füllt ihren riesigen Pavillon mit „geläufigen Szenen ihres Daseins“, so der offizielle Ausstellungsführer. Darunter erstaunlich viel Kunst. Als Herzstück: The Americans, ein Wandbild von Saul Steinberg. In aufwändiger Mischtechnik hatte Steinberg acht Panele, drei Meter hoch und insgesamt 74 Meter lang, geschaffen. Szenen aus dem American Dream.

Es ist durchaus aufregend, diese Arbeit nun nach 55 Jahren erstmals wieder komplett sehen zu können. Kasper König, der sie als Jugendlicher bestaunte, hat sie für das Kölner Museum Ludwig aus Brüsseler Archiven geholt. Die auf Sperrholz aufgeklebten Kartone, Zeitungsausschnitte, Packpapiere und Fotopapiere zeigen trotz Restauration Spuren der Zeit. Wäre Steinbergs Arbeit idyllischer, erschiene sie als Patina eines Weltbildes.

Nur, Steinberg misstraute in all seinem Geschick für humorvolle Assoziationen und leichtfüßige Präsentationen der Idee des Idylls. In Rumänien aufgewachsen, floh er als Student vor dem zunehmenden Antisemitismus in seiner Heimat nach Italien. Als Bohemien in Mailand veröffentlichte er erste Zeichnungen und Karikaturen. Doch die faschistischen Rassengesetze bedrohten ab 1938 sein Leben. In höchster Bedrängnis gelang ihm 1941 die Emigration in die Dominikanische Republik. Als der New Yorker seine Arbeiten druckte, öffneten ihm 1942 die USA ihre Pforten.

Eines seiner Titelbilder für das Magazin, eine optisch verkürzte Perspektive New Yorks auf die Welt, wurde 1976 zum Markenzeichen. 1958 schätzte man ihn als Chronisten seiner neuen Heimat, selbst wenn sein Blick mehr Befremden als Identifikation offenbarte. „Wenige Leute können es sich leisten, über sich zu lächeln. Wir können es“, kommentierte er seine Brüsseler Ausblicke auf abstrahierte Baseballspieler, aufgetakelte Damen und kühle White-Collar-Visagen; auf Farmer, deren Jeans aus blauem Papier er mit einem Locher „nietete“, und romantische Cowboys mit grafisch reduzierten Hüten.

Der Blick aus der Nähe enthüllt Detailfülle, aus ein paar Schritten Entfernung stehen wir vor einem abstrakten Gemälde. Anders als bei seinen Freunden der New Yorker Avantgarde dominiert bei Steinberg ein Interesse am Menschen, an dessen Posen und Grimassen, die er in Masken aus Papptüten fixiert. Auch sie sind neben vielen Zeichnungen und Collagen zu sehen.

Die Masken verdichten das Unbehagen, das kühle Banker oder selbstvergessene Cocktailparty-Figuren in The Americans andeuten. Spielerisches Misstrauen, das in einem Atemzug in Panik umschlagen kann. Seine auch in ihrer Monumentalität noch leichten Figuren führen einen anspielungsreichen Tanz auf, hier eine Referenz an Picasso, dort eine an Modigliani.

Mit wenigen Linien konnte Steinberg ein Foto von Jutesäcken in ein Großstadtszenario verwandeln oder eine Badende in eine leere Wanne zaubern. Es sind diese humorvollen Striche, die das Bild einer Nation skizzieren und fern aller Kategorisierungen aktuelle Kunst repräsentierten. Die überfällige Entdeckung eines Großen des 20. Jahrhunderts.

Saul Steinberg. The Americans Museum Ludwig Köln, 23. März bis 23. Juni 2013

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