Pirouetten auf der Glätte

Musik Was man einmal Girlism nannte, kehrt mit Grimes’ neuem Album „Art Angels“ zurück
Ausgabe 47/2015
„Art Angels“: Politisch eine gute Idee, künstlerisch ein Verlust
„Art Angels“: Politisch eine gute Idee, künstlerisch ein Verlust

Foto: Nicholas Hunt/Getty Images

So um 2008 erblühte etwas, seerosengleich. Nicht nur, da einige der neuen Stimmen aus Elfenmündern zu erklingen schienen, sondern auch, weil ihre Töne keinen festen Grund kannten. In einem Seitenarm des ausgehenden 80er-Revivals hatten sie sich ihr eigenes Biotop geschaffen: Kate-Bush-Fans wie Julia Holter, die sich in die griechische Antike träumten. Ein einsames Disco Girl namens Nite Jewel tanzte augenzwinkernd durch eine ferne Vergangenheit, ihr Gestus geriet bei der aggressiven Geneva Jacuzzi zur charmanten Burleske, derweil das entrückte Atmen der Künstlerin Holly Herndon an Laurie Anderson – nur weniger streng – erinnerte. In der Mitte von dem allem schwebte Grimes, sie hatte sich offensichtlich in Enya verliebt, eine elfenhafte 80er Folk-Stimme inmitten von New-Age-Synthesizerschwaden. Sie rückte Enya in die Nähe des Gymnasiasten-Gothics der Cocteau Twins und – unfassbar! – addierte Spuren von R&B sowie aktuellen basslastigen Clubsounds. Schon war sie überall, posierte als Patti Smith für hippe Modemagazine, schrieb und drehte Videos.

Nite Jewel zeigte bald ihr enormes Talent als Autorin melancholischer Popsongs, Julia Holter entdeckte eine neue Kammermusik. Und Grimes? Andere Acts wie Purity Ring zogen mit derselben Formel gleichauf. Wie sehr sie das belastet haben muss, zeigt nun ihr neues Album Art Angels.

Verheißungsvoll schwebt das Intro Laughing and Not Being Normal, sein Titel klingt wie ein Statement auf die alten Tage. Doch schon der erste Song erinnert an den von R&B beeinflussten Pop der ausgehenden 90er. Auf dieser eindimensionalen Glätte dreht sie Pirouetten und lädt den taiwanesischen Rapper Aristophanes ein, mit dem sie zusammen in einem dystopischen Szenario Zombies zu entfliehen scheint. Scream ist ein früher Höhepunkt dieses Albums, das doch allzu oft die teenage dreams der 80er und 90er auf ihre Tauglichkeit als Quelle notwendiger Befreiungen absucht.

Wink Richtung Taylor Swift

Nun ist diese Geste als Reaktion auf den schluffigen Macho-Authentizismus des Indie-Rock nicht neu. Wie schon David Bowie oder auch Madonna behauptet Grimes das Ich im Uneigentlichen und beginnt gleichzeitig, das Hier und Jetzt zu kommentieren. Was man früher Girlism nannte, kehrt zurück.

Belly of the Beat, ihr in homöopathischen Anteilen gar countryesker Wink Richtung Taylor Swift, gibt einen guten Song, doch mitunter scheint es zu sehr als Grimes’ Mission, Chart-Sounds in düstere, befremdliche Gefilde zu locken. Auf jenes Territorium also, das sie zuvor so beeindruckend belebte. Nun scheint die meinetwegen seltsame Eigenständigkeit ihrer Welt gefangen im Diskurspop.

Die Kritiker jubeln. Und die Öffnung zur profaneren Welt bedeutet ja mehr als nur eine Karrierechance, Grimes’ Texte bezeugen jenes weiterhin notwendige Ringen in letztlich immer noch von Männern und ihren Visionen dominierten Kunst- und Sozialräumen. Dabei hatten die eingangs genannten jungen Künstlerinnen und einige mehr, wie die Band Warpaint oder FKA Twigs, das kreative Zentrum von Pop längst geentert. „Ihr müsst euch mit unseren Regeln auseinandersetzen, nicht wir mit den euren“, so klang es eindringlich. Grimes will nun den Rest der Welt teilhaben lassen. Politisch eine gute Idee, künstlerisch für des Rezensenten Ohr ein Verlust.

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Art Angels Grimes 4AD 2015

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