Gerichtsverfahren sind öffentlich. Wie wichtig dieser Grundsatz ist, wird deutlich, wenn er nicht eingehalten wird – zum Beispiel von Zeitungen und Rundfunkanstalten, die kaum jemals Journalisten in ein sozialgerichtliches Verfahren entsenden, weil sie bei Entscheidungen über Sozialhilfe, Pflegestufen oder Rentenhöhen keine erzählenswerten Geschichten vermuten. Oder in Jugendstrafverfahren, bei denen ein Gesetz die Nicht-Öffentlichkeit vorschreibt, um die Persönlichkeitsrechte der jungen Angeklagten zu schützen. Für die Medien, die über die Straftaten der Jugendlichen bisweilen intensiv berichtet haben, bleibt dann nur noch am Ende des Prozesses ein oft unverständlich wirkendes Strafmaß mitzuteilen – und sich darüber zu beschweren.
In Strafverfahren gegen erwachsene Angeklagte hat der Öffentlichkeitsgrundsatz konstitutive Bedeutung. Ein Verstoß dagegen wird von der Strafprozessordnung als sogenannter absoluter Revisionsgrund behandelt. Kein Wort verlieren die Gesetze aber darüber, was sie unter Öffentlichkeit verstehen. Auch die umfangreiche Rechtsprechung zum Thema hat sich mit dieser Frage bislang nicht eingehend befasst.
Kein gesicherter Zugang
Dabei zeigt die Geschichte des NSU-Verfahrens nicht nur, wie bedeutsam Öffentlichkeit ist, ohne deren Einsatz dieses Verfahren wohl nie zustande gekommen wäre. Öffentlichkeit ist kein zufällig zustande gekommendes Gebilde und erst recht kein rein formaler Begriff. Sie setzt gerade in einer heterogenen Gesellschaft voraus, dass verschiedene Gruppen repräsentiert sind. In einem Verfahren, in dem es vor allem um Morde an Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe geht, wird man kaum davon sprechen können, dass die Öffentlichkeit hergestellt sei, wenn ausgerechnet diese Gruppe keinen gesicherten Zugang zum Verfahren hat.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München, die ohnedies knappen 50 Plätze für Journalisten nach dem Grundsatz „wer zuerst mailt, hat seinen Platz“ zu verteilen, ist deshalb nicht nur, wie jetzt oft gerügt wird, „unsensibel“. Sie ist auch nicht sachgerecht und trägt auch nicht dazu bei, dass das Verfahren tatsächlich „öffentlich“ stattfindet. Vor allem dürfte aber aufschlussreich sein zu klären, ob das Oberlandesgericht tatsächlich so konsequent vorgegangen ist, wie es behauptet.
Sollten sich Berichte bewahrheiten, nach denen manche Pressevertreter über das Prozedere früher informiert waren als andere, dass die Reihenfolge des Eingangs der Akkreditierungsanträge keineswegs zwingend einen bestimmten Listenplatz zur Folge hatte, dann dürfte die Akkreditierung in dieser Form keinen Bestand haben: Hier haben sowohl die Vertreter der Nebenklage, als auch Journalisten, die nicht zum Zuge gekommen sind, einen Ansatzpunkt, um die Entscheidung des OLG München gerichtlich überprüfen zu lassen. Zusätzlich befremdet, dass das Gericht in keiner seiner vielen Stellungnahmen klar erläutert hat, warum nicht – wie in solchen Verfahren durchaus üblich – eine Pool-Lösung gewählt wurde, die für türkischsprachige Medien ganz unproblematisch Plätze hätte sicherstellen können.
Weder der Hinweis auf die Revisionssicherheit des Verfahrens, noch der auf den Umstand, dass es doch in erster Linie um die Klärung der Schuld der Angeklagten gehe, führt hier weiter – denn das gilt für all die anderen Verfahren, in denen nachvollziehbare Kriterien für die Vergabe knappe Medienplätze gewählt wurden, gleichermaßen. Auch die Behauptung, dass die Übertragung der Verhandlung in einen weiteren Gerichtssaal rechtlich unzulässig wäre, lässt das OLG München nicht gerade in glänzendem Licht erscheinen. Dass dadurch Persönlichkeitsrechte der Angeklagten verletzt würden, ist nicht zu erwarten. Und selbst wenn: Revisionen wurden bisher allenfalls erfolgreich darauf gestützt, dass die Öffentlichkeit nicht ausreichend hergestellt war, nicht darauf, dass es zu viel Öffentlichkeit gegeben hätte.
Leibesvisitation für Anwälte
Das OLG München hat sich wie in den schlechten alten Zeiten wie ein Gericht verhalten, das Unabhängigkeit mit Selbstherrlichkeit verwechselt und das sich der Staatsmacht weitaus eher verpflichtet fühlt als der Gesellschaft. So lassen sich die nur wenig verklausulierten kritischen Anmerkungen des Gerichtspräsidenten Karl Huber lesen, der sich im Pressegespräch vom 15. März über die große Zahl der Nebenkläger geäußert hatte. So klingt auch der Grundton der Sicherheitsverfügung vom 4. März „zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Hauptverhandlung“, die nicht nur das Prozedere für die Medienakkreditierung enthält, sondern die auch sicherstellt, dass die Hinterbliebenen der vom NSU Ermordeten eine eingehende Leibesvisitation über sich ergehen lassen müssen. Und nicht nur sie: „Die Verteidiger, Nebenklägervertreter, Nebenkläger, der Vertreter der Jugendgerichtshilfe und Sachverständigen werden ebenfalls auf Waffen und Gegenstände (durchsucht), die zur Störung der Hauptverhandlung geeignet sind.“
Ausgenommen vom Generalverdacht, sind in diesem Verfahren dagegen die Vertreter der Staatsmacht selbst. Durchsuchungen von Rechtsanwälten sind so symbolisch wie der gezielte Verzicht auf die Durchsuchung von Richtern, Bundesanwaltschaft und Polizisten. In diesem Verfahren sind diese symbolischen Gesten in besonderem Maße unangemessen. Verfügungen wie diese sehen bewusst davon ab, dass sich in den zahlreichen Sitzungen von Untersuchungsausschüssen gezeigt hat, dass es gerade Verflechtungen von Staatsmacht und NSU waren, die eine so lange Mordserie ermöglicht haben.
Oliver Tolmein ist Strafverteidiger und Autor
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