Das Grundgesetz verbietet in Artikel 3 Benachteiligungen wegen Geschlecht, Glaube, Herkunft oder auch Behinderung. Dennoch sind Diskriminierungen hierzulande an der Tagesordnung, und Rechtsschutz dagegen ist für die Betroffenen nicht vorgesehen. Grundrechte sind in Deutschland in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat, Private werden durch sie allenfalls mittelbar verpflichtet. Deswegen setzen sich Interessenverbände benachteiligter Gruppen seit Jahren dafür ein, dass ein zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz geschaffen wird, das auch im privaten Rechtsverkehr die Einhaltung von Mindeststandards gewährleistet. Ein Beispiel dafür ist Paragraph 611a BGB, der schon heute eine geschlechtsbezogene Benachteiligung von Arbeitnehmern durch Arbeitgeber verbietet. In der Rechtsprechung spielt diese spezielle Vorschrift, die zudem nur schwache Sanktionsmöglichkeiten eröffnet, bislang keine allzu große Rolle.
Das könnte beim neuen Projekt des Bundesjustizministeriums anders werden. Schon dessen Name ist Programm und signalisiert, dass es sich hier keineswegs um eine originäre Entwicklung deutscher Juristen handelt: "Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien". Ohne die Aktivitäten der EU-Kommission in den letzten Jahren wäre die Verhinderung von Benachteiligungen und Ausgrenzungen auch weiterhin kein Thema fürs deutsche Recht, das auch schon den Paragraph 611a nur auf Druck der EU ins BGB integriert hat.
Selbst jetzt, nachdem aufgrund der verspäteten Umsetzung der Vorgaben aus Brüssel bereits ein Verfahren gegen die Bundesrepublik in Gang gebracht wurde, gibt es noch massiven Widerstand interessierter Lobbygruppen gegen die Verabschiedung des Antidiskriminierungsgesetzes. Ob es Teile der CDU sind, Rechtswissenschaftler von der Universität oder der Bundesverband der Arbeitgeber - die Argumente sind stets die gleichen: Gesetze, die Benachteiligungen konsequent ahnden, würden gegen den Grundsatz der Privatautonomie verstoßen; außerdem schränkten sie das Eigentum und die unternehmerische Freiheit nachhaltig ein. Erhielten Verbände das Recht, gegen Gesetzesverstöße selbst zu klagen oder bekomme ein Bundesbeauftragter für den Schutz vor Diskriminierung, dessen Amt im neuen Gesetz geschaffen werden muss, zu viele Kompetenzen, fördere das die Bürokratie.
Dabei liest sich das im Dezember von Bundesjustizministerin Zypries veröffentlichte Paragraphengebinde, das einschließlich der Begründung 139 Seiten stark ist, keineswegs wie ein Werk kompromissloser Diskriminierungsgegner. Vielen konkreten Einwänden, die in den letzten Jahren von Haus- und Grundstückseigentümern, von Kirchen, Arbeitgebern und Rechtswissenschaftlern erhoben wurden, ist darin bereitwillig Rechnung getragen worden. Deswegen gelten die zivilrechtlichen Bestimmungen, die Benachteiligungen bei Verträgen verhindern sollen, beispielsweise immer dann nicht, wenn der Vertrag ein besonderes Vertrauensverhältnis der Parteien begründet.
Als gesetzliches Beispiel dafür wird das Wohnen auf einem gemeinsamen Grundstück genannt. Ein Vermieter, der in seinem Sechs-Parteien-Haus nicht an Türken, Schwarze, Homosexuelle oder Blinde vermieten will, hat dazu das Recht, wenn er im Haus selber wohnt oder auch nur in einem weiteren Bungalow auf diesem Grundstück lebt. Auch im Arbeitsrecht haben Arbeitgeber weiterhin die Möglichkeit ihre Beschäftigten insbesondere wegen ihres Geschlechts oder einer Behinderung unterschiedlich zu behandeln - wenn sie dafür nur einen sachlichen Grund haben. Auch Unternehmen können ihre Vertragspartner unterschiedlich behandeln. Beispielsweise dürfen Versicherungen weiterhin Risiken auf "statistisch gesicherter Grundlage" unterschiedlich kalkulieren und so unterschiedliche Gruppen ungleich zur Kasse bitten.
Dennoch wird das neue Gesetz, sollte es in seiner Substanz im Rahmen des parlamentarischen Beratungsprozesses nicht beschädigt werden, die rechtliche Position von Alten, Frauen, Homosexuellen, Behinderten, ethnischen und religiösen Minderheiten im Alltag spürbar stärken. Im Gegensatz zum Entwurf von 2001, der von den Gegnern einer starken Antidiskriminierungspolitik zu Fall gebracht werden konnte, ergänzt das jetzt vorgelegte Werk nicht nur das BGB um einige Paragraphen. Es ist vielmehr als eigenständiges Gesetz konzipiert, das eine einheitliche Lösung für alle Gruppen vorsieht, die Diskriminierung ausgesetzt sind.
Allerdings ist, bedingt durch die vier auf EU-Ebene verkündeten Richtlinien, die mit dem Gesetz umgesetzt werden sollen, das Schutzniveau der einzelnen Gruppen durchaus unterschiedlich. Der Schwerpunkt des Schutzes vor Diskriminierung für alle Gruppen liegt in den Bereichen Beschäftigung und Beruf. Hier lehnt sich der deutsche Entwurf auch bis in die Formulierungen hinein besonders eng an die EU-Vorgaben an. Neben Diskriminierungen sind hier auch Belästigungen, insbesondere sexueller Art, untersagt. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, ein Umfeld zu schaffen, in dem Benachteiligungen und Belästigungen unterbleiben. Vernachlässigen sie diese Pflicht, können Beschäftigte nicht nur Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangen, sondern auch im Einzelfall ihre Arbeitsleistung verweigern. Des weiteren untersagt der Entwurf, und darin geht er über die EU-Richtlinien hinaus, die Benachteiligung nicht nur von ethnischen Minderheiten wegen ihrer Herkunft, sondern auch von allen anderen gefährdeten Gruppen bei zivilrechtlichen Massengeschäften, wenn dafür kein sachlicher Grund existiert.
Viele der Bestimmungen enthalten unbestimmte Rechtsbegriffe und sind daher weit auslegbar. Wie effektiv mit diesem Gesetz Diskriminierungen bekämpft werden können, wird also in erheblichem Maße von den deutschen Gerichten abhängen, die sich in der Vergangenheit hier nicht als besonders sensibel hervorgetan haben. Erschwerend kommt hinzu, dass Verbände einzelne Betroffene zwar unterstützen können, es aber, anders als im Umweltschutz- und Verbraucherrecht, kein Verbandsklagerecht gibt. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die neu geschaffen wird, soll vor allem aufklären, aber keine Klagen unterstützen. Hier zeigt sich deutlich, dass es in Deutschland, anders als beispielsweise in England und den USA, keine Kultur des Kampfes gegen Diskriminierung gibt. Zudem gibt der Gesetzentwurf zwar einige wichtige Instrumente an die Hand, um in einzelnen Fällen Diskriminierungen zu bekämpfen, er hilft aber nicht dabei, strukturelle Benachteiligungen auszugleichen und - nach dem Vorbild der affirmative action in den USA oder des Engagements für Diversity - positive Maßnahmen zu ergreifen, um Migrantinnen oder Behinderte in einflussreichere Positionen zu bringen oder ihnen überhaupt Arbeit zu verschaffen.
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