Der Kronzeuge

NACHRUFE AUF IGNATZ BUBIS Größtenteils bestätigen sie sein letztes Interview im »stern«

Als das Grab des verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, in Berlin in die Luft gesprengt worden war, blieb die christliche deutsche Öffentlichkeit gelassen. Der zweifache Anschlag wurde in den Medien, wenn überhaupt, als Kurznachricht vermerkt. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog vermutete in einer geschäftig-knappen Presseerklärung die Tat eines »verwirrten Einzelgängers«. Der zunehmend offener und aggressiver zutage tretende Antisemitismus in Deutschland war als Thema unerwünscht.

Als Ignatz Bubis vor wenigen Wochen im stern eine kritische Bilanz seines Versuchs zog, in Deutschland »Vergangenheit und Zukunft zu verbinden«, regte sich die christliche deutsche Öffentlichkeit nicht, und auch die Politiker blieben still. Niemand war beunruhigt. Bubis hatte im stern gesagt: »Im öffentlichen Bewußtsein ist die Verantwortung für Auschwitz nicht verankert. Jeder in Deutschland fühlt sich verantwortlich für Schiller, für Goethe und für Beethoven, aber keiner für Himmler. Ein Großteil der Bevölkerung denkt wie Martin Walser. Ende. Zeit, Schluß zu machen, nur noch nach vorne schauen.«

Nach seinem Tod droht Ignatz Bubis nun in die Galerie der guten Deutschen aufgenommen zu werden. Als »deutschen Patrioten« denunzierte ihn Bundespräsident Johannes Rau und sein Vorgänger Herzog, der vom organisierten Neonazismus in Deutschland nichts wissen will, verkündete: »Unser Land verliert einen großen Deutschen, mit dem mich ergreifende Momente verbinden.« Uwe-Karsten Heye, dessen Kanzler Schröder noch vor kurzem angekündigt hatte, hierzulande werde man künftig »unbefangener, in einem guten Sinn sogar, Deutscher sein«, kommentierte Bubis' Tod mit der Bemerkung, der Verstorbene habe mit nie versiegender Kraft dazu beigetragen, die Schatten der Vergangenheit kleiner werden zu lassen. »Bubis hat viel bewirkt für Deutschland«, hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse dieses Interesse der Deutschen am Toten zufrieden bilanziert. Und genau dafür - und für nichts anderes - wollte die deutsche Gesellschaft ihn haben: Als Kronzeugen um der Welt klarzumachen, daß das große, wiedervereinigte Deutschland ein ganz normaler westlicher Staat mit einer ganz normalen Gesellschaft sei, in der sogar Jüdinnen und Juden ganz normal leben können. Nur, daß Deutschland das Land ist, in dem eben auch die Verfolgung und Vernichtung von Juden lange Zeit normal war. Die Normalität, die eine deutsche Gesellschaft herbeireden wollte, um sich und die Welt zu beruhigen, hatte eben nichts Beruhigendes.

Ignatz Bubis' Äußerungen im stern sind in den vergangenen Tagen von fast jedem, der ihn »als einen von uns« vereinnahmt hat, als verbitterte Bemerkungen eines Schwerkranken abgetan worden. »In Wahrheit hatte er keinen Grund über seine Leistung enttäuscht zu sein« kommentierte der Münchner Merkur großmütig - und legte damit, wie alle anderen, Bubis' Worte so aus, als habe er sich damit Gedanken über seine persönlichen Leistungen und Fähigkeiten gemacht. »Die Mehrheit hat nicht einmal kapiert, worum es mir ging«, sagte Bubis im stern-Interview. Sie hat es nicht verstanden, weil sie es nicht verstehen wollte. Deswegen hat sich in der Walser-Debatte keiner von denen, die heute den »deutschen Patrioten« Bubis loben, auf seine Seite geschlagen. Deswegen sind Bubis' Attacken gegen die de-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl als bloß moralische Ermahnung abgetan worden. Deswegen hat niemand seinen Vorschlag aufgegriffen, die Erinnerung an den Nationalsozialismus als Teil der deutschen Geschichte in die Präambel des Grundgesetzes zu schreiben. Daß der Bundeskanzler und der Außenminister ihre Routine weiter walten lassen, statt daß sie zu seinem Begräbnis nach Israel gefahren wären, sagt mithin Zutreffenderes aus als all die großen Worte und verdient insofern Zustimmung.

»Ein grundsätzliches Umdenken« hat es in Deutschland, das hat Ignatz Bubis unmißverständlich deutlich gemacht, nicht gegeben. Die Reaktionen des deutschen Establishments auf seinen Tod haben diese Erkenntnis unterstrichen. Für Ignatz Bubis' Nachfolger wirft das die Frage auf, wie er in dieser deutschen Gesellschaft agieren will, wie er in dieser Gesellschaft, die so engagiert borniert und ressentimentgeladen ist, handeln kann.

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