Der Täter und kein Richter

ERSEHNTER AUSWEG Der Fall Pinochet ist nicht unbedingt ein Plädoyer für den angestrebten "Internationalen Strafgerichtshof"

Das Verfahren gegen Augusto Pinochet dokumentiert, wie notwendig ein von allen Staaten unterstützter internationaler Gerichtshof ist." Mit diesem Resümee des Auslieferungsverfahrens gegen Chiles Ex-Diktator - platziert vor wenigen Tagen im Guardian - hat sich nun auch dessen Londoner Anwalt Michael Caplan unter die Kommentatoren des 16 Monate währenden Rechtsstreits gemischt. Ein Ständiger Internationaler Strafgerichtshof (ICC) als ersehnter Ausweg, um Konflikte zu bewältigen, wie sie der Fall Pinochet ausgelöst hatte? Die Einmütigkeit, mit der das beschworen wird, erstaunt. Sie steht im krassen Widerspruch zu einer schleppenden Ratifizierung, mit der erst sieben Staaten das 1998 verabschiedete Rom-Statut des ICC als rechtsverbindlich anerkannt haben.

Aber was wäre im Verfahren gegen Pinochet anders gelaufen, hätte es bereits den ICC und dessen Rechtssprechungskompetenz gegeben? Zunächst einmal, auch bei einem ICC hätte in Großbritannien eine Auslieferungsentscheidung getroffen werden müssen, und auch unter diesen Umständen wäre sie durch ein medizinisches Gutachten zu beeinflussen gewesen. Allerdings, Innenminister Jack Straw wäre vermutlich unter größeren politischen Druck geraten, hätte er versucht, sich des Problems - wie jetzt geschehen - durch ärztlichen Beistand zu entledigen. Sicher jedoch ist das keineswegs. Zieht man Erfahrungen mit den Internationalen Tribunalen für das frühere Jugoslawien und Ruanda in Betracht, so erscheint die Erwartung, mit einem Internationalen Gerichtshof könnten Verfahren gegen Urheber von Staatsterrorismus komplikationslos eingeleitet werden, zumindest zweifelhaft. Der derzeit so geläufige Verweis, ein solches Gremium werde der Gerechtigkeit schon zum Durchbruch verhelfen, überzeugt auch deswegen nicht, weil er einer Auseinandersetzung mit Grundproblemen internationaler Strafgerichtsbarkeit ausweicht. Momentan werden als deren Ziele vorzugsweise Genugtuung für die Opfer, Vergeltung und Abschreckung genannt. Internationales Strafrecht, das allgemein als ein modernes Strafrecht gilt, knüpft - wenn es auf Vergeltung zielt - gerade an vormoderne strafrechtliche Traditionen an. Es birgt insofern einen archaischen Kern. Auch Abschreckung ist beispielsweise im deutschen Strafrecht ein von den Gerichten nur überaus vorsichtig in Erwägung gezogener Strafzweck: Die empirischen Belege, dass Strafe wirklich abschreckt, sind rar, aber auch die Tatsache, dass ein Straftäter damit als Mittel zum Zweck gebraucht wird, zeigt die fragwürdige Dimension dieses Vorgehens. Zwar lässt sich argumentieren, Machthaber wie Pinochet hätten Verbrechen in einem solchen Ausmaß zu verantworten, dass an ihnen ein Exempel statuiert werden müsse, doch wer so argumentiert, sollte wissen, wie weit er sich damit von einem aufgeklärten Strafrecht entfernt. Zudem bewirkt das internationale Strafverfahren eine Individualisierung von strafrechtlicher Verantwortung, die unter dem Aspekt, dass Gewaltherrschaften vorgebeugt werden soll, wenig überzeugt. Denn Pinochets Regime war ohne die tätige Mitwirkung vor allem der USA (und der CIA) nicht vorstellbar. Die dafür Verantwortlichen dürften auch künftig nicht belangt werden. Daran würde auch der ICC, so wie er konzipiert ist, nichts ändern können - womit nicht einer Straffreiheit für Diktatoren das Wort geredet werden soll.

Das Verfahren gegen Pinochet, so wie es in Großbritannien begonnen wurde, ist unwiderruflich beendet - und der Londoner High Court hat dem britischen Steuerzahler gerade 500.000 Pfund für Verfahrens- und Anwaltskosten aufgebürdet. Andererseits ist seit der Rückkehr Pinochets in Chile der Druck gewachsen, dem früheren Junta-Chef nun doch den Prozess zu machen: Zwar will das Militär ein solches Verfahren mit aller Macht verhindern, der neue sozialistische Präsident Ricardo Lagos hat aber immerhin veranlasst, dass die Staatsanwaltschaft von ihrer bisherigen Linie abrückt und künftig direkt in die Ermittlungen bei den mittlerweile 72 angestrengten Verfahren involviert sein wird. Innerhalb der nächsten fünf Wochen wird eine Entscheidung des Revisionsgerichts in Santiago erwartet, das über die Aufhebung von Pinochets Immunität zu entscheiden hat. Der Ausgang dieses Verfahrens ist offen.

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