Ein Musterschüler, furchtbar modern

HEILQUELLE EMBRYONALZELLE Im Wettlauf mit den Briten bleibt Ethik auf der Strecke, und die Kritiker sind schlecht vorbereitet

Als in den westlichen Industriestaaten vor wenigen Wochen die Entschlüsselung des menschlichen Genoms gefeiert wurde, waren sich die tonangebenden Kräfte in Deutschland einig: Wir müssen wieder nach vorn. Nur wenn deutsche Wissenschaftler in der ersten Reihe der biomedizinischen Forschung stehen, können wir, versicherten sich Politik, Medien und Forschergemeinde gegenseitig, glücklich und zufrieden sein. Jetzt will die britische Regierung die Klonierung menschlicher embryonaler Zellen erlauben - und aus Deutschland klingt unüberhörbar Kritik: Von der Bundesärztekammer bis zum Bundesgesundheitsministerium, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bis zur katholischen Kirche wurde die Würde des menschlichen Lebens betont und vor übereilten Schritten gewarnt. Der schnelle Wechsel von überschwänglicher Begeisterung zu moralisierender Zögerlichkeit ist für die Auseinandersetzung mit bioethischen Fragestellungen in Deutschland charakteristisch. Hierzulande ist man eben traditionellerweise gerne Weltmeister in allen Disziplinen: Niemand soll ethischer sein als die geläuterten Deutschen, niemand soll aber gleichzeitig mehr von neuen Erkenntnissen profitieren. Solange es dem Ansehen der Nation in der Welt dient, sind wir Deutschen Musterschüler der eigenen Geschichte, wenn damit nichts mehr zu holen ist, können wir aber auch ganz anders, und das furchtbar modern. Deswegen beauftragt der Deutsche Bundestag einerseits eine Enquete-Kommission mit der Begutachtung der Folgen des biomedizinischen Fortschritts (ein Schritt fort von den intuitiven Grundannahmen eines Humanismus) und forciert gleichzeitig die Lockerung beispielsweise des restriktiven Embryonenschutzgesetzes.

So möchte es die Forschungs-Gemeinde jetzt auch gerne mit dem halten, was in der aktuellen Auseinandersetzung euphemistisch als »therapeutisches Klonen« bezeichnet wird - zutreffender aber als verbrauchende Embryonenforschung bezeichnet werden muss -, und wofür sich wieder einmal Großbritannien, die Heimstatt des Utilitarismus, als Wegbereiter versucht. Die deutsche Kritik am britischen Vorpreschen ist so pragmatisch und voller Wenn und Aber, dass sie kaum mehr im Sinn zu haben scheint, als Zeit zu überbrücken: Zeit, die gebraucht wird um zu entscheiden, ob es sich überhaupt lohnt, den gesellschaftlichen Konflikt um die Nutzung von Embryonenzellen auf die Spitze zu treiben. Vielleicht erweist sich nämlich die Nutzung erwachsener Stammzellen zur Züchtung von Organen oder Nervenzellen schon bald als aussichtsreicher für die Zwecke der Gentechnologen.

Die Bedenken, die derzeit den öffentlichen deutschen Diskurs bestimmen, werden sich dagegen schnell in Nichts auflösen, wenn die verbrauchende Embryonenforschung Ergebnisse erzielt, die von den Forschern als Erfolge interpretiert werden können. Darauf sind die GegnerInnen der Biomedizin und ihrer rabiaten Methoden im Kampf gegen Krankheit und Behinderung schlecht vorbereitet: Der argumentative Rückgriff auf das Konzept »Menschenwürde« verspricht wenig, weil die Embryonen, die zumeist nur aus wenigen Zellen bestehen, anders als die Menschen mit Alzheimerscher oder Parkinsonscher Erkrankung, denen geholfen werden soll, intuitiv gerade nicht als »Menschen« wahrgenommen werden. Zum anderen hat die Bioethik-Debatte längst dazu geführt, dass der wenigstens in groben Umrissen vorhandenen gesellschaftlichen Konsens, was die »Würde« des einzelnen Menschen ausmachen könnte, der gegen sie mobilisiert werden soll, fragmentiert ist.

Die Kritik an der Biomedizin und ihren Vorgehensweisen muss deswegen, will sie sich auf lange Sicht nicht selbst aufgeben, statt sich auf eine aufs Individuum fixierte, essentialistische Konzeption von »Würde» zu berufen, eine Auseinandersetzung darum in Gang setzen, wie sich die sozialen Beziehungen durch die Verwertung und Nutzbarmachung von menschlichen Körpern verändern. Eine strategische Opposition gegen die biomedizinischen Konzepte, die mehr will als von Bedenken zu Bedenken zu stolpern, kann nicht auf der Unantastbarkeit der Natur beharren. Ihre Aufgabe ist es, eine umfassendere Gesellschaftstheorie des Sozialen zu entwickeln.

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