Keine Entscheidung über Transplantationen

DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHT WILL NICHT IN DIE BIOETHISCHE DEBATTE EINBEZOGEN WERDEN Für anstehende Kontroversen in der Transplantationsmedizin fehlt ein gesellschaftliches Forum

Die Angestellten der Freien und Hansestadt Hamburg bekamen zu ihrer Gehaltsabrechnung im August eine interessante Anlage: Einen Organ spendeausweis mit dem Hinweis »Organ spende schenkt Leben«. »Heute kann die Medizin kranken und behinderten Menschen durch eine Organtransplantation die Chance auf ein neues Leben eröffnen. Deshalb bitten wir Sie, Ihre Entscheidung zu treffen.« Eine ausführlichere Information zum Thema, einen Hinweis auf die Problematik des Hirn tods und auf sonstige Kritik an der Transplantationsmedizin enthielt das Schreiben nicht. Allein eine abgedruckte Telefonnummer des »Arbeitskreises Organspende« war als weiterführende Quelle angegeben.

Die Aktion, die das Personalamt in Abstimmung mit der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales durchgeführt hat, ist charakteristisch für die gegenwärtigen Bemühungen, die Spendenbereitschaft zu erhöhen. Auch die grüne Bundesgesundheitsministerin, Andrea Fischer, hat angekündigt, ihr Ministerium wolle sich darum bemühen, die Zahl der Organe, die transplantiert werden können, zu erhöhen. Offensichtlich hat das mühsam durch den Bundestag gebrachte Transplantationsgesetz sein erklärtes Ziel, mehr Leute zu motivieren, Organe nach dem Tod zur Verfügung zu stellen, nicht erreicht. Das kann an ethischen Bedenken der potentiellen Spender liegen, an deren mangelnder Bereitschaft, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen oder einfach Ausdruck einer Haltung sein, in der die Situation von Menschen, die Organe benötigen, nicht interessiert.

Für die willigen Mediziner erhöht das den Druck, transplantationsfähige Xeno-Organe zu entwickeln, Tierorgane, die biologisch so manipuliert wurden, dass die Ärzte hoffen können, sie werden von den menschlichen Empfängern nicht abgestoßen.

Dass ihnen Versuchsmenschen für solche Übertragungsexperimente fehlen werden, ist nicht zu vermuten: Die Lage potentieller Empfänger ist so verzweifelt, dass sie oft genug bereit sein werden, alles mit sich machen zu lassen, um die Chance für eine Transplantation zu erhalten. Und das Organtransplantationsgesetz enthält keine Regelung, die bestimmte Anforderungen an die Entwicklung dieser künftigen Verfahren stellen würde oder ihre Anwendung begrenzen könnte (siehe unten stehenden Beitrag).

Welche dramatischen Konstellationen schon heute die Transplantations-Szene prägen, wurde in mehreren Verfassungsbeschwerden sichtbar, die sich gegen das Or gantransplantationsgesetz richteten: Die Beschwerdeführer wollten gegen die Bestimmungen angehen, die eine Spende von lebenden Menschen unter strenge Voraussetzungen stellen. Allein die Übertragung von Organen - in Frage kommen vor allem Nieren - auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder andere Personen, die zum Spender offensichtlich ein besonders intensives persönliches Verhältnis haben, sind nach dem Transplantationsgesetz von 1997 erlaubt. Allerdings war diese Grenzziehung schon im Gesetzgebungsverfahren umstritten, weil gerade besondere Nähe auch einen besonders hohen Druck erzeugen kann, das Gefühl, verpflichtet zu sein, ein Organ für einen nahen Angehörigen zu spenden, obwohl das vor allem mittel- und langfristig erhebliche Gefahren nach sich ziehen könnte und die zwischenmenschlichen Beziehungen möglicherweise außerordentlich belastet.

Mit der Verfassungsbeschwerde, die jetzt von der Ersten Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht angenommen worden ist, wurde dagegen bezweckt, die Möglichkeiten für Lebendspenden gegenüber dem Gesetz auszuweiten: Ein an Nierenversagen und Diabetes leidender Patient, ein spendenwilliger Mann, der mit ihm nicht verwandt ist und ein Transplantationschirurg hatten dagegen geklagt, eine entsprechende Operation nicht durchführen zu können und dadurch in ihren Grundrechten verletzt zu sein.

Mit seiner Entscheidung, diese Verfassungsbeschwerde ebenso wie die Anfang des Jahres gegen das Transplantationsgesetz gerichtete nicht anzunehmen, hat das Bundesverfassungsgericht vermieden, sich in die Kontroverse um Medizinethik einzumischen. Die Gründe überzeugen allerdings nur teilweise: Die Verfassungsrichter mögen Recht darin haben, dem Gesetzgeber einen großen Handlungsspielraum zu eröffnen, wie er die »Freiwilligkeit« der Organspende und damit den Schutz potentieller Lebendspender sicherstellen will. Dass sie die Interessen des Erkrankten demgegenüber niedrig gewichten, weil es für ihn »regelgemäß auch die Möglichkeit der Transplantation eines postmortal gespendeten Organs gibt«, kann angesichts der vorhandenen langen Wartelisten nicht überzeugen. Hier hat ein vorsichtig gewordenes Gericht - gerade in den letzten Jahren ist die Kritik an seinen Entscheidungen gewachsen - versucht, sich aus der Affäre zu stehlen.

Andernfalls hätte es wohl in den scharf, aber vorwiegend in Spezialistenkreisen geführten Kontroversen um die Ansprüche von Patienten an ein Krankenversorgungssystem, um ethische Grenzen moderner medizinischer Verfahren, um die Reichweite des Grundsatzes, dass auch Selbstgefährdung erlaubt ist, Stellung beziehen müssen. Dass es das nicht getan hat, mag man begrüßen, weil ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechtsbindungskraft entfaltet und deswegen die Auseinandersetzung möglicherweise beendet hätte, bevor sie auf gesellschaftlicher Ebene geführt werden konnte. Es hätte allerdings auch anders kommen können: Eine Entscheidung, die die unversöhnlichen Positionen auf den Punkt bringt, ohne eine eindeutige Lösung vorzugeben, hätte als Katalysator dafür wirken können, den Konflikt über die künftige Entwicklung in diesem Bereich in größerem Maßstab offen auszutragen.

Die Situation, die jetzt erhalten bleibt, ist nicht unerträglich: Das Transplantationsgesetz sichert, bei aller Kritik, die man an Festlegungen wie dem Hirntod haben mag, ein gewisses, unverzichtbares Niveau an Schutz: Für die kommenden Problemlagen, die künftigen Begehrlichkeiten in diesem Sektor gibt die Entscheidung allerdings keine Antworten, nicht einmal wirklich eine Richtung vor. Und derzeit eröffnet sich außerhalb der Expertenzirkel auch noch kein gesellschaftliches Forum, das für die Diskussion der anstehenden Fragen einen wichtigen Impuls geben könnte.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden