Wenn das Schweigen bricht

Buback-Prozess Die frühere RAF-Terroristin Verena Becker will aussagen. Aber ist das Gericht der richtige Ort für die Wahrheitsfindung?

Der Prozess gegen Verena Becker zieht sich – und hat bislang wenig dazu beigetragen, Wahrheit zu finden: weder über die RAF, noch über die Zusammenarbeit von Becker mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Und auch über den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, seinen Kraftfahrer Wolfgang Göbel und den Justizbeamten Georg Wurster 1977 hat die deutsche Öffentlichkeit bislang nichts erfahren, was ihr ermöglicht hätte, sich ein zuverlässigeres Bild von den Ereignissen im Deutschen Herbst zu machen.

Nun will Verena Becker reden. Für den nächsten Verhandlungstag am Montag hat sie eine Erklärung angekündigt. In der Öffentlichkeit hat das für Aufsehen und Spekulationen gesorgt, zumal ihr Anwalt Hans Wolfgang Euler signalisiert hat, sie werde sich „umfassend zur Sache äußern“ und noch klarer: „ Sie wird sagen: ja oder nein.“ Fragen werde sie danach allerdings voraussichtlich nicht beantworten.

Wozu aber will sie „ja oder nein“ sagen? Zum Anklagevorwurf, sie sei Mittäterin beim gemeinschaftlich begangenen Buback-Mord gewesen? Vermutlich. Doch die Anklage beinhaltet nicht, dass sie selbst damals auf Siegfried Buback geschossen hat. Das vermutet jedoch dessen Sohn. Wird sie auch auf den Vorwurf des Nebenklägers Michael Buback mit „ja oder nein“ antworten: dass sie die Schützin war? Die angekündigte Dauer der Erklärung von einer Viertelstunde über einen komplexen Sachverhalt, in dem auch die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und die Umstände ihrer Begnadigung durch Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1989 eine Rolle spielen, spricht jedenfalls nicht dafür, dass Becker nun ihre ganze Geschichte erzählen wird.

Bekennermut als Klischee

Warum auch und wie – unter den Bedingungen einer Mordanklage, die eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen könnte? Der Strafprozess ist auch unter günstigeren Bedingungen, als in einem Staatsschutzverfahren, kein Ort, an dem nach der ganzen Wahrheit und nichts als der Wahrheit gesucht wird. Der Strafprozess ist ein formalisiertes Verfahren, in dem der Angeklagte das Recht hat zu schweigen, in dem Zeugen Aussageverweigerungsrechte haben, in dem bestimmte Beweise nicht verwertet werden dürfen.

Das Verfahren gegen Verena Becker hatte als Vorspiel zudem eine harte Auseinandersetzung um die Freigabe von Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz über Kontakte mit ihr. Die Akten wurden der Justiz nicht vollständig übermittelt, ein entscheidendes Tonband und die Abschrift davon sollen verschwunden sein. Die Anklagebehörde durfte immerhin ein Konvolut von 20 Bänden einsehen. Beckers Verteidigung erhielt wesentlich weniger.

Im Strafprozess wird klassischerweise versucht herauszufinden, was ein Angeklagter getan und inwieweit er dadurch individuell Schuld auf sich geladen hat. Der Angeklagte, der angesichts des Vorwurfes zu seinem Verhalten steht, der es entschuldigend erklärt oder überzeugend voll Engagement abstreitet, ist dabei wenig mehr als ein Klischee: Bekennermut zeigt sich meist vor allem angesichts einer erdrückenden Beweislage – oder, man denke an die Prozesse gegen RAF-Angehörige in den siebziger Jahren, wenn Verfahren politisch geführt werden sollen. Stundenlange Prozesserklärungen, voluminöse Beweisanträge der Verteidigung, die verlangten, Politiker aus allerlei Nationen und von jedweder Couleur zu laden, um Hintergründe und Legitimität der Taten zu belegen, gehörten damals zum Prozessalltag – und die Justiz war ihrerseits bemüht, die Angeklagten eher zum Schweigen als zu weiteren Erklärungen zu bringen.

Ein bizarrer Ausdruck dieser Verschiebung von Akzenten ist ein Streit, der Anfang der achtziger Jahre die Medien bewegte: Hatte es bis dahin nach Anschlägen „Bekennerschreiben“ gegeben, die bisweilen veröffentlicht wurden, war nunmehr nur noch von „Selbstbezichtigungsschreiben“ die Rede: Individuelle Bekenntnisse, sonst sehr gefragt, sollte es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr geben, nur noch die an Denunziation erinnernde, negativ konnotierte Selbstbezichtigung.

So oder so ging es in den Prozessen gegen RAF-Mitglieder meist nicht in erster Linie um individuelle Verantwortlichkeiten und Schuld, den Anklägern so wenig, wie den Angeklagten. Diese sahen sich als Kollektiv, das politisch handelte, jene nutzten die rechtlichen Möglichkeiten, die ihnen insbesondere der Paragraph 129a StGB , die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, gab. Angesichts erheblicher Beweisprobleme im Detail kam man so doch durch Zuschreibung von Taten in der Gruppe zu einer schlüssigen Verurteilung – auch im Fall der Morde an Siegfried Buback, Wolfgang Göbel und Georg Wuster. Liest man das Urteil des OLG Stuttgart gegen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar von 1985 in dieser Sache, dann staunt man über die doch eher saloppe und nicht besonders an Detailfragen interessiert wirkenden Beschreibungen und Beweiswürdigungen.

Nicht die alten Schlachten

Hier sollen nicht die alten Schlachten gegen die Justiz der siebziger und achtziger Jahre geschlagen werden. Der Hinweis erscheint aber wichtig, dass die Justiz in der die politische Verhältnisse so prägenden Auseinandersetzung mit der RAF und ihren Attentaten ein Akteur und kein neutraler Beobachter war. Eine Aufarbeitung dieses Kapitels in der Justiz hat es noch nicht einmal ansatzweise gegeben.

Es gibt also gute Gründe daran zu zweifeln, dass ein Verfahren vor einem Staatsschutzsenat in Stuttgart-Stammheim heute ein besonders gutes Forum ist, die Wahrheit über das zu erforschen, was damals geschah – auch wenn man das Bemühen der Hinterbliebenen gut nachvollziehen kann, endlich wissen zu wollen, wie sich die Tat im Einzelnen zugetragen hat, wer tatsächlich geschossen hat und wieso eine so entscheidende Frage nicht schon im ersten Prozess beantwortet wurde.

Der Nebenkläger Michael Buback weiß das. Bei einer Veranstaltung im Stuttgarter Haus der Geschichte 2007 diskutierten wir auf dem Podium – und ich wandte damals gegen neue und weitere Prozesse ein, dass sie die Wahrheitsfindung kaum befördern würden, dass eine bessere Chance, Menschen zum Reden zu bringen, eine Art „Wahrheitskommissionen“ wären, die nach anderen Regeln und vor allem mit einem anderen Ziel – Aufklärung statt Bestrafung – arbeiten würden. Buback begrüßte damals die Idee. Doch obwohl diese auch von anderen Autoren, etwa der Journalistin Carolin Emcke in ihrem Buch „Stumme Gewalt“, vorangetrieben wurde, blieb sie eben bloß eine Idee.

Dass Buback dann die Chance nutzte, im Prozess als Nebenkläger aufzutreten, statt auf eine andere Gelegenheit zu warten, kann nicht überraschen. Aber gerade dieses Verfahren zeigt, wie schwierig es ist, Aufklärung unter den Bedingungen des Strafprozesses zu betreiben – wenn dann auch noch Teile des Staatsapparates, wie genau auch immer, in die aufzuklärende Tat verstrickt scheinen. Aufklärung allerdings wäre wichtig.

Lange Zeit beharrten ehemalige Mitglieder der RAF, die mehr wussten, als sie je gesagt hatten, dass über die Taten niemand reden könne, der noch in Haft sitze und damit direktem Zugriff des Staates unterstehe. Dann wurden die Gefangenen nach und nach entlassen. Jetzt lautete die nicht weniger stereotype Antwort auf die Frage nach Fakten und Details: Die Strafandrohung dauert fort. Die Bemühungen des Stuttgarter Gerichts, ehemalige RAF-Mitglieder durch Androhung von Beugehaft zu Aussagen zu zwingen, hat die Bereitschaft zu informieren nicht wirklich befördert. In dem Stuttgarter Verfahren haben in den letzten Monate viele nichts gesagt und einige, die es wahrscheinlich auch nicht wissen können, haben wortreich nicht zur Aufklärung beigetragen.

Jetzt also will Verena Becker reden. Doch es wird eben ein Reden unter den Bedingungen des Strafprozesses sein. Das macht es für sie nicht gerade leicht. Wenn sie „nein“ sagt zu den Punkten der Anklage, werden es viele für eine Ausflucht halten, für ein nachvollziehbares, aber nicht unbedingt glaubwürdiges Leugnen. Sollte sie „ja“ sagen, wäre das eine Sensation, und es könnte Erleichterung für die Hinterbliebenen bedeuten und vielleicht doch noch eine Chance zu erfahren, wie es wirklich war. Aber auch ein solches „Ja“ wäre keine Legitimation des Strafverfahrens. Einiges deutet darauf hin, dass Becker zu dem Zeitpunkt, als sie festgenommen und in dieses Verfahren gezwungen wurde, schon dabei war, auf die Suche Michael Bubacks nach der Wahrheit zu reagieren. Es wäre gut, wenn künftig die Aufklärung – sowohl der RAF-Taten, als auch der Reaktion des Staates darauf – ein unabhängigeres Forum fände als das Stammheim Mehrzweckgebäude.


35 Jahre Schweigen: Verena Becker und der Buback-Mord


Verena Becker wird am 27. August 2009 festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht; sie wird verdächtigt, 1977 am Mordanschlag der Rote Armee Fraktion auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback beteiligt gewesen zu sein. Zuvor waren DNA-Spuren Beckers an einem Bekennerschreiben entdeckt worden.

Becker wird Ende 2009 aus der Untersuchungshaft entlassen, aber im April 2010 von der Bundesanwaltschaft wegen Beihilfe zum Buback-Attentat angeklagt. Im September beginnt das Verfahren in der Mehrzweckhalle in Stuttgart Stammheim, dem Ort, wo auch Gudrun Ensslin und Andreas Baader auf der Anklage- bank gesessen hatten. Später verlegt das Gericht den Prozess ins Stuttgarter Gerichtsviertel. Becker schweigt zu den Vorwürfen.


Als Nebenkläger tritt Michael Buback auf, der glaubt, Becker sei es gewesen, die auf seinen Vater geschossen habe. Die Bundesanwaltschaft sieht in Becker eher die Mittäterin. Im Zuge der Ermittlungen bestätigen sich frühere Informationen, dass sie Informantin des Verfassungsschutzes gewesen sein soll. Bisher nie gehörte Zeugen werden vorgeladen, auch Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP) und zehn frühere RAF-Terroristen, wie Peter-Jürgen Boock, der lange als wichtigster Zeuge galt.

Boock hatte erklärt, Becker sei bereit gewesen, Buback zu töten, dann hatte er RAF-Mitglied Stefan Wisniewski als Schützen verdächtigt. Im Februar 2011 hält er sich jedoch als Zeuge bedeckt. Eine Augenzeugin, die eine Frau als Schützin auf dem Motorrad gesehen haben will, ver-strickt sich in Widersprüche. Alle warten nun auf Beckers angekündigte Erklärung. Bra

35 Jahre Schweigen: Verena Becker und der Buback-Mord


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