Das Demokratieproblem

Establishment Während wir in Deutschland über Griechenland diskutieren, merken wir gar nicht, dass es gar nicht um Griechenland, sondern um die Herrschaft des Establishment geht.

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Am Sonntag stimmen die Griechen über die Austeritätspolitik ab, während die AfD am diesen Wochenende die letzte Runde im Machtkampf zwischen den liberal-konservativen Flügel um Bernd Lucke und den Nationalkonservativen um Franke Petry einläutet. Obwohl beide Abstimmungen so unterschiedlich sind wie sie sein können, geht es doch um dasselbe.

Das griechische Referendum wird hierzulande ganz klar als Provokation gesehen, nicht etwa als Akt der Demokratie. Sowohl die unterschiedlichsten "Qualitätsmedien", von der BILD-Zeitung bis zu der Süddeutschen, als auch die Politik und eine Reihe von Wirtschaftsvertretern betreiben eine Hetzjagd gegen die Regierung von Tsipras. Überrascht tun manche Journalisten, wenn plötzlich Ökonomen wie Joseph Stiglitz oder Thomas Piketty in Interviews dort nicht mitmachen und gegen die Sparpolitik, das größere Problem des griechischen Übels, wettern. Dabei lassen sich alle Drei, die Wirtschaft, die Politik und die Medien, die in einen bürgerlich-kapitalistischen Staat kaum wegzudenken sind, einfach im Begriff des politischen Establissement zusammenfassen, welche natürlich in Europa - und deren Nationalstaaten - fest verankert und stabil sind.

In den Vereinigten Staaten beispielsweise ist das Establissement besonders stabil, ausgeprägt und einflussreich. Hier hat die Wirtschaft erheblichen Einfluss auf die Politik, die Beiden wiederum auf die Medien, welche letztlich doch die Bevölkerung und damit den demokratischen Willen erreicht. In Deutschland ist es ähnlich. Der Einfluss der Regierungsmeinung merkt man nicht nur beim Thema Griechenland - sondern auch dass die "moderaten" Grünen im Durchschnitt in der Berichterstattung zum Bundestag deutlich häufiger erwähnt werden als beispielsweise die um ein Abgeordneten größere Linksfraktion, die die eigentliche Oppositionsführung innehat.

Als Tsipras vergangenes Wochenende ein Referendum zu der Austeritätspolitik angekündigte, war seitens der EU-Kommission und der deutschen Regierungskoalition die Aufregung groß. Was viele dabei vergessen ist, dass Tsipras nicht Teil des europäischen Establissement ist. Dadurch verliert die deutsche Regierung einen erheblichen Teil der Stabilität ihrer Macht in der Europapolitik.

Was haben nun aber die Medien, das Establishment und das griechische Referendum miteinander zu tun? Mit der griechischen Linksregierung ging erstmals eine Koalition an den Start, die weder sozialdemokratisch, liberal oder konservativ ist, noch zum Establissement gehört. Dadurch wackelt zum ersten Mal seit der Gründung der EU die Vorherrschaft in Europa und innerhalb der einzelnen jeweiligen Mitgliedstaaten, auch wenn dies nur das Produkt eines demokratisch-legitimierten Prozesses ist. Es geht also in erster Linie bei einer Lösung zum Beispiel für Griechenland nicht um das eigentliche Thema, sondern darum die Demokratie als Gefahr für das "Establissement" zu diskreditieren.

Die Alternativen? Ich bin wahrhaftig kein Konservativer oder Freund der AfD, aber jedes AfD-Mitglied hat dieses Wochenende erheblichen Einfluss auf die Entscheidung eines monatelangen Richtungsstreiks. So gibt es in dem undemokratischen Europa doch noch Demokratie. Man muss sie nur suchen, und da fängt man am Besten nicht bei einer EVP-, SPE- oder ALDE-Mitgliedspartei an. Das Ergebnis auf dem AfD-Parteitag lässt sich übrigens genauso wenig vorahnen wie dass beim griechischen Referendum am Sonntag. Demokratie eben.

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