„Oh weh! Kein Witz“

Interview Norman Manea könnte der nächste Literaturnobelpreisträger sein. Nicht nur diesbezüglich ist er skeptisch
Ausgabe 30/2016

Auch als alter Mann bleibt Norman Manea das Enfant terrible der rumänischen Literatur. Obwohl er seit drei Jahrzehnten im Ausland lebt – Berlin, Washington, heute New York –, horcht er weiter die alte Heimat ab, skeptisch und ironisch, Buch für Buch, mal Essay, mal Roman.

Zu seinem 80. Geburtstag organisierten seine Verehrer ein Schriftstellertreffen in Bukarest. Die Crème der rumänischen Intelligentzija fand sich ein, dazu viele seiner ausländischen Verleger; er ist in über 20 Sprachen übersetzt. Auch Kollegen wie Antonio Muñoz Molina und Alberto Manguel kamen, um einen der letzten großen Repräsentanten der kosmopolitisch-jüdischen Kultur Osteuropas zu feiern. Unser Autor traf den heißen Kandidaten für den Literaturnobelpreis im Café Capsa.

der Freitag: Herr Manea, warum treffen wir uns hier?

Norman Manea: Das Capsa war zwischen den Kriegen das Lieblingslokal der Boheme und der Prominenz. Cioran, Mircea Eliade, Ionesco und Mihail Sebastian hielten hier Hof. Und zur Zeit des Kommunismus gab es hier gutes Essen und aufmerksame Bedienung – beides Seltenheiten unter Ceaușescu.

Sie haben kürzlich den Stern von Rumänien erhalten, die höchste Auszeichnung der Republik. Bedeutet das etwa, dass Sie sich nun doch mit Rumänien versöhnt haben?

Dieser Orden ist eher ein Trost als eine Anerkennung. Er wurde mir Ende Mai in der rumänischen Botschaft in Berlin verliehen, am rumänischen Shoa-Gedenktag. Ich sehe darin eine dieser Manipulationen, in denen die Rumänen Meister sind: als sei es für sie unmöglich, mich als einen vollwertigen rumänischen Autor zu betrachten.

Immerhin haben die Universität Bukarest und Ihr Verlag Polirom mit großem Aufwand Ihren 80. Geburtstag begangen.

Ich habe hier einen großartigen Verlag und wunderbare Freunde. Mein Verhältnis zu Rumänien hat sich gebessert, nicht zuletzt weil der neue Präsident, Klaus Johannis, anders ist als seine Vorgänger. Er war ja vorher Bürgermeister von Sibiu, er ist Lutheraner und Angehöriger der deutschen Minderheit in Transsilvanien. Er gehört also nicht der orthodoxen Mehrheit im Land an, und er hatte kein Problem damit, die höchste rumänische Auszeichnung an einen Juden zu verleihen.

Seine Vorgänger hätten das nicht getan?

Sie haben es jedenfalls nicht getan. Und hätten sie es getan, dann wäre es ein Skandal gewesen. Man dekoriert doch nicht einen Verräter, der unserem Nationalhelden Mircea Eliade an den Karren fährt.

Was haben Sie über Eliade geschrieben?

1991 erlaubte ich es mir, an die faschistische Vergangenheit dieser Ikone des postkommunistischen Rumänien zu erinnern, an seine Unterstützung für Codreanus Eiserne Garde. Der Artikel erregte einiges Aufsehen. Mircea Eliade war ein Intellektueller von internationalem Format, ein glühender Antikommunist, ein Rechter, der sich von seinen Jugendsünden nie distanziert hat. Ihn anzugreifen wurde als Attacke gegen Rumänien selbst aufgefasst. Mich nannten sie dann einen Ausländer, einen Vaterlandsflüchtling, ein kosmopolitisches Element … Lange Zeit verspürte ich nicht das Bedürfnis, nach Rumänien zurückzukehren.

Zur Person

Norman Manea wurde 1936 in der Bukowina geboren. Als Fünfjähriger wurde er in ein Konzentrationslager in Transnistrien deportiert. Später arbeitete er als Ingenieur, unter Ceaușescus nationalkommunistischer Diktatur suchte er Zuflucht im Schreiben, bis er ins Exil gezwungen wurde. Zu seinen bekanntesten Titeln zählen Über Clowns (1997) und Die Rückkehr des Hooligan (2003)

Irgendwann taten Sie es doch – davon handelt auch Ihr Buch „Die Rückkehr des Hooligan“.

Bei diesem Aufenthalt 1997, elf Jahre nach meiner Ausreise, und auch beim nächsten, wieder elf Jahre später, habe ich aber nur meine Freunde und Friedhöfe besucht. Mittlerweile sind meine Anschuldigungen gegen Eliade von etlichen Forschern bestätigt worden. Das Land entwickelt sich. Präsident Johannis hat dem Ameisenhaufen schon einen kräftigen Tritt versetzt. Er geht gegen die Korruption vor. Jeden Tag ist der Klüngel nun in den Schlagzeilen, es wird ermittelt, und ein paar Politiker sitzen schon im Gefängnis.

Sind die Rumänen denn mit ihrem Präsidenten zufrieden?

Sie werfen ihm vor, dass er zu wenig Humor habe, zu schwerfällig sei, wie die Karikatur eines Deutschen. Und es stimmt, Johannis ist längst nicht so ein guter Lügner wie die anderen rumänischen Politiker. Die sind seit Ceaușescus Sturz die reinsten Wetterhähne. Regelmäßig wechseln sie die Partei, bloß um die nächste Wahl zu gewinnen. In Rumänien ist nichts stabil, alles steht zur Disposition. Es heißt, diese Haltung sei darauf zurückzuführen, wie die Rumänen lernten, mit ihren unterschiedlichen Besatzern zurechtzukommen, mit den Osmanen, mit den Deutschen, mit den Russen. 1945 hatte die Kommunistische Partei Rumäniens gerade mal 1.000 Mitglieder, 1989 waren es vier Millionen. Sie war die größte Partei des ganzen Ostblocks, und das, obwohl so gut wie niemand im Land je Kommunist gewesen ist. Rumäne zu sein ist keine Identität, sondern ein Beruf.

In letzter Zeit scheinen in Mittel- und Osteuropa die Zustände der Zwischenkriegszeit wiederzukehren: Wackelige Demokratien nehmen zunehmend autoritäre Züge an. Wie erklären Sie sich das?

Sie haben ihre eigenen Legionen der Elenden geschaffen. In ganz Osteuropa bildete sich nach dem Fall des Kommunismus eine neue Klasse der Reichen heraus. Viele hatten enge Verbindungen zur alten Nomenklatura. Sie sind in die Politik genauso eingestiegen wie ins Geschäftsleben: mit Korruption und Demagogie. Mit jedem neuen Skandal wenden sich mehr Leute von diesen Politikern ab. Sie gehen dann den neuen Populisten auf den Leim, die versprechen, mit den korrupten Postkommunisten aufzuräumen, und dabei nationalistische Töne anschlagen. Diese Neopopulisten sind weit gefährlicher als ihre Vorgänger.

Vor Jahren sagten Sie, es sei schwierig, wenn nicht unmöglich, zugleich Rumäne und Jude zu sein. Würden Sie immer noch dasselbe sagen?

Heute wie in den 1930ern ist die nationalistische Rechte der Meinung, ein wahrer Rumäne könne nur orthodoxer Christ sein. Hannah Arendt nannte Rumänien das antisemitischste Land der Welt; da ist die Konkurrenz allerdings groß. Es gibt heute nur noch 3.000 Juden in Rumänien, die meisten sind alte Leute, während es vor dem Krieg über 800.000 waren. Damals glaubten viele, die Juden seien mit fremden spirituellen und finanziellen Mächten im Bund, die Rumänien schaden würden. Man warf ihnen vor, sie hätten sowohl den Kapitalismus als auch den Kommunismus eingeführt. Ceaușescus Regime verkaufte seine Juden dann an Israel, für 10.000 Dollar pro Kopf. Heute haben die Juden in Rumänien keine Bedeutung mehr. Der Staat kümmert sich um sie, der Holocaust wird an allen Schulen unterrichtet, aber ich glaube, das geschieht aus Opportunismus. Die Rumänen glauben, Hillary Clinton, Donald Trump und Angela Merkel seien Juden.

Und François Hollande?

Der natürlich auch. Allerdings ein sephardischer.

Sie haben Nicolae Ceaușescu den großen Karpatenclown genannt. Wie nennen Sie denn Donald Trump?

Trump entspricht der Karikatur des amerikanischen Kapitalisten in der kommunistischen Propaganda: gierig, eitel, ungebildet, leichtfertig und unermesslich reich. Doch, o weh!, er ist nicht nur ein Witz. Das System des Machtgleichgewichts, das die amerikanischen Gründerväter ersannen, um zu verhindern, dass ein Diktator ans Ruder kommt, funktioniert nicht mehr. Die Grundlagen dieses Systems waren die Meinungsfreiheit und der freie Wettbewerb. Erstere wird heute mit viel Geld manipuliert, und Letzterer wütet immer hemmungsloser. Amerika wird sich neu erfinden müssen.

Warum haben Sie über die USA so wenig geschrieben?

Ich war zu schüchtern. Ich fand, man müsste ein Land genau kennen, ehe man es literarisch verwertet. Heute bedaure ich das. Ich weiß nicht, ob mir die Zeit bleibt, um zu schildern, was die Menschen einander in einer freien Gesellschaft antun können, nachdem ich es in einer Diktatur getan habe.

Sie sind im Gespräch für den Literaturnobelpreis. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Ich habe keine Verwandten im Nobelpreiskomitee.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Michael Ebmeyer

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden