Schon Börne wusste: auch der erste Grobian von Deutschland kann die zartesten Lieder dichten. Gemälde von Moritz-Daniel Oppenheim.
Irgendwann in den Siebzigern hielt der Schriftsteller Michael Ende in einer hiesigen Buchhandlung eine Dichterlesung. Als Autor des Bestseller-Romans „Momo“ hatte er zumal in der „alternativen Szene“ viele Verehrer, vor allem aber Verehrerinnen. Die waren gekommen, um in ihm die schöne Seele wiederzuerkennen, die sie in ihm aufgrund des Buches imaginierten. Er jedoch enttäuschte die entsprechenden Erwartungen bewusst und zielgerichtet, indem er erklärte, es sei sein Beruf, Geschichten zu erfinden und zu erzählen, mit seiner Person hätten diese wenig zu tun.
Dies ist sozusagen das positive Gegenbeispiel zu dem Versuch, im Werk Sarrazins einen psychischen Defekt des Autors auszumachen, dessen angebliche Gefühlskälte aber vielleicht nur dem äußeren Eindruck entnommen wird. Daniel Bax von der taz, Sarrazin gewiss nicht freundlich gesonnen, entschuldigt den Ausfall Mely Kiyaks gegen diesen so:
„Offenbar war ihr nicht bekannt, dass Sarrazin an einer halbseitigen Gesichtslähmung leidet, seit ihm vor acht Jahren ein Tumor am Ohr entfernt wurde, was bei ihm den Eindruck der Einfältigkeit und Empathielosigkeit verstärkt.“
In beiden Fällen, bei den Damen aus der Buchhandlung und dem Möchtegern-Psychoanalytiker Georg Seeßlen, liegt ein verbreitetes naives Verständnis des Verhältnisses von Autor und Werk zugrunde, Seeßlen sollte es eigentlich besser wissen: Der Autor offenbart sich danach mehr oder weniger unmittelbar im Werk, das dergestalt Rückschlüsse auf die Person des Autors und dessen geistige und seelische Verfasstheit erlaubt. Diese Sicht wird von den Dichtern des Sturm und Drang mit ihrem Geniekult in die Welt gesetzt, pflanzt sich über die Romantik fort und feiert offenbar fröhliche Urständ.
Michael Ende gibt uns den Wink, wie das Verhältnis tatsächlich aussieht: das Werk ist in aller Regel nicht der unmittelbare Ausdruck des genialen Künstlers, sondern ein zielgerichtet auf den Rezipienten hin geschaffenes professionelles Produkt. Man hat versucht, von den Kompositionen Mozarts auf dessen jeweilige Gefühlslage zu schließen. Seine Biografen aber wissen: Er schuf die traurigste Musik in seinen fröhlichen Lebenslagen und umgekehrt. Das Werk ist nicht Ausdruck seines Gefühls, sondern ist für den Hörer komponiertes Gefühl.
Die Literaturwissenschaft situiert weitgehend eine besondere Instanz zwischen Autor und literarischem Werk, den „Erzähler“. Eine fiktive Größe, von der her das Erzählte als auf je spezifische Weise organisiert vorgestellt wird. Auch wenn er als Ich-Erzähler auftritt, ist er keineswegs identisch mit dem Autor, sondern wird von diesem kreiert, um besonderen Gedanken, Gefühlen und Erlebnissen Gestalt zu verleihen. Der sachkundige Interpret, die Interpretin, sie deuten diese in den gegebenen Hinsichten im Kontext des Werkes aus, da können historisch-soziale, soziologische, psychologische Paradigmen im Vordergrund stehen, aber was interpretiert wird und einzig interpretierbar ist, ist immer das Werk, nie die Person des Autors. Mit Werkimmanenz hat das übrigens nichts zu tun.
Zurück zum Sturm und Drang als dem Ausgangspunkt der Vermengung des (genialen) Autors mit seinem Produkt: Damals erschien, zumal bei Schiller, das ästhetische Ideal der „schönen Seele“. Aufschlussreich und ernüchternd zugleich ist hierzu ein Text von Ludwig Börne:
„Was heißt Stil? Buffon sagte: Le style c'est l'homme. Buffon hatte einen schönen und glänzenden Stil, und es war also sein Vorteil, diesen Satz geltend zu machen. Ist aber der Satz richtig? Kann man sagen: wie der Stil, so der Mensch? Nur allein zu behaupten: wie der Stil, so das Buch – wäre falsch; denn es gibt vortreffliche Werke, welche in einem schlechten Stile geschrieben sind. Doch die Behauptung: der Mensch ist wie sein Buch – ist noch falscher, und die Erfahrung spricht täglich dagegen. Der eine dichtet die zartesten Lieder und ist der erste Grobian von Deutschland; der andere macht Lustspiele und ist ein trübsinniger Mensch; der dritte ist ein fröhlicher Knabe und schreibt Nachtgedanken.“
Was ist Sarrazin für einer? Ein Grobian? Ein trübsinniger Mensch? ein stupider Mensch? Es lässt sich seinen Texten nicht wirklich entnehmen. Zwar schreibt er keine Romane, aber das oben Ausgeführte lässt sich weithin auf Autoren politisch-sozialer Literatur und ihre Werke übertragen. Magda schreibt in dem anderen Blog, Sarrazin wisse „nicht immer, wovon er spricht, sondern ganz genau, was er "sagen" will.“ Dem wäre hinzuzufügen, er weiß zumal, wie er etwas zu sagen hat, um die gewollte Wirkung zu erzielen, d.h., das ICH in seinem Werk ist bewusst situiert und inszeniert, wie der Ich-Erzähler im Roman.
Wer das veröffentlichte Ich bruchlos mit dem Autor gleichsetzt, verfehlt die grundlegenden Bedingungen von Literatur überhaupt und ihrer angemessenen Rezeption.
Dies ist die Fortsetzung des Blogbeitrags "German Rechthaberei? Gegen Georg Seeßlen." https://www.freitag.de/autoren/oranier/german-rechthaberei-gegen-georg-seesslen
Kommentare 39
Vielen Dank für diesen tollen Text! Vielleicht gehe ich später etwas näher auf einige Auszüge ein.
Danke! Nur zu, das würde mich interessieren!
Ich schließe mich uneingeschränkt dem Urteil „toller Text“ an, wobei ich zugeben muss, dass ich auch immer wieder in Fall tappe, dass ich von Texten auf die Persönlichkeit des Verfassers schließe – gerade auch hier in der FC. Und ich habe mitunter das Gefühl, dass das auch anderen so geht. Von daher ist der Text doppelt toll. :-)
Vor dem Hintergrund, was du/Sie (?) hier so deutlich ausgeführt hast/haben, bekommt auch ein Zitat, das von dem Philosoph Scheler stammen soll, plötzlich eine ganz andere Bedeutung als ich diesem bisher immer zugeschrieben hatte:
„Haben Sie schon einen Wegweiser gesehen, der den Weg, den er anzeigt, selber geht?“
Ich war nämlich ziemlich empört darüber, dass ausgerechnet ein Philosoph (!), so unverblümt zugibt, dass er Dinge „predigt“, die er selbst gar nicht erfüllen kann oder will.
Wobei ich zu Sarrazin trotz allem sagen würde: Es zeugt schon von einer großen Ignoranz, solche primitiven Klischees zu verbreiten und auch noch mit Statistiken zu belegen.
Guten Tag Oranier,
alles beiseite lassend, was zwischen Ihnen und mir hin und her gewechselt wurde (und sicher auch wird, bis einer das definitiv und ganz konkret begräbt, meinethalben aus unaufschiebbaren biologischen Gründen):
Die individuelle Rezeption ist genau das: Eine jeder einzelnen Person, gleich ob Profi und/oder Laie, Akademiker und/oder Arbeiter, Mann und/oder Frau. Warum sollte die von Seeßlen naiv sein wie die von „den Damen aus der Buchhandlung“? Sie haben, so Ihr Text, ja nicht nur Michael Ende gehört, sondern das Publikum taxiert. Nach welchen Maßstäben das geschehen ist, wird dem Leser Ihres Textes nicht mitgeteilt, sondern nur das Ergebnis in Form eines Werturteils („naiv“). Welche Selbstverständlichkeit legen Sie dem zugrunde? Sie haben aber aus der Möglichkeit von und/oder ein eindeutiges Gegensatzpaar gemacht. Kein guter Anfang.
Der ästhetischen Situation des Herrn Seltsam bin ich mein Leben lang vertraut. Da nicht ein Gesichtsmuskel durchtrennt ist, sondern eine unheilbare Degeneration sichtbar etwas bewirkt hat, was nicht allen Ansprüchen visueller Symmetrie perfekt genügt. Weswegen ich der erste gewesen wäre, Ihren Anwürfen beizutreten. Denn das sind sie: Sie sind nicht deduktiv, sondern induktiv, erkennbar bewegt von dem Motiv, wenigstens zu einer Neutralisierung in der Person zurück zu kehren, damit der Text wieder in den Mittelpunkt gerate, dem die Kritik zu gelten hat. Ein durchaus achtenswertes Motiv, das auch das Meine war und ist, wenn ich selbst geachteten Redaktoren hier bei Freitag ins Stammbuch schrieb, sie sollten sich mit ihren Pathologisierungen von Geschehnissen zurücknehmen.
Es gibt zu jeder Regel eine Ausnahme. Gerade der gute Börne ist selbst die personifizierte Ausnahme, weil er polarisierte wie kaum ein anderer: „ich hatte Zucker auf den Lippen und Salz im Herzen, und der Minister – warf mich zur Türe hinaus.“ Und es ist kein Wunder, dass die Hälfte seiner Leser ihn dem nächsten Lampenpfahl anempfahlen, besonders nachdem er sich durch das Exil in Paris dem wütenden Zugriff entzogen hatte. Börne, ein durchaus ansehnliches Mannsbild, hatte mit der so empfundenen Hässlichkeit seiner Texte zu kämpfen, die Mordgelüste weckten. Das ist das Wesen der literarischen Polemik. Und der Satire, von der Dario Fo erst kürzlich zutreffend bemerkte, dass man „das Publikum mit Scheisse bewerfen“ müsse.
Der Punkt ist: Die jetzige Herabwürdigung begann, als der Herr S. noch als hoher Staatsbediensteter Teile der Bevölkerung genau an physischen Merkmalen wie einer angeblichen wie auf diese Gruppe beschränkte Gebärfreudigkeit verleumdete (was ja nun besonders die Frauen trifft). Dies hat bewirkt, dass Brüder im Geiste wie der nun endlich abgetretene Herr F. von der CSU meinte, per Plakat diesbezüglich sogar Phänotypen aushängen zu dürfen. Erstaunlich genug, dass diese Aktion vom August 2012 in deutschen Medien keine einhellige Verurteilung fand, wie die vom Mai 2012 gegenüber Mely Kiyak. Man stelle sich vor, Kiyak hätte nun wie Seeßlen geschrieben: Sie müsste wie Roberto Saviano in Italien zeitlebens unter Polizeieskorte in Deutschland leben. Pardon: Das ist nicht erstaunlich, sondern unfassbar.
Seeßlen hat sich hiergegen gewandt, indem er die begonnene Personalisierung auf die Spitze getrieben hat. Er hat damit sogar am Archetyp des „hässlichen Bösen“ gerührt. Er kann es sich leisten, nicht nur, weil er ein selbstständiger Geist ist, sondern sich auch die Unabhängigkeit erarbeitet hat, niemandem ins Gesicht schauen zu müssen. Und dies jedem gegenüber zu dürfen. Er hat dabei berechtigte Interessen nicht nur wahrgenommen, sondern in der Spiegelung jener biologistischen Argumente des Herrn S. (das Aussehen ist ja kraft Hautfarbe das Ursprungsmotiv von Rassismus, nachzulesen bei Arthur de Gobineau), die nur vermeintlich wissenschaftlich sind, vor Augen geführt, was sie auf den Einzelnen angewandt bedeuten.
Seeßlens ist eine Lektion. Sie gilt um so mehr, als ein Machwerk in Bezug genommen ist, dass um die Akzeptanz von „Deutschland schafft sich ab“ ringt, das nicht nur missverstanden sei, sondern dessen rechte Rezeption vom Tugendterror verhindert werde, so sein Autor. Soll sich der derart Terroriserte daran die Zähne ausbeißen, die die ihm geblieben sind.
Beste Grüße, e2m
Langsam wird die Satire mit dem Titel: Deutsche Rechthaberei lästig.
Es beginnt schon bei dem sehr schönen Zitat Börnes, das leider nicht fortgesetzt wird. Denn einige Zeilen später dürfen wir lesen:
Vielleicht hängt der Stil eines Schriftstellers mehr vom Charakter als vom Geiste, mehr von seiner sittlichen als von seiner philosophischen oder Kunstanschauung ab. Cicero schreibt vortrefflich, aber er hat keinen Stil, er war ein Mann ohne Charakter. Tacitus hat einen, und Cäsar...
Das kann der gute Börne einfach so feststellen - über 1800 Jahre hinweg, nur auf der Basis der Schriften. Chapeau, monsieur Börne. Sie Möchtegern-Charakterologe. Gut, dass Sie es nicht mit Oranier zu tun haben.
Der beweist Ihnen nämlich mit den Erzähltypen, die den Oberstufenschülern seit fünfzig Jahren beigebracht werden, dass es einen Unterschied zwischen "veröffentlichtem Autor" und dem wahren Ich gibt - auch im Sachbuchbereich. Wenn also in einem Buch (ich vermeide natürlich die Reductio ad Hitlerum) Krankhaftes, Obsessives, Neurotisches zu lesen ist und mit vollem Ernst deren Realität behauptet wird, kann man das nicht auf das wahre Ich beziehen. Der "Ich-Erzähler" tritt im Sachbuch zwar mit dem Anspruch auf Wahrheit auf, aber es gibt immer Brüche ...
So wie beim Bloggen. Der "veröffentlichte Blogger" Oranier sagt natürlich nicht, was der eigentliche Mensch Oranier denkt. Wer das meint, "verfehlt die grundlegenden Bedingungen von Blogger-Literatur überhaupt und ihre angemessene Rezeption."
Wie gesagt, Satire.
"So wie beim Bloggen. Der "veröffentlichte Blogger" Oranier sagt natürlich nicht, was der eigentliche Mensch Oranier denkt."
Das steht da ja nicht. Möglich, aber nicht notwendig.
Stimmt natürlich. Also: "Kann, muss nich'!" (H.D. Hüsch)
Ham se nüscht Substanzielles beizutragen? - Ach so, der Herr schreiben 'ne Satire. "Was darf die Satire?", fragt Tucholsky, und antwortet: "alles!". Also auch sowas hier, damit können wir leben.
Nee, Oranier, die Satire schreibe nicht ich.
Substantiell trug ich z.B. bei, dass Sie nur den halben Börne zitieren. Und?
Kann man aus Mein Kampf auf des Autors Obsessionen und die großer Teile der damaligen Gesellschaft schließen? Nein?
Haben Sie Den "Tugendterror" so gründlich gelesen, um sagen zu können, wo Seeßlen sich irrt? Wenn ja, teilen Sie's mit und belegen Sie materialiter, dass die Methode Seeßlen falsch ist. Ist doch ganz einfach.
Kleine bescheidene Frage am Rande, da ich mir gerade große Mühe gebe, hier eine verständliche Antwort für alle zu verfassen). Ist es hier Usus, bekannte (literarische) Persönlichkeiten zu zitieren, damit beim Gegenüber bzw. Rezipienten ein Verständniss für den Kern des Blogs geschaffen wird? Zwar "kenne" ich Hüsch und natürlich auch Tucholsky und kann sie dementsprechend mehr oder weniger grob einodnen und je nach Erinnerung meinerseits auch zitieren oder auf ihre Gedanken verweisen, doch "alles" kennen doch nicht "alle" Leser hier. Es gibt hier sicher auch Leser neben mir, die keine Experten in Sprache (Geisteswissenschaft etc.) sind, aber dennoch ein Sprachrohr sein könnten. Lohnt sich es überhaupt?
"Lohnt sich es überhaupt?" => wenn ich hier mit größtenteils eigenen Worten etwas beitrage?
Moin Alica,
gerne „du“ natürlich.
„Wobei ich zu Sarrazin trotz allem sagen würde: Es zeugt schon von einer großen Ignoranz, solche primitiven Klischees zu verbreiten“.
- Wieso „trotz allem“? In Bezug auf Sarrazin sind wir uns vollkommen einig. Gerade das erfordert aber im Umgang mit ihm ein anderes Verhalten, als er es gegenüber seinen „Feinden“ pflegt. Denn wenn wir uns von Rassisten und Faschisten die Methoden vorgeben lassen, sind wir auch nicht besser und haben schon verloren.
Das Bonmot Max Schelers hat übrigens zwei Dimensionen, je nach Lesart. So losgelöst als Äußerung eines Philosophen ist es natürlich einfach nur zynisch.
Fügt man es jedoch in den Kontext ein, in welchem es entstanden sein soll, erscheint die Sache in ganz anderem Lichte.
Max Scheler war in den 20er Jahren der Nestor des Kölner philosophischen Seminars. Sein Ruf hallte da noch nach, als ich dort Ende der 60er war. Und natürlich wurde da auch die Geschichte eifrig kolportiert.
Im Kontext sieht sie allerdings folgendermaßen aus: Der damalige Kölner Oberbürgermeister, der die Berufung Schelers zum Professor u.a. für Moralphilosophie befürwortet hatte, war der rechtskatholische spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer. Scheler war zuvor vom Judentum zum Katholizismus konvertiert und bezog kurzzeitig auch in Publikationen eine katholisch-christliche Haltung, sagte sich jedoch kurz nach seiner Berufung vom Katholizismus wieder los.
Wer den sog. „Kölschen Klüngel“ kennt, wird annehmen, dass auch der Erzbischof bei der Berufung mitgewirkt habe.
Nun führte jedoch Scheler mit mehreren Scheidungen und mindestens einer spektakulären Affaire in den Augen der Kirche einen sündigen Lebenswandel. Im Hinblick auf diesen soll ihn der Erzbischof bei einem Bankett gefragt haben, wie er den mit seiner Morallehre vereinbaren könne. Darauf soll der eben geantwortet haben: „Haben Sie schon mal einen Wegweiser gesehen, der in die Richtung marschiert, in die er zeigt?“ - ganz eindeutig auch als Seitenhieb gegen den Priester gedacht, bei dem gewiss auch eine Diskrepanz bestand zwischen (Predigt-) Wort und praktischer Handlungsweise.
Bloß keine falsche Scheu. Ich bin ganz im Gegenteil eher der Ansicht, dass man nicht bei jedem Gedanken, den man äußert, name dropping betreiben muss.
Es ist das Wesen eines Zitats, dass es nicht den ganzen Text umfasst, sonst ist es ein Plagiat, und das wollen wir hier doch nicht, gelle?
"Haben Sie Den "Tugendterror" so gründlich gelesen, um sagen zu können, wo Seeßlen sich irrt?"
So weit käme das noch. Täte ich das, offenbarte ich womöglich ungewollt meine masochistischen Tendenzen.
Wenn ja, teilen Sie's mit und belegen Sie materialiter, dass die Methode Seeßlen falsch ist. Ist doch ganz einfach.
Einfach? Das dachte ich auch, bevor ich Ihre Kommentare gelesen habe. Da wähnte ich nämlich, ich hätte begründet, sei es nun materialiter oder idealiter, dass die Methode Seeßlen falsch ist.
Ich kann nur versuchen, mich verständlich zu machen, dass ausgerechnet Sie mich verstehen, habe ich aber nicht unbedingt in der Hand.
Sehe ich auch so.
Sie sind aber auch ein German Rechthaber: Wenn zwei Zitate eines Autors aus demselben Text sich widersprechen, sollte man sich nicht nur auf das eine berufen. Finde ich. Aber ok. Ist hier nebensächlich.
Also, ohne Zitate und ohne Ironie:
Sie kritisieren den Rezensenten eines Buches, weil der Rezensent eine Methode verwendet, die Sie für falsch halten - falsche Psycho- und Pathologisierung.
Sie verifizieren aber nicht am Material, also am rezensierten Buch, ob die Methode wirklich falsch ist oder vielleicht doch geeignet. Das ist ja wohl die einzige Möglichkeit. Lesen des besprochenen Buches, analysieren, für die Leser kommentieren, abwägen, urteilen. Ihre Begründung dafür, dies nicht zu tun: "Soweit käme das noch."
Was soll man davon halten?
Was ich davon halte, ist clare et distincte. Die Leser des Freitag und seiner formidablen Community mögen sich ihr eigenes Urteil bilden.
Und damit soll's gut sein.
Aha, das ist also der Hintergrund dieses Spruches. Gut zu wissen. Also dann bezog sich das überhaupt nicht auf etwas, was Scheler tatsächlich „gepredigt“ hatte, sondern das war nur seine souverän-schlagfertige Reaktion, als man hat ihm wegen seines lockeren Umgangs in Beziehungsangelegenheiten auf den Zahn fühlen wollte. – Danke für die detailierte Aufklärung. :-)
Denn wenn wir uns von Rassisten und Faschisten die Methoden vorgeben lassen, sind wir auch nicht besser und haben schon verloren.
Da nennst du die Dinge ja sehr klar beim Namen.
Aber sind Rassisten und Faschisten vielleicht doch nicht nur „ignorant“, sondern wirklich ziemlich "irre" aka "krank im Kopf"?
Schauen wir uns eine zentrale diagnostische Analyse von Seeßlen konkret an. Er behauptet:
"Jeder Rechthaber war einmal ein Musterschüler. Genau gesagt verhält es sich wohl so, dass der Rechthaber unter anderem aus einem Musterschüler wird, der nicht genug Anerkennung bekommt."
Woher nimmt Seeßlen die Erkenntnis, dass jeder Rechthaber einmal ein Musterschüler gewesen sei? Ohne die Begriffe näher definieren zu wollen, liegt doch nahe, dass eine zwangsweise Kohärenz zwischen Rechthaber und Musterschüler nicht einfach behauptet werden kann. Die Qualität dieser These gleicht jener: "Jedes Arschloch war einmal ein Schulschwänzer." Ich kann, wenn ich redlich argumentiere, nicht über x-beliebige Begriffe, die ich frei in Beziehung setze, Zusammenhänge behaupten, nur weil sie in mein küchenpsychologisches Konzept passen.
Exemplarisch ist auch der nächste Satz. Er beginnt so: "Genau gesagt verhält es sich wohl so…". Ersetzt man das Wort "wohl" durch das Synonym "wahrscheinlich" wird klar, dass Seeßlen es mit seiner Diagnosearbeit nicht sehr genau nimmt.Wer vermutet, bewegt sich im Vagen. Wer frei assoziiert, bedient den Stammtisch, wenn er gleichzeitig vorgibt, etwas genau zu sagen. Weder Seeßlen noch seine Leser wissen, ob Sarrazin tatsächlich ein Musterschüler war, was immer der Autor unter diesem Begriff auch verstehen mag. Seeßlen bedient sich in seiner Diagnostik Alltagshalbwahrheiten, die, weil sie Halbwahrheiten sind, falsch sind, jedoch das Alltagsdenken strukturieren und helfen, vermeintliche Gewissheiten sich anzueignen. Und das will Seeßlen - vielleicht aus subjektiv hehren Motiven, weil gegen einen politisch rechts agierenden Buchautor gerichtet - bei seinen Lesern erreichen.
Lieber Achtermann, ich habe ja selbst geschrieben, dass Seeßlen an einigen Stellen "schludrig" formuliert. Das passiert leicht, wenn man von einem prinzipiellen Einverständnis mit den Lesern ausgeht. Seeßlen glaubte vielleicht, dass ein Freitagsleser mit der Theorie des autoritären Charakters und dem Zusammenhang von Gesellschaft und Neurose vertraut ist.
Das war ein Irrtum. Typisch oldschool.
Seeßlen glaubte vielleicht, dass ein Freitagsleser mit der Theorie des autoritären Charakters und dem Zusammenhang von Gesellschaft und Neurose vertraut ist.
das ist ja das problem, dass jeder von seinem eigenen erkenntnisstand ausgeht und auch beim besten willen nicht anders kann, ohne in eine mutter- oder therapeutenrolle zu verfallen, die jedoch von vielen zum eigenen verständnis als "begleitmusik" erwartet wird
was da zu tun ist, weiss ich auch nicht ...
Es wäre wohl insgesamt zielführender gewesen, wenn im Zusammenhang mit Sarrazins abstrusen Thesen mehr die Wurzeln des Rassismus und Faschismus erläutert werden würden als ein persönliches Psychogramm abzufassen, in dem u.a. alle „Musterschüler“ als Rechthaber diffamiert werden.
Es sind ja viel mehr die Existenzängste, die die Menschen während wirtschaftlich unsicherer Zeiten plagen, die sie offen für faschistische Ideen machen.
versteh ich nicht.
hmm ... ich versuchs mal
wenn jemand einen text schreibt, ist in vielen fällen die zielgruppe dafür zu beachten ... deren angenommene voraussetzungen für das verständnis ... setzt der schreiber jedoch kenntnisse voraus, die gar nicht vorhanden sind (in diesem fall theorien von autoritären charaktern und zusammenhänge von gesellschaft und neurose) ist das für das allgemeine verständnis fatal ... wie im diesem märchen von fuchs und storch ...
https://maerchensammler.wordpress.com/category/themen/marchenweltreisen/fuchs-und-storch/
grüsse ***
Versteh' ich leider immer noch nicht, schon gar nicht als Fabel. Das liegt vermutlich daran, dass ich nicht zur Zielgruppe gehöre, deren angenommene voraussetzungen für das verständnis, Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen.
Die Kenntnisse des gemeinen Freitagslesers (in diesem fall theorien von autoritären charaktern und zusammenhänge von gesellschaft und neurose) sind bei mir leider gar nicht vorhanden.
was da zu tun ist, weiss ich auch nicht ...
also, wenn mich eine sache interessiert und ich da bei mir wissenslücken feststelle, versuche ich die zu schliessen ... wenn es mir die sache wert ist ... die entscheidung kann jeder nur selbst treffen
hatte einen tollen lehrer, der hat gesagt: wenn du was liest und kommst dabei ins stolpern (über einen begriff/inhaltl. verweis o.ä.) ... lies erst weiter, wenn du nachgeschaut hat ... ohje ... ist mühsam ... aber für mich hat es sich gelohnt
liebe grüsse ***
Haben Sie auch was zur Kontroverse beizutragen, um die es hier in meinem Blog thematisch geht?
Und haben Sie mir eigentlich klar gemacht, was ich ursprünglich nicht verstanden habe, oder haben Sie das nur weiter verdunkelt?
„das ist ja das problem, dass jeder von seinem eigenen erkenntnisstand ausgeht und auch beim besten willen nicht anders kann, ohne in eine mutter- oder therapeutenrolle zu verfallen, die jedoch von vielen zum eigenen verständnis als "begleitmusik" erwartet wird“
„dass jeder von seinem eigenen erkenntnisstand ausgeht“ ist ein revolutionärer Gedanke, verstehe ich aber. Was ich nicht verstanden habe und verstehe: wieso „jeder (!) (…) beim besten willen nicht anders kann, ohne in eine mutter- oder therapeutenrolle zu verfallen“. Und wieso werden diese Rollen „von vielen (!) zum eigenen verständnis als "begleitmusik" erwartet“?
Wo, bitteschön, könnte man so etwas, dem Rat des tollen Lehrers folgend, nachschlagen?
Ich bin des trocknen Tons nun satt.
Ich halte das einfach für Geschwurbel, oder vielleicht tatsächlich für einen mir nicht zugänglichen Code für esoterische Freitagsleser?
Ich hatte nicht so einen tollen Lehrer, das Schreiben habe ich von meinem akademischen Lehrer gelernt, dem Faschismusforscher Reinhardt Kühnl. Obwohl er meinte, ich könnte besser schreiben als er: er war der Meister. Dessen Bücher hatten, obwohl Fachliteratur, Auflagen, die in die Hunderttausende gingen und in 17 Sprachen übersetzt wurden. Leider ist er seit langem verstummt und vor kurzem gestorben.Ihm wäre nie eingefallen, auf die Weise dem Publikum Bildungsgut wie Hunden einen Knochen derartig vor die Füße zu werfen:
„Seeßlen glaubte (!) vielleicht (!), dass ein Freitagsleser mit der Theorie des autoritären Charakters und dem Zusammenhang von Gesellschaft und Neurose vertraut ist.“
Denn solch ein arrogantes, überhebliches Gehabe war ihm völlig fremd, weshalb er sich bemüht hat und in der Lage war, auch komplexe Zusammenhänge verständlich darzulegen. Den mussta man nicht belehren mit platten Lehrsätzen aus der Schreibwerkstatt: „wenn jemand einen text schreibt, ist in vielen fällen die zielgruppe dafür zu beachten“. Seine Zielgruppe waren die Leute, nicht die „Freitagsleser“, und die verstanden ihn, in seinen Büchern, in Hörsälen, in Gewerkschafts-Workshops.
Und daran orientiere ich mich. Und meine Diskussionspartner täten ebenfalls gut daran und clare und distincte zu schreiben, statt das bloß zu deklarieren. (Außerdem wäre Descartes’ Wahrheitsbegriff ja vielleicht auch diskussionswürdig, an anderer Stelle, hier gereicht er ja zum Ausweis der höheren Bildung des Freitagslesers.) Aber die entscheidung kann jeder nur selbst treffen. Man verschone mich aber mit Besserwisserei und mit Geschwurbel und pädagogischen Ratschlägen!
Und haben Sie mir eigentlich klar gemacht, was ich ursprünglich nicht verstanden habe, oder haben Sie das nur weiter verdunkelt?
tja, die fragen, die sie sich selbst stellen, sind bei mir an der falschen adresse
Ich bin des trocknen Tons nun satt.
ich auch
Ich würde mit Ihnen, Oranier, über nichts aus Ihrem Text streiten - wenn es allein um Belletristik ginge.
Wir haben es nicht mit einem Roman, einer Erzählung oder Novelle zu tun, deren Handlung und Figuren einen stark symbolischen Bezug zur gegenwärtigen Zeit, Gesellschaftszuständen oder Politik nehmen. Sarrazin lässt nicht Protagonisten oder einen Ich-Erzähler sprechen, er spricht selbst. Und nicht nur, weil es sich um Sachliteratur handelt. Um sich persönlich so weit es geht rauszunehmen, hätte Sarrazin sich durchaus eine betrachtende, beschreibende Distanz, mit dem Ansatz der Objektivierung, auferlegen können. Darauf hat er nun besonders in seinem "Tugendterror" verzichtet. Er hat sich ganz offenbar nicht allein in der Methodik vergriffen, sondern sich bewusst selbst ins Zentrum gestellt.
Mely Kiyak und ihre über die Maßen dumme Replik auf Sarrazin finde ich neben Seeßlen deplaziert. Dieser nämlich greift Sarrazins peinlichen Egozentrismus auf und wendet den gegen ihn - und zwar allein aus dem Text heraus. Gut, man könnte Seeßlen vorwerfen, dass er nur einen möglichen Aspekt herausgreift: Dass sich Sarrazin nicht anders zu helfen weiß, als einem offenbar extrem gesteigerten Beleidigt-Sein völlig unsouverän nachzugeben. Ein anderer möglicher Aspekt wäre: Sarrazin arbeitet mit einem wohlgewählten Kalkül. Er opfert sich für all' denjenigen, die ihm so gerne zustimmen und zustimmen möchten, sich dass aber angesichts eines "linken Meinungsterrors" natürlich nicht zu sagen wagen. Es ist ja doch ein Labsal für die geschundene und unterdrückte Seele, wenn sie hört und liest, sie sei nicht allein: Seht her, was sie mit uns machen und schon immer gemacht haben!
So oder so gesehen, setzt Sarrazin sich aus. Die Inszenierung des "Tugendterror" ist eine des Trotzes. Ein Seeßlen hätte sich freilich auch ganz nüchtern an sachlichen Aspekten abarbeiten können. Nur wählte er den Ansatz, gerade die Motivation für den "Tugendterror" herauszukitzeln. Und diese ist doch ziemlich offensichtlich eine des Ignorierens und Wegwischens der durchaus auch erfolgten sachlichen Kritik an "Deutschland schafft sich ab", dem Interview in den 'Lettres' und diversen anderen abschätzig klassifizierenden Äußerungen Sarrazins. Ein Wegwischen, dass überdies den ewig verfolgten Dissidenten inszeniert, der sich aber erneut nicht zu schade ist, pauschal zu verurteilen und zu kränken. Was, bei aller Liebe, soll "einem" denn dazu auch noch einfallen?
Sie beziehen sich auf Reinhard Kühnl, im (wahrscheinlichen) Wissen, dass ich anlässlich seines Todes hier einen Beitrag geschrieben habe, um zu zeigen, wieviel wir ihm, dem fast Vergessenen, verdanken. Und dann kommentieren Sie, mich zitierend:
Ihm wäre nie eingefallen, auf die Weise dem Publikum Bildungsgut wie Hunden einen Knochen derartig vor die Füße zu werfen:
„Seeßlen glaubte (!) vielleicht (!), dass ein Freitagsleser mit der Theorie des autoritären Charakters und dem Zusammenhang von Gesellschaft und Neurose vertraut ist.“
Ich sollte eigentlich antworten: Wir beide verdanken Kühnl sehr viel, politisch sind wir wahrscheinlich so weit nicht auseinander, wir zanken uns um des Kaisers Bart,
aber andererseits ist mir gerade wegen Ihres Studiums bei Kühnl völlig unverständlich, warum Sie so aggressiv auf den Seeßlentext reagieren und ihn mit einem, wie Sie selber wissen, untauglichen erzähltheoretischenAnsatz zu widerlegen suchen.
Warum ist mein Versuch, die offensichtlichen Schwächen des Textes zu verstehen ("Seeßlen glaubte vielleicht...") ein 'Bildungsgut, das ich dem Publikum wie Hunden einen Knochen vorwerfe"? Dass viele der Kritiker des Textes die Studien zum autoritären Charakter , von dem Seeßlen, offensichtlich ausgeht und den er voraussetzt, nicht kennen, ist doch klar und deutlich. An einer anderen Stelle wird moniert (nicht von Ihnen), er habe geschrieben: man müsse sich Sarrazin als unglücklichen Menschen vorstellen. Mein Gott, das ist eine Anspielung auf ein bekanntes Camuszitat. Damit bekommt Seeßlens Aussage einen über Individualpsychologie hinausreichende Qualität. Sie kennen das Zitat, der Communarde, der sich darüber empört, wohl nicht.
Trotzdem ein salut
wwalkie
Letztlich sind Seeßlens Befunde über Sarrazins Persönlichkeit doch allenfalls Hypothesen, die noch zu überprüfen wären - sofern man daran überhaupt ein Interesse haben könnte. Welches eigentlich?
Womöglich genießt Sarrazin ja nur die Aufmerksamkeit, die er mit seinen Büchern erregt. Außerdem verdient er wohl auch gar nicht schlecht an seiner polarisierenden Schreiberei.
Einfach ignorieren wäre von daher schon am vernünftigsten.
Gestatten Sie, dass ich Ihren Kommentar ergänze:
"Jeder Rechthaber war einmal ein Musterschüler."
Wenn mein verehrter alter Lehrer Recht hatte, dann ist
a) diese Behauptung eine Allaussage und
b) eine Allaussage durch ein Gegenbeispiel widerlegt.
Und nun das Gegenbeispiel:
Ich kenne aus meinem nächsten Umfeld mindestens eine Person sehr genau, die, wie man ihr nachsagt (und die sich selbst aufgrund augenscheinlicher Beweise genötigt sieht, dies zuzugeben), zur Rechthaberei neigt (mindestens). Diese Person war (nach Meinung ihrer Lehrer, ihrer Eltern und ihrer eigenen) keine Musterschülerin.
Somit ist die These des Herrn Seeßlen widerlegt. Er hat (in diesem Punkt jedenfalls) nicht Recht.
Es sei denn, er versteht unter MusterschülerIn etwas völlig anderes als die zuvor genannten Personen.
Aber selbst in diesem Falle ist zu fragen, ob er alle Rechthaber der Welt kennt und über deren Schülerqualitäten Bescheid weiß...
Grüße, elisRea
"Warum sich von einem Text nicht so leicht auf die Persönlichkeitsstruktur des Autors schließen lässt - auch nicht, wenn dieser Sarrazin heißt."
Nicht auf die Persönlichkeitsstruktur, diesbezüglich stimme ich Ihnen zu. Auch deshalb, weil ich die Auffassung vertrete, dass es grundsätzlich keine unveränderliche Persönlichkeitsstruktur, kein unveränderliches "Ich" gibt. Aber: Ein Schriftstück, in dem ein Autor nach eigenen Angaben seine Gedanken zu bestimmten Problemen äußert, lässt, vorausgesetzt das Geschriebene entspricht seinen Gedanken, darauf schließen, was er in Bezug auf diese Probleme denkt.
Insofern diese, von ihm geäußerten Gedanken seinem Handeln zugrunde liegen sollten, ließen sich auch Rückschlüsse auf sein Verhalten in Situationen, die mit der beschriebenen Problematik zu tun haben, zu.
Demzufolge ist es mMn durchaus legitim sowohl die geäußerten Gedanken als auch daraus resultierende Verhaltensweisen zu kritisieren, zu be- oder verurteilen (nicht aber eine Person insgesamt). Denn: Wie ich schon andeutete, gehe ich davon aus, dass Menschen in der Regel einsichtsfähig, lernfähig und veränderlich sind.
Grüße, elisRea
„Wie ich schon andeutete, gehe ich davon aus, dass Menschen in der Regel einsichtsfähig, lernfähig und veränderlich sind.“
Ja, dem stimme ich zu. Und von daher hat es auch wenig Sinn, Sarrazin eine narzisstische oder andere psychische Störung anzudichten. Ich fand den Artikel von Seeßlen deshalb extrem langweilig, so dass ich mich zwingen musste diesen bis zum bitteren Ende durchzulesen. Um zu beweisen, dass Sarrazins Thesen falsch sind, muss man sich wohl oder übel direkt mit diesen auseinandersetzen - was ja auch schon verschiedentlich geschehen ist.
Allerdings hilft das bei sehr „eingefleischten“ Einstellungen auch nicht viel weiter. Es muss aber wenigstens verhindert werden, dass Sarrazins Gedankengut sich in immer mehr Köpfen festsetzen kann. Was aber leider sehr leicht passieren kann, je mehr Menschen wirtschaftlich unter Druck geraten. Dann kommt nämlich ein leicht auszumachender Sündenbock, auf den man die ganze Misere schieben kann, gerade recht.
"Sie kritisieren den Rezensenten eines Buches, weil der Rezensent eine Methode verwendet, die Sie für falsch halten - falsche Psycho- und Pathologisierung.
Sie verifizieren aber nicht am Material, also am rezensierten Buch, ob die Methode wirklich falsch ist oder vielleicht doch geeignet. Das ist ja wohl die einzige Möglichkeit. Lesen des besprochenen Buches, analysieren, für die Leser kommentieren, abwägen, urteilen. Ihre Begründung dafür, dies nicht zu tun: "Soweit käme das noch.""
Der Punkt von oranier, ist doch wohl, dass man diese Methode niemals anwenden kann, unabhängig vom Material, weil wir den Menschen bzw seine Motivation nicht kennen.
Bei Sarrazin beispielsweise ist ja die nicht völlig abwegige Möglichkeit gegeben, dass er mit gezielter Provoktion und dem Bedienen von Ressentiments einfach nur Geld machen /Meinungsmache betreiben will - ohne selbst an seine Statistiken etc zu glauben.
Zweiter Punkt: Autoritärer Charakter/Gesellschaft/Neurose. Meine ich zu verstehen in Bezug auf das, was Sarrazin da macht, allerdings nicht auf das, was Seeßlen tut. Wo ist der Zusammenhang zur Pathologisierung oder sogar eine Rechtfertigung selbiger? Und wieso sollte das das oben Ausgeführte widerlegen?
Das mit Sarrzins halbseitiger Gesichtslähmung habe ich nicht gewusst. Georg Seeßlen als ehemaliger konkret-Autor hat bei einen hohen Stellenwert. Hier wird sehr genau und sehr exakt argumentiert. Das kann ich zur Zeit aus verschiedenen Gründen nicht genauso liefern. Was ich über Sarrazin weiss kommt zum grossen Teil von konkret und vom Freitag. Ich habe zu Sarrazin nur eine Meinung zu liefern. Die ist eben Anti -S. eingestellt. Mit ist klar, dass das so niemanden überzeugen kann, aber mir reicht das.
In der Buchhandlung habe inb sein Buch reingeschaut. Der scheint ja alles über sich gesammlet zu haben. ER verteidigt sich. Das ist sein gutes Recht , aber für mich ist der Stil wie er das tut eben auch voll German Rechthaberei im Sinne Seeßlens.
Ich habe zu Sarrazin nur eine Meinung zu liefern. Die ist eben Anti -S. eingestellt. Mit ist klar, dass das so niemanden überzeugen kann, aber mir reicht das.
Ich denke, auf Sarrazin „anti“ zu reagieren ist allgemeiner Konsenshier hier bei der FC.
Die Frage ist aber, wie man die anderen, die empfänglich für solches „Gedankengut“ sind, am besten davon überzeugen kann, dass Sarrazins „Argumente“ Gift, ein No-Go sind.
Dazu ist Seeßlens Artikel eben nicht wirklich geeignet, weil er mit Sarrazin ähnlich verfährt wie Sarrazin mit den muslimischen Migranten: Er unterstellt ihm einen defizitären Charakter, und macht ihn so als Person unglaubwürdig. Und da stellt sich doch die Frage, wie das wohl auf Menschen wirkt, die selber schon gewisse Vorbehalte gegen Muslime haben?
Ich finde Cassandra hat das oben kurz und prägnant auf den Punkt gebracht:
Woher will Seeßlen denn wissen, dass Sarrazin nicht einfach die Gunst der Zeit nutzt, um gewisse Ressentiments und Ängste zu bedienen, in dem er Dinge anspricht, die als politisch nicht korrekt gelten? Und die Verkaufszahlen seines ersten Buches haben ihn wohl darin bestärkt, auf der Schiene weiter zu machen.
@Alica
Danke.
Sie haben mir geholfen. Jetzt kann ich Oraniers Kritik an Seeßlen besser einordnen.
Vielleicht lese ich Seeßlens Artikel nochmals durch und versuche danbei darauf zu achten. Mir war das wirklich nicht aufgefallen, dass er unfair mit Sarrazin umgeht.
Ich habe den Freitag natürlich auch im Abo weil ich gerade solche Artikel gerne lese.
Aus diesem Argumentieren in der Art wie in diesem Thread bin ich schon lange raus und ich finde es daher sehr nett, dass Sie Trotzdem auf meinen Kommentar eingegangen bin.
Ich denke aber, dass belegbar ist, dass Sarrazin sich wirklich wie ein German Rechthaber verhält. Er dröselt alles klein, klein auseiunander und hat dann am Ende imme rwiede recht. Ist es denn wirklich eine Anmassung wenn man einen German Rechthaber German Rechthaber nennt oder bin ich nur zu dumm oder in dieser Art on Diskussion zu ungeübt zu verstehen , was Oranier eigentlich meint?
Der Schlusssatz Ihres Kommentares wäre für mich ein plausibler Erklärungsansatz.
Herzliche Grüße
poor on ruhr
Sie haben mir geholfen. Jetzt kann ich Oraniers Kritik an Seeßlen besser einordnen.
Das freut mich. Mir selbst hat es nämlich auch geholfen, nochmals meine Gedanken zusammenzufassen - wozu mir Ihr/dein (?) Kommentar die Gelegenheit gab. Eine klassische win-win Situation also. ;-)
Und da Oranier (noch) nicht protestiert hat, gehe ich mal davon aus, dass er einigermaßen einverstanden mit meinen Ausführungen ist.
Ebenfalls herzliche Grüße!
PS: Noch zur Frage, ob man einen Rechthaber einen Rechthaber nennen darf: Ja, klar darf man, aber was soll das letztlich bewirken? Außerdem hat das „German“ Rechthaber ja noch eine ganz besondere Qualität – gerade im Rahmen des Themas Rassismus/Faschismus. Ich will jedenfalls niemals als Rechthaber gebrandmarkt werden, nur weil ich zufällig "German" bin.
Von einer Zeitung wie dem Freitag erwartet man ganz einfach ein anderes Niveau.
„Und da Oranier (noch) nicht protestiert hat, gehe ich mal davon aus, dass er einigermaßen einverstanden mit meinen Ausführungen ist.“
Ja, natürlich.
Die „besondere Qualität“ des Begriffs „German Rechthaber" liegt darin, dass er eine Peinlichkeit ist, denn dass die Schreiber im öffentlichen Disurs meinen recht zu haben mit dem, was sie schreiben, setzt man doch gerade bei psychisch intakten Persönlichkeiten voraus. Ohne das ist doch eine rationale Auseinandersetzung gar nicht möglich. Wer da mehr und wer weniger Recht hat, bestimmt sich dann doch nach den jeweiligen Argumenten. Und beschimpft man dann den, der Recht hat, als Rechthaber?
Der Philosoph Hans-Georg Gadamer, der Lehrer meines philosophischen Lehrers, beatwortete in einem Interview zu seinem hundertsten (!) Geburtstag die Frage nach seinem Leitsatz bei Kontroversen: „Immer davon ausgehen, der andere könnte Recht haben!“.
Wer hier als „Rechthaber“ bezeichnet wird, ist genauer gesagt ein „Besserwisser“. Den erkennt man u.a. daran, dass er den Kontrahenten persönlich herabwürdigt.
Das Attribut „german Rechthaber“ (wieso eigentlich „german“?) ist völlig verfehlt, darauf weist du zurecht hin. Es nährt sich aus nationalistischen Vorurteilen über angeblich typisch deutsche Eigenschaften. Deutsche sind aber eigentlich wie andere Menschen auch, nämlich unterschiedlich. Zumal als Deutscher sollte man vorsichtiger mit diesem Schimpfwort umgehen. Es weist, besonders dann, wenn man jemanden wie mich damit etikettiert, der erst im erwachsenen Alter Deutscher geworden ist, allzuleicht auf einen selber zurück.