Eulenspiegel

Derbe Späße "Ein kurtzweilig lesen von Dil Ulenspiegel, geboren vß dem land zu Brunßwick (Braunschweig), wie er sein leben volbracht hat."

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Ursprünglich hatte das Buch den im Vorspann genannten Titel.

Die älteste erhaltene Ausgabe in früh-neuhochdeutscher Sprache kam 1515 vom Straßburger Verleger und Drucker Johannes Grüninger ohne Nennung eines Verfassers in Druck, greift aber wohl auf eine ältere Fassung in Mittel-Niederdeutsch zurück. Diese Sprache war bis ins 15. Jh. im nördlichen Teil Deutschlands und darüber hinaus die „lingua franca“ da sie die allgemeine Verkehrssprache der Hanse war. Nach deren Niedergang wurde sie weitgehend vom Hochdeutschen verdrängt.

Die im Buch geschilderten Streiche waren z.T. recht derbe, manche geradezu bösartig. Im Laufe der Zeit kamen immer harmlosere Varianten der Geschichten heraus. Erich Kästner hat quasi die Kinderbuchversion herausgegeben. Auf dem Cover ist Eulenspiegel im Narrenanzug zu sehen, er war aber eigentlich kein Narr, sondern ein Schalk. „Schalk“ hat im Mittelhochdeutschen noch die Bedeutung ‘arglistiger, böser, hinterhältiger Mensch’, diese Bedeutung geht im 18. Jh. in „Spötter, Schelm, Spaßvogel“ über. Leider habe ich den frühen Text online nur als Transkript in die gegenwärtige Sprache gefunden (bei Projekt Gutenberg), ich habe daher ein Kapitel extra abgetippt. Wer gerne mit Sprache umgeht, der weiß die Sprache dieses Textes, die noch nahe am Mittelhochdeutschen liegt, zu goutieren. (s. weiter unten!)

Auf dem Titelbild der besagten Ausgabe erscheint Eulenspiegel nicht im Narrenanzug, sondern, auf dem Pferd reitend, mit einem Spiegel in der einen Hand, einer Eule in der anderen. Der entsprechende Wikipedia-Artikel versucht die Symbole zu erklären.

Allerdings ist die Bedeutung der Redensart „jemandem den Spiegel vorhalten“ uns allen geläufig, die Erklärung der Eule („Die Eule gilt als Vogel der Weisheit, schon seit den alten Griechen.“) ist zwar nicht falsch, aber durchaus erläuterungsbedürftig. Die Eule war das Wappentier der Athene, der Göttin der Weisheit und zugleich Schutzgöttin Athens (Sie war es, die dem Priester Laokoon die tödliche Schlange schickte, als er seine Trojaner vor dem hölzernen Pferd der Athener warnte: „Ich fürchte die Griechen, auch wenn sie Geschenke bringen“).

Die Redewendung „Eulen nach Athen bringen“ bedeutet dergestalt nicht, dass es im alten Gemäuer von Athen viele Eulen gab, sondern dass in Athen die Weisheit in Gestalt der alten Philosophen bereits zu Hause war. Eulenspiegel selbst hat seinen Braunschweiger Familiennamen offenbar in dieser Symbolik zu deuten gewusst.

Nach diesem Vorgeplänkel nun zum eigentlichen Anlass dieses Blogs, das angeregt wurde durch Lee Berthine, die die Eulenspiegel-Figur in meinem letzten Blog ins Spiel brachte.

Zu deiner Äußerung, Lee Berthine,

Eine faszinierende und gleichzeitig leicht abstoßende Persönlichkeit und irgendwie erschien mir sein Handeln zugleich glasklar logisch und unerhört frech.“

ist Folgendes zu sagen:

Eulenspiegel ist nicht eigentlich eine Persönlichkeit, sondern ein Typus. Die deutschen Schriftsteller taten sich, im Gegensatz zu den Franzosen, schwer mit Romanen, in denen individuelle Persönlichkeiten und Charaktere dargestellt sind. Schön, Goethes Jugendwerk „Die Leiden des jungen Werther“ war ein Welterfolg, ansonsten verfassten Goethe und Schiller vorwiegend Dramen. Der erfolgreichere Romanautor der Zeit war Goethes Schwager Christian August Vulpius, v.a. mit seinem trivialen Räuberroman „Rinaldo Rinaldini“.

Der erste Roman in deutscher Sprache, der die Bezeichnung halbwegs verdient, war der „Simplizius Simplizissimus“ von Grimmelshausen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Vorwiegend dieser von Günter Grass und mir sehr geschätzten Literatur verdanken wir mangels entsprechender historischer Darstellungen unser Wissen über die Alltagsverhältnisse während des 30-jährigen Krieges. Auch der „Simplizissimus“ behandelt nur scheinbar die Entwicklungsgeschichte eines zunächst naiven zum weltläufigen Individuum. Seine Abenteuer, die sich, wie die Eulenspiegels, in ganz Europa abspielen, sind in Wirklichkeit Versatzstücke bereits gängiger Romanformen, vom Abenteuer- über das utopische bis zum höfischen und erotischen Genre.

Immerhin wird sein Werdegang aber als Entwicklung dargestellt. Der Ulenspiegel-Roman hingegen ist nichts als die damals gängige Form der Schwanksammlung, in dem die eigentlich singulären Geschichten einem einzelnen „Schalk“, einem Bürgerschreck, zugeordnet und in eine biografische Ordnung gebracht werden.

Diese Art Literatur erhält von Herder die Bezeichnung „deutsche Volksbücher“. Dazu gehört auch die

Historia von D. Johann Fausten/dem weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler/ wie er sich gegen dem Teuffel auf eine benandte Zeit verschrieben/ was er dazwischen für seltzame Abenthewer gesehen/ selbs angerichtet und getrieben/ biß er endtlich seinen wol verdienten Lohn empfangen.

Die weitschweifigen Überschriften mit Inhaltsangaben sowohl über das Buch als auch über jedes Kapitel dienten damals der Orientierung der in extensiver Lektüre unerfahrener Leserschaft. Das Faustbuch wurde von einem evangelischen Theologen verfasst und trieft vor moralischer Belehrung:

„ … war also Doktor Theologiae. Da neben hat er auch einen dummen, unsinnigen und hoffärtigen Kopf gehabt, wie man ihn denn allezeit den Spekulierer genennet hat, ist zur bösen Gesellschaft geraten, hat die Heilige Schrift ein Weil hinter die Tür und unter die Bank gelegt, ruch- und gottlos gelebt (wie denn diese Historia hernach gnugsam gibt).“

Goethe macht später aus der Geschichte des derart Verdammten und Verdammungswürdigen die des wissenshungrigen und tatendurstigen Renaissance-Menschen.

Die frühen Autoren waren bis ins 17. Jh. hinein keine Berufsschriftsteller, sondern Stadt- und Amtsschreiber, Theologen und andere Schriftkundige, die im Nebenerwerb Literatur verfassten. Der Kreis der Autoren war noch nicht vom Lesepublikum getrennt. Man kannte sich, traf sich zweimal im Jahr auf der Leipziger und der Frankfurter Buchmesse. Die Verleger bezahlten die Autoren mit Büchern anderer Schriftsteller. Erst im 18. Jh. entsteht ein massenhaftes und von der Autorschaft losgelöstes, v.a. weibliches Lesepublikum.

Ulenspiegel, 2. Kapitel

Die ander Histori sagt, wie alle Bauren und Bürin uber den jungen Ulenspiegel klagten und sprachen, er wär ein Bub und Lecker (Nichtsnutz und Possenreiter), und wie er auf einem Pferd hinter seinem Vater ritt und stillschweigen die Lüt hintenzu in Arsch ließ sehen.

Alsbald nun Ulenspiegel so alt war, daß er gohn und stohn kunnt, da macht er viel Spiels mit den jungen Kinden, wann er war nötlich (übermütig) wie ein Aff, tommlet (tummelt) er sich uff den Küssen und im Gras so lang, bis er drei Jahr alt ward; da fliß (befleißigte) er sich aller Schalkheit also, daß alle Nachburen gemeinlich uber Ulenspiegel klagten, daß sein Suhn Tyl Ulenspiegel wär ein Schalk. Do kam der Vater zu dem Suhn und sprach zu ihm: „Wie geht das doch das immer zu, daß alle Nachburen sprechen, du siest ein Schalk?“ Ulenspiegel sprach: „Lieber Vater, ich tu doch nemen nüt, das will ich dich offenbar beweisen; gang hin, sitz uff dein eigen Pferd, so will ich hinter dich sitzen und stillschweigen mit dir reiten durch die Gassen, noch werden sie uff mich liegen (lügen) und sagen, was sie wöllen, des nimm acht.“ Also tät der Vater und nahme ihn hinter sich uff das Pferd. Also lupft sich Ulenspiegel hinten uff mit dem Loch und ließ die Lüt je in den Arsch sehen und saß da wieder nieder. Da zögten (zeigten) die Nachburn und Nachbürin uff ihn und sprachen: „Pfei dich an (pfui über dich), wohl ein Schalk ist das. Da sprach Ulenspiegel: „Hör, Vater, du siehest wohl, dass ich stillschweig und niemand nüt tu, noch dann sagen die Lüt, ich sei ein Schalk.“ Also tät der Vater eins und satzt Ulenspiegel, seinen lieben Suhn, für sich uff das Pferd; da saß Ulenspiegel still, aber er sperrt das Mul uff und zannet (zeigt die Zähne) die Bauren an und reckt die Zungen us, da luffen die Lüt zu und sprachen: „Sehen zu, wohl ein junger Schalk ist das.“ Da sprach der Vater: „Du bist freilich in einer unglückseligen Stund geborn, du sitzest still und schweigest und tust nieman nichts, noch dann sagen die Lüt, du seiest ein Schalk.“ Also zog sein Vater mit ihm von dannen und zog mit Haus in das megdburgisch Land uff die Saal, das Wasser, daher war Ulenspiegels Mutter. Und bald darnach, da starb der alt Claus Ulenspiegel, da bleib die Mutter bei dem Suhn. Also ward die Mutter arm, und Ulenspiegel wollt kein Handwerk lernen und war dabei sechzehn Jahr alt und tummelte sich und lernt mancherlei Gäukerei.


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