Liebe Christa,
"So möchte man gerne schreiben können, in dieser gelungenen Mischung aus Unmittelbarkeit und Reflexion".
- so schrieb ich dir vor langer Zeit in einem Kommentar zu deinem schönsten Blogtext überhaupt ("Du als über 40-Jährige ...").
Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Die äußerte sich hier dann in der von so manchen argwöhnisch beäugten vielfältigen Übereinstimmung des Urteils, gründete bei mir aber nicht zuletzt in der Bewunderung deiner ausgesuchten Fähigkeit, der Welt und den Menschen, die sich darin bewegen, mit großem Ernst und zugleich einem Witz zu begegnen, aus dem man das helle Lachen selbst in der Form der schriftlichen Übermittlung heraushört.
Dies Lachen sowohl als die emotionale, lebhafte Rede konnte ich sozusagen hautnah erleben, da ich dich, was hier wohl nur wenigen vergönnt war, persönlich kennenlernen und deine Liebe und Güte erfahren durfte. Die persönliche Begegnung gleichsam als organische Konsequenz eines Blogs, das du eigens mir gewidmet hast und aus dem hervorging, dass ein nicht unbedeutendes Motiv unserer Geistes- und Seelenverwandtschaft in unser beider Herkunft aus dem nämlichen sozialen Milieu zu suchen ist ("Begegnung auf der Treppe ...").
In einem wesentlichen Punkt, nämlich der scheinbaren Verharmlosung von Erziehung mittels Gewalt, stimmte ich sachlich nicht mit dir überein, war jedoch an dieser Stelle nicht bereit, mich mit deinen Kritikern gemein zu machen. Denen schrieb ich dazu als Begründung:
"Nicht, weil ich mit ihr in dem Punkt einer Meinung wäre, das bin ich in der Tat nicht, sondern weil ich kapituliere vor der Totalität ihres Urteils, von der ich weiß, woher sie stammt. Ich werde im Gegenteil mit ihr auf der Treppe sitzen, Essen und Trinken genießen, und unsere Umarmung wird unendlich sein."
Doch die Unendlichkeit des "Verweile doch, du bist so schön!" bleibt selbst in der Literatur ein Traum, das wirkliche Leben endet unabdingbar mit dem Tod. Der ist nun bei dir viel zu früh eingetreten, möchte man meinen und beklagen, mitten in der Sommerzeit deines Lebens.
Jedoch in jenem alten Buch Der Ackermann und der Tod des Johannes von Tepl, das zum Lesenswertesten gehört, das zum Tod geschrieben ist und in welchem ein Bauer den in allegorischer Gestalt auftretenden Tod anklagt, dass er seine junge Frau zu früh hinweggerafft habe, antwortet dieser:
"als balde ein mensche geboren wirt, als balde hat es den leikauf getrunken, das es sterben sol"
- und, dass uns das Leben schließlich nur geliehen worden sei:
"Was ein mensche entlehent, das sol es widergeben."
Du hast dich, liebe Christa, wohl zu sehr verausgabt, den Kelch des Lebens schneller ausgeleert als manch anderer. Wir haben's zu leiden und zu dulden.
Um auf jenen schönsten deiner Blogtexte zurückzukommen, dort schreibst du zum Schluss:
"Was du immer noch nicht kannst: dich ohne Wehmut von den zu eng gewordenen Kleidungsstücken trennen, in denen immer noch die Freude nistet, die du in ihnen erlebt hast. Wie soll man sich nur daran gewöhnen, sich von mehr als nur Kleidungsstücken zu verabschieden? Dabei, du hast dich in deinem Leben schon von so vielem verabschieden müssen. Und du kennst sogar das Gefühl, ohne Bedauern im nächsten Moment von dieser Welt gehen zu können. Weil du so glücklich bist, daß du denkst, das Schönste im Leben hast du gerade eben erlebt. So möchtest du einmal Abschied nehmen, wenn es denn sein muß."
Da es denn nun wohl sein musste, dürfen wir es mit der Hoffnung verbinden, du mögest jenen schönen und glücklichen Moment erlebt haben und ohne Bedauern, wenn auch zu unserem großen Bedauern von uns gegangen sein.
Für die tiefgläubige Christin und für uns alle zum Schluss den Trost:
"Wie wir mitten im Leben vom Tode umfangen sind, so müßt ihr jetzt auch ganz fest überzeugt sein, daß wir mitten im Tode vom Leben umfangen sind."
Johannes Calvin
Und von Johann Sebastian Bach dies:
Ich trauere um dich, ohne deine Güte ist die Welt ärmer und ohne dein Lachen trauriger.
Heinrich (oranier)
Kommentare 22
Ich hab anscheinend was nicht mitgekriegt - und jetzt einen dicken Kloß im Hals.
Cassi, schönes Gedicht.
Danke oranier.
Die Couch ist fest mit meinem Hintern verwachsen. Jetzt weißte, warum ich so fit bin. Die wuchte ich nämlich überall hin mit
Titta
Aber das Lächeln kommt doch nicht dadurch in die Welt, daß man das fehlende Lächeln in der Welt beklagt.
Titta
Individualisierung geht doch nur mit steigendem Lebensstandard, schließlich will der Individualismus auch bezahlt werden. Titta
Tschö Titta...
Verehrter oranier,
ich bin traurig und betroffen, obwohl ich mit Titta ziemliche Gefechte ausgetragen habe.
In der Zeit, bevor sie ganz verschwand, haben wir uns wieder angenähert und sind versöhnlicher geworden. Ich wollte mich zudem nicht gemein machen mit Kritikern, die jedes Maß verloren haben. Und weil ich die Art unseres Streits zunehmend unangemessen fand.
Ich habe in der letzten Zeit oft an sie gedacht. Sie hat angekündigt, im Mai wieder mitzuschreiben. Ich wunderte mich, dass sie ausblieb.
Es tut mir von Herzen Leid
Magda
*
.
∞
Tittas freitag
hab dank, heinrich. ich bin sehr traurig.
sie hat mir viel gegeben. das alles bleibt.
ich danke dir, christa! machs gut.
janina
.... wenn es einen Himmel gibt,
wie Gläubige das Leben nach dem Tod nennen,
wäre er nicht vollkommen,
wenn man hier "unten" nicht weiterbloggen könnte.....
Hoffentlich kann sie dies alles noch lesen.
Ich wünsche es ihr.
Das tut mir sehr leid.
Ich habe in letzter Zeit auch an sie gedacht.
Inhaltlich waren Titta und ich nicht immer auf einer Linie, aber das spielte im gegenseitigen menschlichen Respekt doch gar keine Rolle.
Es ist so schade und traurig , dass sie nicht mehr da ist.
Ich bin traurig.
Als ich heute morgen meinen Computer anmachte, war der Link zu diesem Blog das erste, was ich anklickte.
Seitdem habe ich ihn mehrmals auf und zu gemacht, gelesen, nach neuen Kommentaren geschaut, auf den Bildschirm gestarrt, blöd geguckt, auf kluge Worte gewartet, die ich hierhin schreiben kann.
Und eigentlich wusste ich, dass sie nicht kommen. Weil es sie nicht gibt. Ich bin wirklich traurig.
Ich hab sie vermisst und gehofft, dass sie bald zurückkehrt. Ich hab sie nicht gekannt. Aber... aber.
...
den ganzen tage habe ich immer wieder alte sachen von ihr gelesen. und kann es noch immer nicht glauben. es fühlt sich an, als stünde eine antwort aus. dabei sind es viele. und die fragen werden erst noch kommen. sie fehlt.
Tschüß Titta...
Wenn ich Dir noch etwas sagen könnte, dann wär's ein tausendfaches Danke - danke, dass ich dich kennenlernen durfte, im virtuellen wie im realen Leben, danke für Deine Offenheit und Gastfreundschaft, für Dein Vertrauen, für den selbstgemachten Erdbeerkuchen, für die Sonne auf Deiner Dachterasse, *wein* *schluchz* - es ist einfach zuviel für mich, kann nicht mehr weiterdenken, muss erst mal Pause machen :(
Ganz liebe Grüße
Dein Christian
Da der Tod wohl immer irgendwie zunächst sprachlos macht und ja auch schon alles gesagt wurde, was jetzt gerade gesagt werden kann, schließe ich mich (beinahe) wortlos den Vorrednern an.*
@Christian Berlin
Du bist so ein lieber und sensibler Mensch. Sei nicht so ganz lange traurig. :(
Viel Kraft wünscht Dir
poor on ruhr
Selbst wenn man jemanden „nur“ online kennengelernt hat, ist es doch eine tatsächliche Person, mit der man sich unterhält und auch auseinandersetzt. Und wenn sie weggeht - aus welchen Gründen auch immer - ist es ein echter Verlust.
So auch Titta. Ich für meinen Teil hatte in letzter Zeit nicht mehr soviel ‚Kontakt‘ mit ihr, hier in der Blogosphäre, auf freitag.de. In den Letzen Wochen war von ihr auch gar nichts mehr hier auf freitag.de zu lesen. Tja, so geht‘s halt manchmal, dachte ich mir. Schon so viele haben sich für länger oder für immer aus dieser Community zurückgezogen, dachte ich mir. Es kann schließlich manchmal passieren, daß mancher für eine Weile oder mancher auch für immer die Nase von der FC voll hat.
Und mancher hat vielleicht von dieser ganzen Computer- und Internetkommunikation manchmal so richtig die Nase voll und beschäftigt sich mit „richtigen“ Dingen wie Freunde treffen oder Bücher lesen oder spazierengehen.
Z.B. ich. Der PC war tagelang nicht eingeschaltet, und dann eine Mitteilung von Cassi. „Sch...“ war mein erster und Hauptgedanke und ist es jetzt noch. Was kann ich sagen, was von anderen Kommentatoren hier noch nicht gesagt wurde? Was kann man angesichts des Schmerzes über den Tod, den endgültigen Abschied, den endgültigen Verlust, überhaupt wirklich sagen?
Es war schön mit Titta hier in dieser FC. Es war schön, mit ihr herumzualbern, auch herumzustreiten. Ihre klugen und oft bissigen Worte werden fehlen, und sicher nicht nur mir.
In Trauer
IDA
P.S.: Danke, oranier, für diesen Nachruf!
Zurückgekehrt von einer Reise, lese ich dies und bin bestürzt. Es tut mir sehr leid!
Ihrem Mann, den Titta hier manchmal erwähnt hat, mein herzliches Beileid!
Merzi.
Liebe Titta,
leider kann ich dir in dieser Welt als Mitbloggerin der 1. Stunde nichts mehr sagen, vielleicht noch sehr viel in anderen höheren Wirklichkeiten?
Bin zu Tode betrübt, tief traurig, ringe um Fassung mit Tränen überströmten Gesicht. Habe erst jetzt, verspätet, den Freitag mit deinem wunderschönen Zitat gelesen - "Aber das Lächeln kommt doch nicht dadurch in die Welt, dass man das fehlende Lächeln in der Welt beklagt" - Dein Tod - eine unendliche Bitternis.
Herzliches Beileid an den Ehemann (wir kennen ihn "angedeutet" aus vielen Titta-Kommentaren)
Zum Abschied ein langes tiefes Bb auf meinem Tenorsaxophon
Michael Miller
PS. Bin zur Zeit selbst zu viel von Leid und Tod umgeben (was auch meine Schreibblockade produziert). Liebe Community, das Leben geht weiter, so hart es oft ist. Ich werde mich irgendwann in den nächsten Monaten wieder mal im Freitag zurückmelden - bisweilen, ganz sporatisch lese ich noch.
Heinrich, danke für deinen ganz besonderen Nachruf.