Fürstenherrlichkeit - für Josef Allensteyn-Puch

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"Es gehört zwar nicht zu dem Thema hier, aber am 4. Februar des Jahres 1636, also auf den Tag genau gestern vor 375 Jahren, wurden anläßlich der Grablegung von Heinrich Reuß, des Herrn von Sachsen, die Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz erstmal aufgeführt." (j-ap)

Nein, lieber Josef, solche Arten von Jubiläen begehe ich nicht, habe ich nicht auf der Agenda. Und den Heinrich mit dem nekrophilen Beinamen Posthumus als Herrn und Kurfürsten von Sachsen anzusehen, das ist doch wohl mehr als eine starke Überhöhung, oder habe ich da im Vergleich zum Blaublütler - welcher Ausdruck übrigens von den autochtonen Bewohnern der iberischen Halbinsel stammen soll, die die Adern durch die Haut an den Armen der weißhäutigen Westgoten, die sich als Herrenvolk über sie erhoben hatten, blau hindurchschimmern sahen, während ihre, sonnengebräunte und ledergegerbte, Haut diese verdeckten - habe ich also als Gemeiner im Vergleich zum blaublütigen Edlen etwas übersehen, da ich meinte, jener Heinrich II. Posthumus Reuß (jüngere Linie) (* 10. Juni 1572 in Gera; † 3. Dezember 1635 ebenda) war Herr zu Gera, Herr zu Lobenstein und Herr zu Ober-Kranichfeld? - Wie die illustren Namen des hochherrschaftlichen Reichsfürstentums schon anzeigen, eines sog. Duodezfürstentums, bestehend aus zwei Kleinstädten, ein paar Dörfern und Weilern, und natürlich aus den bei den Nachfahren jener Herrschaften heute noch so beliebten Wäldern, in denen zum lustigen Halali geblasen wurde?

Der Ausdruck "Duodezfürstentum" geht, um auch diese Erläuterung dem Publikum noch zuzumuten, auf ein Papierformat zurück, das ein zwölftel Druckbogen umfasst. Vergegenwärtigt man sich, dass das bekannte Oktavheftchen ein achtel Druckbogen umfasst, so wird sinnfällig, was gemenit war. Immerhin haben wir einem anderen Duodezfürsten, dem von Köthen-Anhalt, mittelbar einige der großartigsten Werke der Musikliteratur zu verdanken, denn der verpulverte den großen Teil seiner Staatseinnahmen, da es für ihn aussichtslos war, wie es sich damals wie heute für einen Staat gehörte, der etwas auf sich hält, in ein einigermaßen wehrfähiges Militär zu investieren, in sein Hoforchester, für das er bedeutende Musiker von den Höfen der Territorialfürsten abwarb und auf welchem Wege der dreizehn Jahre nach dem Tode jenes Heinrich Schütz geborene Johann Sebastian Bach die Stelle des Hofkapellmeisters bei jenem erlangte.

Was aber nun das Fürstentum und die Familie Reuß betrifft, so handelt es sich um eine besondere Posse der deutschen Kleinstaaterei, wenn anders sie auch wieder ernst ist.

Der Ahnherr des Geschlechtes der Reuß war Heinrich der Fromme vom Gleißberg († um 1120), der von Kaiser Heinrich IV. als Vogt mit Gera und Weida belehnt wurde. Seitdem wurde das Besitztum über die Jahrhunderte lustig immer weiter unter den männlichen Nachommen aufgeteilt, getreu dem fränkischen Erbrecht, Gott weiß, wie sich das in der von ihm verlassenen östlichen Gegend etablieren konnte, bis irgendwann, als die aufzuteilenden Gebiete immer duodezischer wurden - man war zwischenzeitlich vom Vogt zum Grafen und zum Reichsfürsten aufgestiegen - nach dem sächsischen Erbrecht nur noch der Erstgeborene die hehre Fürstenkrone erbte. Jene männlichen Nachkommen erhielten übrigens nach einem Familiengesetz alle den Namen Heinrich, bis auf diejenigen, die Heinrich genannt wurden. Wobei in der älteren Linie alle hintereinander bis hundert gezählt wurden, während die jüngere bis zum Ende eines Jahrhunderts zählte und dann von vorne anfing.

Neben der älteren und der jüngeren Linie gab es noch eine irgendwann ausgestorbene mittlere Linie, und dann wurde weiter geteilt in die ältere Linie Greiz mit Burgk und die jüngere Linie Gera mit Schleiz und Lobenstein. Reuß ältere Linie Obergreiz wurde schließlich 1768 mit Reuß ältere Linie Untergreiz vereinigt und Heinrich LXII. (in arabischen Ziffern 62!) von Reuß-Schleiz fasste alle Äste der jüngeren Linie 1848 zum Fürstentum Reuß jüngere Linie zusammen usw. usf. das Ende der Geschichte ist damit noch nicht beschrieben. Differenzierteres hier nachzulesen. - Ausschnitt:

"1824 Nach Aussterben Lobenstein fällt Lobenstein an Ebersdorf, dieser Staat nennt sich seitdem Lobenstein-Ebersdorf. - 1848 Abdankung des Fürsten Lobenstein-Ebersdorf zugunsten Schleiz."

de.wikipedia.org/wiki/Fü;rstenhaus_Reuß

Diese Geschichte wollte ich aber immer schon mal nachzeichnen, seit ich die Lieder der 48er Revolution von Dieter Süverkrüp gehört hatte mit dem Lied: Wer soll deutscher Kaiser sein, wo dann unterschiedliche Fürsten vorgeschlagen werden, unter anderem eben der von Greiz-Schleiz-Lobenstein, der meine besondere Aufmerksamkeit erregte. Im Refrain heißt es dann jeweils: oh nein, oh nein, oh nein, das ganze Volk soll Kaiser sein.

Als es mir dann, nachdem ich die westdeutschen Lande weitgehend mit dem Motorrad abgegrast hatte, möglich wurde, auch die ostdeutschen zu erkunden, landete ich folgerichtig irgendwann auch in der thüringisch-sächsischen Gegend und konnte natürlich dem beschilderten Umweg über das zwanzigtausend-Einwohner-Städtchen Greiz nicht widerstehen. Es befinden sich darin zwei Schlösser, eins unten und eins oben, eine stattliche Stadtkirche, hochoben am Felsenhang gelegen und nur über gewundene Umwege durch die Altstadt am Berg zu erreichen, aber Mittags nach dem Prinzip der protestantischen Arbeitsethik zur Verhinderung von Ruhestörung geschlossen, und als Restaurationen eine Eisdiele und ein Asia-Imbiss, mit schöner Chinesin und günstigen gebratenen Nudeln.

Nichtsdestoweniger, so gehen nicht nur die Errungenschaften alter Fürstenherrlichkeit dahin, sondern auch die von Sowjetbesatzung und SED-Herrschaft:

"Die Söhne Heinrichs I. prozessieren seit Anfang der neunziger Jahre um die Rückübertragung von Eigentum des Hauses Reuß, insbesondere mit der Argumentation, dass Heinrich XLV., der Mitglied der NSDAP war und bis 1944 in der Wehrmacht diente, auch einen britischen Pass hatte und somit auch britischer Staatsbürger war, also nicht enteignet werden durfte."

Zielt also auf eine Revision der Ergebnisse des sowjetisch-britischen Krieges zugunsten Großbritanniens.

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