Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage!

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Mein Buch des Advents- und Weihnachtsmonats stelle ich in einem eigenen Blog vor.

Es gibt es auszugsweise auch als Hörbuch, begleitet von den Text kommentierenden schier überirdischen musikalischen Einlagen, zum Teil in der Metaphorik hoch erotisch:






oder auch uns Zuhörer in das kindliche Geborgenheitsgefühl versetzend, in dem wir nach dem Glauben des Evangelisten und des Komponisten, ob wir diesen nun teilen oder nicht, durch das besungene Erlösungswerk uns wärmen dürfen:






Die Bibel sowohl als die Bachsche Musik seien auch Atheisten anempfohlen. Vielleicht gibt es ja entgegen deren üblicher rationalistischer Verengung an dieser und an anderen Religionen, welchen die absolute Mehrheit der Menschheit in der einen oder anderen Weise anhängt, noch etwas anderes zu erahnen und zu entdecken als Unfreiheit und Gesinnungsterror. Mich jedenfalls lassen die jahrhundertealten schriftlichen, bildlichen und musikalischen Zeugnisse von gläubiger Ehrfurcht bei ihrer Betrachtung trotz meiner Religionsferne selbst nicht ohne ehrfürchtige Bewunderung zurück.

Die französischen Aufklärer waren, bedingt durch das entwickeltere Selbstbewusstsein des Bürgertums, die politisch und weltanschaulich radikaleren. Jedoch herrschte dort in Sachen Religion und Weltanschauung ein primitiver Atheismus vor, wie er heutzutage fröhliche Urständ feiert. Die Lichtgestalt der Aufklärung im Hinblick auf eine säkulare Gesellschaft dagegen, in welcher Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Ansichten einvernehmlich und respektvoll miteinander umzugehen hätten, ist für mich Gotthold Ephraim Lessing.


Lessing, der die christliche Orthodoxie in der Gestalt des Hamburger Hauptpastors Goeze in einer Schrift bekämpft hat, die demjenigen als das Beispiel überhaupt dienen kann, welcher sich der literarischen Form der Polemik befleißigen möchte, und die ihm ein herzogliches Publikationsverbot in theologischen Fragen einbrachte, hatte "eine zum Instinkt gewordene Besorgnis um das relative Recht, das gemeinhin auch die Meinungen und Standpunkte haben, welche aus guten Gründen den Kürzeren ziehen" (Hannah Arendt). Was zu seiner Zeit in dieser Hinsicht für atheistische und pantheistische weltanschauliche Auffassungen galt, gilt heutzutage, was den Mainstream anbetrifft, offenbar für religiöse.
Lessing selbst hat in Bezug auf das religiöse Weltverständnis keine eindeutige Stellung bezogen, sondern ist

"unwillkürlich an ihm zweifelhaft geworden, 'je bündiger mir der eine (es) beweisen wollte', und hat es unwillkürlich in seinem 'Herzen aufrecht zu erhalten' getrachtet, je mutwilliger es der andere ganz zu Boden treten wollte.'"

(Hannah Arendt in: Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten, Rede über Lessing).


Das ist gelebte Aufklärung, neben dem, was uns Kant und Schleiermacher und viele andere Aufklärer in ihren religionsphilosophischen Schriften überliefert haben. Kein Geringerer als Johann Gottfried Herder, der einer bigotten Kirchengläubigkeit so unverdächtig war wie nur irgendeiner, versieht ein Kapitel seiner "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" mit der Überschrift "Religion ist die älteste und heiligste Tradition der Erde". Wilhelm von Humboldt, der Begründer der Berliner Universität und einer der gebildetsten Menschen seiner Zeit, schreibt:

"Wenn die Idee einer Gottheit die Frucht wahrer geistiger Bildung ist, so wirkt sie schön und wohltätig auf die innere Vollkommenheit zurück. Alle Dinge erscheinen uns in veränderter Gestalt, wenn sie Geschöpfe planvoller Absicht, als wenn sie ein Werk eines vernunftlosen Zufalls sind."

Hier im oben angesprochenen Sinne noch eine Gelegenheit zum adventlichen Meditieren:






Neben der Aufnahme mit Bernarda Fink unter Sir Eliot Gardiner, der die obigen Videos entstammen, sind meine Empfehlungen zwei absolut gleichwertige Aufnahmen aus der DDR und der Bundesrepublik aus den 60er bzw. 70er Jahren:

-
Martin Flämig mit Dresdener Kreuzchor, Annelies Burmeister, Peter Schreier, Theo Adam.

- Karl Richter
mit Münchener Bachchor und -orchester, in dessen Aufführung mit die herausragendsten Sänger ihres Fachs aus der Bundesrepublik überhaupt aus dieser Zeit vertreten sind: Gundula Janowitz, Christa Ludwig, Fritz Wunderlich, Franz Crass.

Karl Richter war damals mein absoluter Favorit, der Lordsiegelbewahrer der Bach-Interpretation, die historisierende Aufführungspraxis von Harnoncourt erschien mir dagegen damals eher langweilig, seine neueren Interpretationen halte ich aber neben denen von Ton Coopmann für sehr empfehlenswert.

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