Medienkritik: Mely Kiyak

Deutschstunde So geht Deutschstunde

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Jamtländer und Deutsche, Kalmücken und Griechen, setzt über!

Zeit.online, 25. März 2015

http://www.zeit.de/kultur/2015-03/griechenland-tsipras-merkel-besser-verstehen

Mely Kiyak, die selbsternannte Deutschlehrerin der Nation auf ZEIT.de, offenbart wieder einmal öffentlich ihr krudes Sprachverständnis:

„Der andalusisch-deutsche Lyriker und Wortdetektiv José F. A. Oliver machte einmal darauf aufmerksam, dass schon das Wort "übersetzen" eine herrliche Bedeutung in sich trage. Nicht nur Worte werden übersetzt, auch Boote setzen über. Von einem Ufer zum anderen. Das ist Sprache. Sich verstehen heißt, zum Anderen zu gelangen.“

Detektive verfehlen allerdings schonmal ihr Ziel, ihre Fälle aufzuklären.

Dass das schlichte Wort übersetzen die herrliche Bedeutung von übersetzen in sich trage, diese Behauptung ist so verwegen wie die, dass eine Heroin (Heldin) Heroin in sich trage, damit also vollgepumpt sei oder dass ausgerechnet, was modern ist, dabei sei zu modern.

Die scheinbare Wortgleichheit von uebersétzen und úebersetzen erschöpft sich im reinen Schriftbild des Infinitivs. Es handelt sich hier um sog. Homographe, also gleich geschriebene Wörter. Nicht einmal die Betonung ist gleich, geschweige denn die finiten (gebeugten) Verbformen: diese werden getrennt, wenn die Betonung auf dem - großenteils aus einer Präposition bestehenden - vorderen Teil (Präfix) liegt: ich übersetze, aber ich setze über; ich habe übersetzt, aber ich habe übergesetzt.

Die sprachliche Übereinstimmung ist also nicht einmal eine auf dem Niveau von Synonymen (Schloss-Schloss etc.).

"Nicht nur Worte werden übersetzt, auch Boote setzen über."

Der Unterschied wird mal eben eskamotiert, gell? Das Verweilen im Passiv würde ihn offenbaren:

„Nicht nur Worte werden übersetzt, auch Boote werden übergesetzt.“

„Von einem Ufer zum anderen. Das ist Sprache.“

- eben nicht, jedenfalls nicht die deutsche.

„Sich verstehen heißt, zum Anderen zu gelangen.“

Wenn schon, dann einander verstehen, Frau Deutschlehrerin! Sich verstehen ist reflexiv und heißt eben, bei sich zu bleiben.

So ginge Deutschstunde, Frau Kiyak.

Nun könnte man mir vielleicht entgegenhalten: Das wäre aber eine ziemlich trockene Deutschstunde, Kiyak dagegen habe etwas Gutes im Sinn und verbinde ihre Deutschlektion mit einem politischen und sozialen Anliegen.

Dazu sagt der gute alte Tucholsky:

„Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“

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