Ich habe ein Problem. Ich wohne drei Minuten von einem großen Platz entfernt. Seit dreißig Jahren. Damals war es tatsächlich nur ein großer Platz. Mit einem Maschendrahtzaun mit Sichtblende drumherum. Und mit einem Eingangstor.
Immer wieder sonntags - manchmal auch samstags.- kam die Erinnerung. Daran, dass aus einem ruhigen Stadtviertel mit nahezu kleinstädtischem Charakter innerhalb von zwei Stunden die Hölle werden kann. Zigtausend fremd anmutende Menschen bevölkern die gesamte Umgebung. Ihre Kleidung merkwürdig eintönig: Sommers wie winters gestreifte Schals, zweifarbige Hemden oder Jacken mit Zahlen und den Namen der Träger drauf - die heißen merkwürdigerweise fast alle gleich - und zweifarbige Mützen. Die Farben sind manchmal rot-weiß, manchmal blau-weiß, manchmal blau-gelb, aber grün-weiß ist immer dabei, bildet sogar regelmäßig die Mehrheit. Auffallend ist, dass sie sich nicht vermischen, sondern immer in gleichfarbigen Haufen auftreten.
Ich glaube, es handelt sich um Anhänger unterschiedlicher Religionen. Tut es nicht? Die Menschen jedenfalls haben zwar keine Gesangbücher, sondern Bierdosen in der Hand, beschallen aber regelmäßig das ganze Viertel mit ihren religiösen Gesängen. Vielfach Litaneiartig: Der Vorbeter singt eine Sentenz, und die Gemeinde antwortet mit einem Refrain. Nach mehreren Sequenzen folgt ein gemeinsam laut gesungener, aus Gründen der Pietät will ich nicht sagen: gebrüllter, Choral.
Selbstverständlich habe ich nichts dagegen, wenn Menschen ihre Religion ausüben, mir ist egal, wer an was glaubt. Mir ist auch bewusst, dass ich keinen Einfluss auf eine Religion habe, die derart die Massen ergreift. Aber dass diese einen immer größeren Einfluss auf die städtische Politik nimmt, muss ich das tolerieren, gar akzeptieren? Wo ist die Toleranzgrenze? Wo damals nur der Maschendrahtzaun war, erstrecken sich heute riesengroße und hohe Gebäude, alle von unsereinem ungefragt mitbezahlt. Der freikirchliche Platz - um nichts anderes handelt es sich nämlich dabei, ein religiöser Versammlungsort unter freiem Himmel - wird mittlerweile umsäumt von einem eigenen Stadtteil mit eigener Infrastruktur: Riesen-Parkplätzen, Arzt-Praxen, einem Schwimmbad und einigen kleineren Plätzen, Versammlungsorten, wo die Priesterschaft wochentags die Liturgie für die Wochenendfeiern einübt.
Wenn die große Gemeinde sich dazu in ihrem eingehegten Gelände versammelt, ist zwei Stunden einigermaßen Ruhe, unterbrochen allerdings von jubelnden oder enttäuschten Massenrufen zwischendurch. Aber dann die Nachfeier. An jeder Ecke ein Wirtshaus, manche leben nur von diesen Gelegenheiten, und Trauben von fröhlichen Biertrinkern davor. Über die ganze Straßenbreite. Man kann nicht mal durch die Straße gehen, für den KFZ-Verkehr ist sie ohnehin gesperrt. Tolerieren muss ich das wohl oder übel. Akzeptieren? ANNEHMEN? Nein. Ich muss damit irgendwie umgehen. So wie die Religionsanhänger mit meinen Sitten und Gebräuchen irgendwie umgehen müssten. Aber tun sie das wirklich? Keineswegs. Sie überfallen und überfremden mein schön kultiviertes kleines Großstadtviertel und scheren sich einen Teufel um die alltäglichen Sitten und Gebräuche der Einheimischen. Das macht mir Angst und Unbehagen. Dem Hund meiner Nachbarin, der so gerne mit ihr zum Flussdeich möchte, machen sie Angst, der muss ihr unwillig einen anderen Weg folgen, ebenso wie die Joggerinnen einen großen Umweg um ihre gewohnte Strecke machen müssen. Mit meinem Rad käme ich erst gar nicht bis zur Uferstraße.
Das Schlimmste aber ist: Ich bin mit meinem Unmut, mit meiner diffusen Angst vor den fremden Religiösen allein. Deswegen äußere ich sie hier. In meiner Nachbarschaft kann ich über mein Unbehagen nicht reden. Freundliches Verständnis, ja wohlwollende Zustimmung gegenüber den Sekten, gehört hier zum guten Ton. Die halten merkwürdigerweise nur ökumenische Veranstaltungen ab, noch niemals sah ich nur eine einzige Gruppe von Farbenträgern. Kritik ist verpönt. Wer Kritik übt, ist ein Spaßverderber. Die politisch Korrekten lassen keine Kritik und keine Zweifel zu.
Bin ich politisch korrekt? Was von all dem, das ich gerade geschrieben habe, ist bedingt durch meine (politisch korrekt unterdrückten) Vorurteile und Ängste? Ist es möglich, diese Ängste zu artikulieren, ohne den Dialog zu gefährden?
Nur: was soll der Dialog bewirken? wohin soll er führen? Früher kamen sie zu ihren religiösen Versammlungen nur alle zwei Wochen zusammen, nun jede Woche, manchmal auch mittwochs oder freitags zusätzlich. Manchmal überwinde ich mein Unbehagen, bei schönem Wetter, stelle mich zu ihnen, trinke ein Gläschen mit, oder auch zwei, und will den Dialog mit ihnen führen. Dass sie ihr Areal nicht noch weiter ausbauen lassen, dass sie nicht so massenhaft und so häufig kommen sollen. Aber dazu komme ich gar nicht erst. Sie reden von nichts anderem als von ihrer Versammlung. Religiöse Fanatiker, scheint mir. Muss ich wohl akzeptieren, oder?
Kommentare 21
Aber in dieser Religion gibt's keine Kopftücher sondern Schals.
Mir scheint, das geht mehr in die Richtung amerikanischer Fundamentalisten, man trägt Baseball-Kappen in den Konfessionsfarben.
www.textlog.de/tucholsky-psychologie-1931.html
@rahab
Dir reicht's mit den Türmen? Dann geh doch türmen. ;-))
Verantwortlich ist das Loch...na...das Loch Ness. Und in Kufstein gibt es ein "Auracher Löch'l", falls du mehr auf etwas kleines stehst.
luggi
Genau. An ihren Kappen sollst du sie erkennen.
Gleiche Brüder - gleiche Kappen.
Also, Türme sind ganz wichtig. Z.B. beim Schach, oder für Einnahmen aus irgendwelchen Aussichtsplattformen (wg. der Haushaltslöcher), oder Fernsehtürme, na nun bei diesen Türmen dann doch wieder nicht wg. dem sch... Programm. Und dann der Beruf des Türmers. Soll der etwa aussterben? Und du bist daran Schuld? Wieder Arbeitsplätze vernichtet.
Baut doch endlich Türme und stellt Türmer ein. Mein Vorschlag für das Schnapstumbeschleunigungsgesetz.
o.k., dann brauchen wir noch Gefangenenwärter, aber nicht solche Dunkelblauen aus den JVA sondern richtige mit Hellebarde und dem ganzen Mummenschanz, und Nachtwächter, nein die dann doch nicht, die hamwa im Kabinett von dieser "Gutregierung". (Ich will auch mal einen Neologismus kre...also erzeugen.)
Wenn die Islamosophen Schach spielen, haben die dann statt der Türme Minarette? Da kann nur weinsztein helfen, odrrr?
Das ist jetzt der Zeitpunkt für das Video, odrrr?
Diese religiösen Sekten sind die gewalttätigsten der Bundesrepublik. Überall machen sich diese Gemeindemitglieder breit. In Italien, wo sie ebenfalls zu den regelmäßigen Ritualen zusammenkommen, gehen sie vermehrt dazu über, sich gegenseitig in die Fresse zu schlagen. Kein Wunder, dass dieses Mittel jetzt auch gegen den Staatschef dieses Landes Anwendung fand und dieser als Folge des Übergriffes einige Tage im Krankenhaus verbringen muss. Manche - das muss ich an dieser Stelle erwähnen - haben mit dem Geschlagenen allerdings keinerlei Mitgefühl.
Im Frühjahr, als sich die Schalträger an ihrem Kultort Millerntor trafen, mussten exakt 1.367 Polizisten die Anhänger der Gruppe, die sich die Heiligen Paulianer nennen, von ihren Rostocker Glaubensbrüdern auf Distanz halten lassen, um größere Massenschlägereien zu verhindern.
Verbürgt ist auch ein besonderes Ereignis in Mannheim im September dieses Jahres. Als bei einer Kulthandlung auf regionaler Ebene rund 1.000 Gläubige in der Carl-Benz-Gedächtnisstätte bengalische Feuer zündeten, Zäune einrissen und mit Pflastersteinen um sich warfen. Rote Teufel nennen sich die Anhänger aus der Pfalz, Waldhofbuben heißen die Badener, die nicht sehr freundlich miteinander umgingen. Mancher Polizist, der gemüterdämpfend eingreifen wollte, trug Verletzungen davon.
Das Sonderbare ist, so gut wie niemand regt sich darüber auf. Würden andere gesellschaftliche Gruppen sich auf diese Art und Weise wöchentlich bis zu zweimal begegnen, hätten unsere Politiker längst Gesetze auf den Weg gebracht, um deren Treiben Einhalt zu gebieten. Ja, sie hätten schon längst den Notstand ausgerufen, damit die Bundeswehr nach dem Rechten sehen könnte.
...will kommentieren... ...kann nicht... ...Fußball lähmt... ....Geist...
Olé Olé Olé Olé Olé Olé Olé Olé Olé Olé
Ach, so sieht das also von innen aus! Und so hört es sich vor allem an. Wollte ich immer schon mal hinter die Palisaden schauen, danke!
@ luggi, Rahab,
verstehe gar nicht, wieso ihr euch hier so auf Türme kapriziert. Das liegt doch völlig neben dem Thema.
jetzt hast du aber auch ein Problem mit Soccerstadien; vorher waren es Luminiszenztürme (Schlingel)
Seht ihr, so könnten wir in ein sinnhaftes Gespräch kommen: Die Symbole, ob als Luminiszenstürme oder Minarette, sind Zeichen, und ein Zeichen ist dadurch gekennzeichnet, dass es über sich selbst auf etwas anderes hindeutet, das im gegebenen Fall der eigentliche Auslöser des Unbehagens ist.
Aber dies andere ist ggf. schwerer zu fassen als das sinnlich-konkrete Symbol. Insofern ist mit dem Veschwinden des Symbols keineswegs a Ruah, sondern das Unbehagen bleibt natürlich. entweder wäre also die Aufgabe, dem tieferen und schwer fassbaren Grund des Unbehagens auf die Spur zu kommen oder neue Symbole dafür zu entdecken, sozusagen einen neuen Sack, auf den man schlagen kann, wenn man eigentlich den Esel meint.
Beim Fußball gibt es auch innen nur außen.
Mein lieber oranier,
nun lass mal den Rasen auf dem Platz. Dein Vorschlag ist mir viel zu anstrengend. Symbole haben eine gute Angstökonomie.
Streifzug,
dein Hinweis ist mal wieder so kryptisch, dass ich ihn nicht verstehe. War Titta das angstauslösende Moment für dich, und jetzt ist sie zwar zumindest einstweilen verschwunden, nicht jedoch dein Unbehagen, oder was? Außerdem: hat dir Cassandra nicht verboten, etwas aus anderen Blogs hier hinein zu portieren?
Mein lieber merdeister,
ok., ich seh's ja ein, manchmal wächst, wo ich etwas kommentiert habe, kein Gras mehr, aber den Rest auch deiner lakonischen Bemerkung verstehe ich leider nicht. Ich sehe schon nicht, dass ich dir einen Vorschlag gemacht hätte, aber nun mache ich dir den, mir deine Antwort zu erklären, anstrengend hin oder her.
@ elbeo
Interessanter Text zum Thema, danke! Er ist allerdings ein fünfzig Jahre alter Versuch einer verallgemeinernden Beschreibung, als solche noch kein Argument. Aber wenn schon, sehe ich den Gegensatz zu meiner Aussage leider nicht, es sei denn du wolltest mir vorschlagen, mich ins Innere der Arena zu begeben und mich dort als entindividualisierter Gleicher unter Gleichen in Sicherheit zu wiegen.
Jedoch bleibe ich doch lieber ein Individuum mit deutlich von der Masse unterscheidbaren Merkmalen, und die Gläubigen bleiben eben nach ihrer Andacht nicht in der nach außen abgeschirmten Arena, sondern sie begeben sich voller aufgestauter Emotionen nach draußen und wenden diese, da sie untereinander in der so treffend beschriebenen Weise homogen sind, gegen andersartige, seien es nun andere religiöse Gruppen, wie Achtermann beschrieben, oder säkulare Individuen wie mich. wie sollten angesichts dieser Situation meine diffuse Angst und mein Unbehagen schwinden?
Streifzug
"deine Worte waren: ... sozusagen einen neuen Sack, auf den man schlagen kann, wenn man eigentlich den Esel meint."
Also typisch, auf die einfachsten Dinge komme ich einfach nicht.
Grüße!
@ elbeo,
da sind wir uns im Prinzip einig, bloß funktioniert die Sache ja wohl gerade dadurch, dass der Verstand (= das Individuum) am Kartenhäuschen abgegeben wird, damit man in der bewusstlosen Menge angstfrei mitwogen kann, oder?
Grüße
oranier
Geht das nicht auch mit 'n büschn Humor?
Jetzt lass doch die ollen Kamellen :-p
Bald eine beliebte Taktik in Genf: Durchs Wurmloch ins Tor.