Statistik, Medien

ein Brainstorming Über Statistik und entsprechende Medienberichte

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spiegel.de Donnerstag, 08.01.2015

Deutschlandtrend:

Angst der Deutschen vor Terroranschlägen sinkt

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/charlie-hebdo-angst-vor-anschlaegen-laut-deutschlandtrend-gesunken-a-1012025.html#ref=rss

49 Prozent fürchten, dass es auch in Deutschland in nächster Zeit einen Anschlag geben wird. (…) Im Deutschlandtrend im Oktober hatten noch 59 Prozent der Befragten ihre Angst vor einem möglichen Terroranschlag geäußert.

Wie hoch ist eigentlich der Anteil, den Augstein am Spiegel besitzt? Steht der wohl in einem signifikanten Verhältnis zur Fähigkeit der Redakteure, sinnhaftes, d.h. richtiges Deutsch zu schreiben? Angst „sinkt“ nicht, sondern wird ggf. geringer oder größer, vielleicht stärker oder schwächer. Wie borniert muss man als Redakteur sein, der mit Statistik befasst ist, um Gefühle analog zu einem Pegel oder Thermometer vorzustellen, der messbar sinkt oder ansteigt.

Aber der Versuch, statistische Daten in gedanklichen und sprachlichen Sinn zu überführen, führt womöglich grundsätzlich in ein Dilemma. Oder ist auch dies ggf. der Borniertheit der Redakteure geschuldet?

Was genau geschieht, wenn aktuell 49 Prozent fürchten, dass es auch in Deutschland in nächster Zeit einen Anschlag geben wird, im Gegensatz zu 59 Prozent im Oktober? Handelt es sich überhaupt um dieselbe statistische Basis, von der eben ein Teil vom Lager der Furchtsamen ins Lager der Furchtlosen gewechselt ist? Nein,

Infratest dimap befragte in einer repräsentativen Zufallsauswahl 500 Menschen über 18 Jahren in Deutschland.

500 Menschen von zig Millionen, ich bitte euch, Infratest dimap! Ihr habt doch wohl einfach 500 andere repäsentative Zufallsmenschen ausgewählt, unter denen dann halt weniger Angsthasen waren, oder? Aber Moment! Was heißt eigentlich genau, dass 49 Prozent „einen Anschlag fürchten“? Ich fürchte, dass es im Januar oder Februar nochmal schneien wird. Habe ich deshalb „Angst“ vor dem Schnee? Oder bedeutet: „ich fürchte, es gibt Schnee“ einfach „ich erwarte, dass es Schnee gibt“? Nichts genaues weiß man nicht, wenn nicht der Wortlaut der Fragen bekannt ist nebst der Verfälschung durch den Spiegel.

Und eine solche steckt jedenfalls manifest in der zusammenfassenden Überschrift:

„Angst der Deutschen vor Terroranschlägen sinkt“.

Tolerieren wir mal, Angst könne sinken und es gäbe überhaupt Angst „vor“ etwas (im Gegensatz zur Furcht ist die Angst eine Grundbefindlichkeit, die eben nicht auf ein bestimmtes Objekt gerichtet bzw. von einem solchen ausgelöst ist), so lässt sich doch wohl nicht sagen, sie sinke schlechterdings bei DEN Deutschen. Unter denen gibt es, wie aus den Zahlen so oder so hervorgeht, solche und solche. Genau ermittelt gab es im Oktober 295 Menschen, die „Angst vor einem möglichen Terroranschlag“ äußerten, und neuerdings gibt es erwiesenermaßen 245, - von den über 18-Jährigen unter 80 Millionen. Die Aussage ist ungefähr so sinnvoll wie die: wenn ich den linken Fuß in eiskaltes Wasser stelle und den rechten in kochendheißes, habe ich lauwarme Füße.

DIE Deutschen sind Weltmeister, Papst und haben das Schießpulver erfunden. Damit brüstet sich jedenfalls laut Heine in einem Pariser Emigrantenlokal ein deutscher Angeber. Dem antwortet der anwesende Börne: „Sie irren, mein Freund. Das deutsche Volk besteht aus 30 Millionen Menschen. Einer davon hat das Pulver erfunden. Die übrigen neunundzwanzigmillionen neunhundertneunundneuzigtausend neunhundertneunundneuzig haben das Pulver NICHT erfunden.

Was sich jedenfalls auch von Statistikern und Spiegel-Redakteuren sagen lässt.

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