Über Minnesang und Liebesdichtung

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Minnesang (vorzüglich Walther von der Vogelweide)

Auch wenn Minnesang und Liebesdichtung, Minne und Liebe vielfach gleichgesetzt werden, so weist doch der Minnesang kulturgeschichtliche Besonderheiten auf, die eine Differenzierung geraten erscheinen lassen.

Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass die Lieder und Gedichte der Minnesänger an eine höherstehende adelige Dame gerichtet sind, wo es sich um Vasallen handelt, vielfach an die Frau des Lehnsherren, dem, vermittelt über die Verehrung der Frau, die Achtung des Untergebenen Ritters ausgesprochen werden soll.

Als Vorläufer und Vorbilder der Minnesänger sind die französischen Trobadore (Troubadoure) anzusehen, zum Teil hochadelige Herrscher, aber auch einfache Ritter, die ihre Dichtungen wohl aber nicht von Hof zu Hof reisend vortrugen, sondern vorwiegend am eigenen Hofe.

Das gilt wohl auch für ritterliche Vertreter des deutschen Minnesangs, die ihre Lieder, ergänzend und parallel zu den Turnierkämpfen, im Wettbewerb miteinander vortrugen.

Als der älteste deutsche Minnesänger gilt der "Kürenberger" ("Der von Kürenberg"), der in der zweiten Hälfte des 12. Jh. wirkte. Sein "Falkenlied" gehört zu den bekanntesten Dichtungen der Zeit:

www.saelde-und-ere.at/Hauptseite/Arbeitsgruppen/Mhdt/Falkenlied/Falke.html

Das Bild stammt aus der großen Heidelberger (Manesse-) Liederhandschrift, die zweihundert Jahre nach den frühen Minnesängern um 1400 entstand und als eine der kostbarsten und schönsten erhaltenen Handschriften des Mittelalters in der Heidelberger Universitätsbibliothek in einer Glasvitrine aufbewahrt wird, während man in einem am Eingang zum Lesesaal befindlichen Faksimile blättern kann.

(Die Abbildung Walthers von der Vogelweide, die dem Gedicht "Ich saz ûf eime steine" nachempfunden ist, schmückt als Hinterglasmalerei meinen Hauseingang.)

ttp://www.literaturwelt.com/autoren/walther_von_der_vogelweide.html

Überhaupt Walther von der Vogelweide: Er war ein früher aufgeklärter Dichter (um 1200), der den eigentlichen Übergang von der Minnedichtung zur erotischen Liebesdichtung markiert, der ein für das hohe Mittelalter ausgesprochen aufgeklärter Mann war, welcher zum Beispiel postulierte, dass man keine Kinder schlagen solle, und der aus ebendiesen Gründen meine Verehrung genießt.

Die Namen "von der Vogelweide", "Der von Kürenberg" usw. sind nicht, wie man annehmen könnte, Adelstitel, sondern Ortsbezeichnungen innerhalb eines Dorfes, nach welchen die entsprechenden Bewohner vor der Einführung von Familiennamen, die sich erst daraus entwickelten, kenntlich gemacht wurden.

Allerdings strebten die Minnesänger den Dienstadel durchaus an, den Stand eines Ritters oder Ministerialen, der im Gegensatz zum tradierten alten Stammesadel (Freiherr (Baron), Graf) vom König für Verdienste verliehen wurde, da dies wirtschaftliche Unabhängigkeit brachte in Form eines "Lehen", eines Grundherrensitzes mit dazu gehörigen abgabenpflichtigen Bauern.

Es ist, soweit ich unterrichtet bin, eine zumindest in Teilen der Forschung vertretene, wenn nicht dominante These, dass die "Minne" weniger realiter die schmachtende Liebe eines fahrenden Sängers und Dichters zu einer höherstehenden adeligen Dame darstellte, als vielmehr symbolisch den sehnsuchtsvoll angestrebten und verehrten Ritterstand vom Standpunkt der vorwiegend aus bäuerlichen Kreisen stammenden Sänger aus beschrieb.

Dieser Bestrebung, in den Ritterstand aufgenommen zu werden, entspricht auch die tradierte Sage, die Minnesänger hätten ihre Lieder beim Besuch auf der Ritterburg spontan aus dem Stegreif vorgetragen. Tatsächlich sind die überlieferten Lieder der Sänger dazu viel zu kunstvoll gestaltet, und man hat auch in jüngerer Zeit kleine Textbücher mit solchen Gedichten im Oktavformat gefunden, die die Minnesänger wohl in ihrer Satteltasche mitgenommen und in denen sie gespickt haben, bevor sie die Burg betraten und dort scheinbar aus dem Stegreif ihren Vortrag hielten.

Der soziale Hintergrund dafür war: Die Sänger mussten sich vor den Rittern als "Illiteraten" ausweisen, als Analphabeten, denn das waren die Ritter auch selbst, wogegen schriftkundig in erster Linie die von den Rittern verachteten Mönche waren.

Um auf Walther zurückzukommen: er erreichte schließlich die Erhebung in den Ministerialen-Stand und schrieb darüber ganz begeistert ein Gedicht:

Ich hân mîn lêhen

Ich hân mîn lêhen, al die werlt, ich hân mîn lêhen.

Nû entfürhte ich niht den hornunc an die zêhen,

und will alle boese hêrren dester minre flêhen.

Der edel künec, der milte künec hât mich berâten,

daz ich den sumer luft und in dem winter hitze hân.

Mîn nâhgeburen dunke ich verre baz getân:

Sie sehent mich niht mêr an in butzen wîs als sî wîlent tâten.

Ich bin ze lange arm gewesen ân mînen danc.

Ich was sô voller scheltens daz mîn âten stanc:

Daz hât der künec gemachet reine, und dar zuo mînen sanc.

Neuhochdeutsche Übersetzung:

Ich habe mein Lehen, hört es, ihr Leute alle, ich hab' mein Lehen! Nun fürchte ich nicht mehr den Februarfrost an den Zehen und will in Zukunft die geizigen Herren nicht mehr anbetteln. Der edelmütige König, der großzügige König, hat so für mich gesorgt, dass ich im Sommer Kühlung und im Winter Wärme habe. Gleich erscheine ich auch meinen Nachbarn um manches vornehmer. Sie sehen mich nicht mehr wie vordem als Schreckgespenst an. Leider bin ich zu lange arm gewesen. Ich war so schmähsüchtig, dass mein Atem stank. Das alles hat der König wieder rein gemacht und meinen Sang dazu.

Und von da an durfte er sich auch "her" nennen, denn der Titel "Herr" stand nur adeligen Männern zu, wogegen die adelige Dame "Frouwe", Frau genannt wurde, während die neutrale Geschlechterbezeichnung damals "wîp" war. In einem späten literarischen Zeugnis noch spricht ein Herr Dr. Faust ein junges Weib als "Fräulein" an, wogegen sie einwendet, sie sei kein Fräulein und damit nicht etwa meint: keine Jungfrau, sondern: keine unverheiratete adelige Dame, sondern eine Bürgerstochter.

Wenn meine Wege mich nach oder über Würzburg führen, dann versäume ich in der Regel nicht, den steinernen Sarkophag Walthers zu besuchen, der in einer lauschigen Nische unter Bäumen direkt hinter einem Seitenausgang der Neumünsterkirche neben dem Dom steht und in die eben die Aufschrift "her walther von der Vogelweide" eingemeißelt ist. Und dort verweile ich, ich gestehe es, eine Zeitlang in gleicher Ehrfurcht und Ergriffenheit wie vor dem Hochaltar des Domes.

Das schöne erotische Gedicht aber, das erste seiner Art in deutscher Sprache, lautet folgendermaßen:

1 Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ mugt ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
vor dem walde in einem tal
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.

2 Ich kam gegangen
zuo der ouwe:
dô was mîn friedel komen ê.
dâ wart ich enpfangen,
hêre frowe,
daz ich bin saelic iemer mê.
kust er mich? wol tusentstunt,
tandaradei,
seht wie rôt ist mir der munt.‹

3 Dô het er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat.
des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an das selbe pfat.
bî den rôsen er wol mac
tandaradei,
merken wâ mirz houbet lac.

4 Daz er bî mir laege,
wessez iemen
nu enwelle got! sô schamt ich mich.
wes er mit mir pflaege,
niemer niemen
bevinde daz, wan er unt ich,
und ein kleinez vogellîn:
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.

Neuhochdeutsch:

1 Unter der Linde / auf der Heide, / wo unser beider Lager war, / da könnt ihr entdecken / gleichmäßig gebrochen / Blumen und Gras, / vor dem Wald in einem Tal / tandaradei - / schön sang die Nachtigall.


2 Ich kam gegangen / zu der Wiese, / da war mein Liebster
schon vor mir dort. / Da wurde ich so begrüßt / - heilige
Jungfrau -, / daß ich für immer glücklich sein werde. / Ob
er mich küßte? Wohl tausendmal! / tandaradei - / seht,
wie rot mein Mund ist.

3 Er hatte schon vorbereitet / so wunderschön / aus Blumen
eine Lagerstatt. / Darüber freut sich noch / von Her-
zen / wer dort vorüberkommt. / Bei den Rosen kann er /
tandaradei - / sehen, wo mein Kopf lag.

4 Daß er mit mir schlief, / wüßte es jemand, / das verhüte
Gott! so schämte ich mich. / Was er mit mir tat, / soll
niemals jemand / wissen außer ihm und mir / und dem
kleinen Vöglein / tandaradei - / das wird sicher
verschwiegen sein.

Und schließlich Süßkind von Trimberg. Er war, soweit wir wissen, der erste Jude, der in deutscher Sprache dichtete, wie Walther von der Vogelweide und andere Minnesänger aus der mittelhochdeutschen Zeit um 1200 und die späteren Renaissance-Humanisten ein würdiger früher Vorläufer der Aufklärer des 18. Jahrhunderts, als Jude aber damals schon ein Ausgegrenzter.

Die Juden des Mittelalters waren nach den Beschlüssen des IV. Laterankonzils gezwungen, sich durch ihre Kleidung deutlich von ihren christlichen Zeitgenossen zu unterscheiden, unter anderem mussten sie zu ihrer Kenntlichmachung einen lächerlichen spitzen Hut tragen und durften keine Waffen tragen, was ansonsten für jeden freien Mann selbstverständlich war und ihnen deshalb für alle späteren Zeiten den Ruch der Feigheit einbrachte. Der profane politische Hintergrund: Nach den schlimmen Pogromen während der Kreuzzüge stellte der König die Juden unter seinen persönlichen Schutz. Gegen eine bedeutende Sondersteuer, versteht sich. Und wer unter dem Schutz des Königs steht, darf sich nicht zugleich persönlich als wehrhaft ausrüsten, auch wenn der König weit weg ist.

www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/13Jh/Suezkint/sue_wapn.html

Ob spitze Hüte oder Kopftücher: es geht den militanten Rittern nicht wirklich darum, was im einzelnen die "Fremden" tragen, wie sie aussehen. Im einen Falle werden sie gezwungen, etwas Bestimmtes anzuziehen, im anderen Fall sollen sie gezwungen werden, etwas Bestimmtes auszuziehen. Entscheidend ist: sie sollen nicht erscheinen und leben können, wie sie wollen. Die Vertreter der sog. Mehrheitsgesellschaft bestimmen das Maß an Fremdheit und Ähnlichkeit, in dem sie neben, im günstigsten Falle unter ihnen leben dürfen.

Die Paradigmen der Definitionsmacht wechseln: Von der einsamen Höhe der Herrenrasse eben noch schmählich heruntergestoßen, maßen sich die Deutschherren nun an, den entwickeltsten und fortgeschrittensten Teil der aufgeklärten Menschheit zu repräsentieren.

In dem lesenswerten, leider nur noch antiquarisch erhältlichen Stern-Buch "Juden in Deutschland" von Leo Sievers heißt es über Süßkind:

"Wenn Süßkind von Trimberg sich einer Burg näherte, sah der Türmer also schon von weitem, dass da ein Jude kam.

Seine Gedichte zeigen Weisheit, Güte und tiefe Melancholie. Er wandte sich gegen ein engstirniges Klassendenken und wollte Charakter und Herz des Menschen als einzigen Maßstab anerkennen.

Er glaubte an die Kraft und die Freiheit der Gedanken, die alle Mauern durchdringen und durch die Lüfte fliegen wie Vögel.

Er geißelte die Brutalität der Machtmenschen und trat für soziale Gerechtigkeit ein. Und dann, am Ende seines Dichterlebens (...) schrieb er:

Ich alter Tor,

ich bin mit meiner Kunst hausieren gegangen

und habe nichts erreicht.

Ich will Schluss machen,

mir einen langen Bart wachsen lassen

und das alte Judenleben führen.

Lang soll mein Mantel sein

unter dem spitzen Hut

und demütig mein Gang.

Danach hörte niemand mehr etwas von diesem Mann, dem ersten Juden, von dem wir wissen, dass er in deutscher Sprache dichtete."

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