„Hilfe“ ist nicht up to date

Sprache Obdachlose brauchen mehr als „Unterstützung“, auch wenn es die Politik gern anders hätte
Ausgabe 05/2019
Mitarbeiter des Kältebusses kümmern sich um Obdachlose in Berlin-Lichtenberg
Mitarbeiter des Kältebusses kümmern sich um Obdachlose in Berlin-Lichtenberg

Foto: epd/Imago

Obdachlose Menschen unter Gewaltanwendung aus der Öffentlichkeit zu verdrängen, hilft niemandem ... Menschen haben unsere Unterstützung verdient.“ Das sagte vor Kurzem die SPD-Politikerin Eva Högl. Sie reagierte damit auf ein Video, das nahelegte, dass die Berliner Polizei übermäßig grob gegen eine Obdachlose vorgegangen war. Bemerkenswert an der Aussage ist nicht, dass sich Högl für die Schwächsten der Gesellschaft einsetzt, das erwartet man ja trotz allem immer noch von ihrer Partei; bemerkenswert ist das Vokabular, dessen sie sich bedient.

Unterstützen bedeutet ursprünglich: „eine Stütze unter ein Ding setzen“. Die deutsche Sprache kennt das Wort im Sinne von helfen freilich seit dem 16. Jahrhundert. Das wichtigste deutsche Wörterbuch des 18. Jahrhunderts, der Adelung, verzeichnet es in der ganzen Bedeutungsbreite, die uns heute geläufig ist. In der letzten Zeit haben sich jedoch die Unterstützung und ihre Verbform in der deutschen Sprache so breitgemacht, dass sie „helfen“ und „Hilfe“ zu verdrängen scheinen: Da kommen die Großeltern zur Unterstützung bei der Kinderbetreuung; der dreijährige Sohn soll seine Mutter beim Grillen unterstützen; die Chefin kündigt an, dass sie demnächst Unterstützung benötige; Verkäufer fragen, ob sie beim Schnürsenkelkauf unterstützen dürfen; und Politiker sagen, dass Obdachlose Unterstützung brauchen.

Dürftige Zeiten für die Hilfe. Woran liegt das? Wer Erste Hilfe leistet, tut etwas existenziell Notwendiges. Wer Hilfe braucht, schafft es nicht allein. Ist man hilflos, ist man nicht nur gemäß dem Wortsinn ohne Hilfe, nein, man ist am Ende. Deshalb schreit man „Hilfe!“; nach ihr ruft man, um sie fleht man, man rennt los, um sie zu holen. Ein Hilfegesuch ist Autonomieaufgabe. Niemand schreit „Unterstützung!“. Man kann um Unterstützung bitten, um sie ersuchen. Sie ist zwar nützlich, es ginge aber auch ohne sie. Die Unterstützer sind eben keine tragenden Säulen; sie sind willkommen, aber nicht notwendig. Unterstützung wird gern in Verwaltung und Politik benutzt, es verbreitet eine Nüchternheit und Spröde, die der Hilfe nicht eignet.

Unterstützung verrät wenig über denjenigen, der Unterstützung erhält: „Ich habe den Willen, Merkel zu unterstützen“, sagte Ralph Brinkhaus nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion. Man ersetze „unterstützen“ durch „helfen“ und die eh schon geschwächte Bundeskanzlerin wäre als rettungsbedürftig und abhängig erschienen.

Es ist nicht davon auszugehen, dass jemand, der Menschen Unterstützung verspricht, ihnen Hilfe verweigern möchte. Wahrscheinlich ist sogar mit Unterstützung Hilfe gemeint, aber um niemandes Schwäche zu offenbaren, vermeidet man das Wort. Vielleicht wird die Hilfsbereitschaft davon nicht angetastet. Aber Sprache ist nicht nur ein Kommunikations- und Darstellungsmittel. Von der „gebildeteten Sprache, die für dich dichtet und denkt“, hat Schiller gesprochen. Wenn Sprache also nicht nur abbildet, was wir denken, sondern bildet, wie wir denken, dann ist die Verdrängung der Hilfe durch die Unterstützung nicht nur von lexikalischer Bedeutung; dann betrifft sie unsere Vorstellungen von uns selbst, von den anderen und unserem Zusammenleben.

Malte Osterloh ist Literaturwissenschaftler. Er forscht zu Goethe, Urbanität und Ideengeschichte

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