Sie waren einmal die Zelle des Bürgerrechts innerhalb der Polizei und deutschlandweit bekannt - die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritische Polizisten. Doch nach 15 Jahren steht die Gruppe nun vor dem Aus, knapp zwei Dutzend Mitglieder halten noch die Stange. Grund dafür sind nicht nur interner Zwist, sondern auch teure Verleumdungsprozesse. Nun sollen die »Kritischen« als Arbeitsgruppe in der Humanistischen Union neu gegründet werden.
Hamburg, den 8. Juni 1986: Auf dem Heiligengeistfeld umzingelt die Polizei etwa 700 bis 800 Teilnehmer einer Demonstration gegen das Atomkraftwerk Brokdorf stundenlang. Dicht zusammengedrängt ist oft nur Stehen möglich und auch die Notdurft muss so verrichtet werden. Ein schwarzer Tag für das Demonstrationsrecht in Deutschland. Doch der »Hamburger Kessel«, wie er genannt wird, löst auch eine positive Reaktion aus.
Schon am nächsten Tag kommen in Hamburg mehrere Polizeibeamte aller Sparten zu einem Treffen zusammen. Sie sind über das brutale Vorgehen der Polizeiführung und dessen Rückendeckung durch den Innensenator empört. Eine Opposition innerhalb des Polizeiapparates entsteht, als »Hamburger Signal« lässt sie sich in das Vereinsregister eintragen. Das Unerwartete geschieht - innerhalb der Polizei wird das Signal verstanden. Aus dem ganzen Bundesgebiet melden sich Polizeibeamte bei den Hamburger Kollegen. 1987 gründen sie die »Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen e.V.«.
Als Vereinigung, die aus dem Apparat heraus öffentlich ihre Kritik an der offiziellen Polizeiwirklichkeit formulierte, war sie ohne Vorbild. Eine Massenbewegung wurden die »Kritischen« aber nie. In ihrer besten Zeit zählten sie etwa 120 Mitglieder, doch schnell erwarben sie sich innerhalb der demokratischen Öffentlichkeit Anerkennung und erhielten 1988 sogar für ihre Visionen von einer »demokratischen Polizei« den renommierten Gustav-Heinemann-Bürgerpreis. Innerhalb der Polizei aber wurden die meisten zu Parias - von Kollegen und Vorgesetzten geschnitten, isoliert, gemobbt und disziplinarisch geschuriegelt. Für etliche bedeutete dies »EdeKa«: Ende der Karriere.
Trotzdem wagten sich die »Kritischen« aus ihrer Polizeiecke heraus, nahmen Kontakt zu Bürgerrechtsgruppen auf und wurden schließlich Teil der Bewegung. Auch bei den Grünen engagierten sie sich. In einigen Parlamenten zogen »Kritische« als Abgeordnete ein, als bekanntester der langjährige Bundestagsabgeordnete Manfred Such. 1990 schlug ihn das damals an der Landesregierung in Brandenburg beteiligte Bündnis 90 sogar als Polizeipräsident von Frankfurt/Oder vor. Doch nordrhein-westfälische Ministeriale, die als Leihbeamte das Potsdamer Innenministerium aufbauten, wussten das zu verhindern. 1994 deckten »Kritische« den so genannten »Hamburger Polizeiskandal« auf. Über längere Zeit hatten in der Hansestadt Polizeibeamte Ausländer, insbesondere Farbige, schikaniert und misshandelt.
Doch nun, 15 Jahre nach der Gründung, steht die Arbeitsgemeinschaft vor dem Aus. Mit zwei Unterlassungsklagen haben der Berliner Polizeipräsident Hagen Saberschinsky und ein Polizeidirektor die »Kritischen« in den finanziellen Ruin getrieben. Mit dem Kollaps der Vereinskasse bröckelt auch die Solidarität der Gruppe. Hintergrund des Desasters ist der Selbstmord eines Berliner Polizisten im November 2000. Unmittelbar nach Dienstende hatte sich der Mann damals erschossen. In einer Presseerklärung ihrer Sprecherin Bianca Müller hatten die »Kritischen« für die Selbsttötung schweres Mobbing durch einen Vorgesetzten verantwortlich gemacht. Dabei hatte Frau Müller auch darauf hingewiesen, dass dieser bereits vor einigen Jahren in einen ähnlichen Fall verwickelt war. Auch auf der neuen Dienststelle des Polizeidirektors herrsche Mobbing, hatte Müller erklärt. Den »Kritischen« seien »bereits mehrere schwere Fälle bekannt geworden« und auch der Polizeiführung sei dies »nicht unbekannt«. Die Behauptung erregte Aufsehen, und die Angegriffenen schlugen sofort zurück. Der Polizeipräsident sah die Behörde verleumdet, der Polizeidirektor sein Ansehen beschädigt.
Bianca Müller ist in der Berliner Polizei keine Unbekannte. Infolge eigener Erlebnisse ist sie zur Mobbing-Expertin geworden und betreut Fälle aus dem ganzen Bundesgebiet. Mit ihrem Präsidenten hat die streitbare Kriminalhauptkommissarin sich schon öfter vor Gericht getroffen. Doch diesmal hatte sie sich offenbar zu weit vorgewagt, es fehlte an gerichtsfesten Beweisen für die Vorwürfe. Die Prozesse gingen verloren, die Kosten in die Zigtausende. Der Verein geriet in Existenzprobleme. Eine Anfang Mai nach Kassel einberufene Krisenversammlung blieb ohne Ergebnisse.
Die Frage, wie der Verein eine Selbstauflösung wegen drohender Insolvenz noch abwenden kann, wurde nicht geklärt. Wichtiger war den Teilnehmern der interne Streit im Vorstand. Ein Teil warf Frau Müller »unprofessionelles Verhalten« vor. Der andere erklärte ihren Sprecherkollegen, den langjährigen Vorständler Thomas Wüppesahl zum eigentlichen Problem. Der habe den Konflikt eskalieren lassen und sich damit »vereinsschädigend« verhalten. Seither ist die frühere Geschlossenheit der Gruppe dahin. Ohnehin hatten neben den sieben Vorständlern gerade einmal fünf der seinerzeit noch rund 70 Mitglieder den Weg nach Kassel gefunden. Es ging turbulent zu: Noch während der Versammlung kam es zu Vereinsaustritten, auch von Vorständlern. Der auf der Sitzung abgewählte Wüppesahl erkannte den Beschluss wegen angeblicher Formfehler nicht an. Per einstweiliger Verfügung ließ ihm Bianca Müller daraufhin im Namen der Vereinsmehrheit untersagen, sich weiterhin als Bundessprecher zu bezeichnen. Die Antwort: In der kürzlich erschienenen Ausgabe von Unbequem, der Zeitung der »Kritischen« ist im Impressum ausdrücklich vermerkt, sie sei allein »vom Flügel um Thomas Wüppesahl« zusammengestellt worden.
In der Auseinandersetzung, die von beiden Lagern unnachgiebig geführt wurde, zerfiel der Verein weiter. Gerade 20 bis 30 Personen zählen sich derzeit noch dazu. Seit etwa drei Monaten ist die Arbeitsgemeinschaft inzwischen außerdem vom Amtsgericht Hamburg unter Insolvenzrecht gestellt worden. Zwar läuft dagegen noch ein Berufungsverfahren, dennoch muss der Verein aufgelöst werden. Nach dem Willen des Vorstandes soll es nun als eigenständige Arbeitsgruppe innerhalb der angesehenen Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union e.V. (HU) weitergehen. Darauf hat man sich mit dem HU-Bundesvorsitzenden Till Müller-Heidelberg geeinigt. Doch ob es der Gruppe gelingen wird, innerhalb der HU zu ihrer früheren Geschlossenheit zurück zu finden, erscheint angesichts der tiefen Wunden, die man sich gegenseitig geschlagen hat, fraglich.
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