Vor wenigen Wochen konnte die ARD in einer Dokumentation über den BND - erstmals und ausgiebig - schöne Privatfilme seines Gründers Reinhard Gehlen vorführen und damit leicht über das Problem hinweg gleiten, dass Gehlen eine Fülle von Kriegsverbrechern aus SS und SD in seinen Dienst aufgenommen hatte.
Da lässt sich das ZDF nicht lumpen. Und kontert mit Göring - eine Karriere. Die Mainzer Anstalt hat entdeckt: "Hitlers wichtigster Komplize hatte eine verborgene Leidenschaft". Ein Dreiteiler aus Guido Knopps Geschichtsverwurstungsfabrik zeigt - zum ersten Mal - Görings zumeist selbst gedrehte Schmalfilme, die auf dem Dachboden gefunden wurden. ZDF: "Filme aus seinem Privatbesitz, die seit Jahrzehnten als verschollen galten, offenbaren erstmals, wie er sich selbst sah." Das ZDF versprach: "Die Privatfilme geben einen Einblick in die Welt von Hitlers mächtigstem Helfer."
Von wegen. Einmal gibt es den knappen Hinweis, wie Göring in Hitlers Kampf um die Macht "eine zentrale Rolle" spielte. Er war, heißt es knapp, der "Türöffner zu Adel und zur Hochfinanz". Doch kein Name fällt. Schon gar nicht der des Bankiers Emil Georg von Stauß, in dessen Salon Göring seit 1930 verkehrte. Das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank machte Hitlers Abgesandten in Berlin mit seinem Reichsbankkollegen Hjalmar Schacht bekannt, der wiederum im Auftrag der Ruhrindustrie eine eigene Arbeitsstelle einrichtete, um das NSDAP-Programm industriekompatibel zu gestalten.
Das ZDF lässt sich die großartige Szene entgehen, wie Stauß 1931 auf seiner Privatyacht mit Hitler und Göring über die Berliner Seen treibt. Prinzip des nationalen Sozialismus, erläutert dabei Hitler dem Bankier, sei die "Leistung" für die Gemeinschaft, der Feind seien der Jude und der Kommunist. Als die lange Rede zu Ende ist, steht der Deutschbankier von Hitlers Vorstellungen überwältigt auf und bittet, er möge doch gleich in die NSDAP aufgenommen werden - da ist er noch Reichstagsmitglied der Deutschen Volkspartei, in deren Fraktion er sich 1930 für eine halbe Million Bankgelder hineingekauft hat. Göring ist es, der den besseren Einfall hat: "Ob es nicht nützlicher sein kann, Herr Hitler, wenn Herr von Stauss außerhalb unserer Bewegung bleibt? Als führender Mann der Volkspartei kann er dort mehr für uns wirken, wie wenn er bei uns Parteigenosse wird." Diese Schlüsselszene, die in dem von Henry A. Turner 1978 herausgegebenen Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932 verzeichnet ist, ignoriert Knopp wie alle der dort verzeichneten engen Kontakte Görings zur deutschen Industrie.
Und was macht dieses "Doku-Highlight im ZDF" aus jenem denkwürdigen 20. Februar 1933? Göring, der Reichstagspräsident, lud an diesem Tag zusammen mit Hitler und Schacht die Blüte der deutschen Industrie - die IG Farben gleich mit drei Vorstandsmitgliedern - zum diskreten Spendentreffen in sein Palais. Über zwei Millionen für Hitler. Und: "Keine Experimente", verspricht der Präsident des Reichstags den Industriellen. Mögen die Wahlen am 5. März 1933 ausgehen, wie immer sie wollen, jeder - das ist fest versprochen - werde auf seinem Posten sein. Göring kündigte an: "Ohne Zweifel haben wir Nationalsozialisten die meiste Arbeit zu leisten, denn wir müssen mit unseren Leuten in die dunkelsten Quartiere der Großstädte vordringen." Sieben Tage später brennt der Reichstag, der durch einen unterirdischen Gang mit Görings Palais verbunden ist - für die Nazis, für Göring und seine im Entstehen begriffene Gestapo der Auslöser für die totale Machtergreifung.
Doch beim ZDF nichts über das Treffen bei Göring, nichts über den Reichstagsbrand - da müsste man ja vielleicht ein Wort darüber verlieren, wer ihn gelegt hat. Und natürlich auch kein Wort über den Reichstagsbrandprozess, in dem trotz aller Justizmanipulation Göring so schmählich gegen Dimitroff verlor. Erwähnt immerhin - in einem Satz - jene berüchtigte Konferenz nach der Pogromnacht vom 9. November 1938. Aber das alles entlarvende Göring-Wort fehlt: "Mir wäre es lieber, ihr hättet 200 Juden erschlagen und hättet nicht solche Werte vernichtet."
Göring wird 1936 Beauftragter für den Vierjahresplan und damit Diktator für Wirtschaft und Rüstung. Das immerhin erwähnt das ZDF. Aber dass Carl Krauch, Vorstandsmitglied der IG Farben, die Arbeit für Göring macht, darüber kein Wort. Die Vierjahresplanbehörde ist in Wirklichkeit eine IG-Farben-Behörde, die dort ganz nach ihren Produktionsbedürfnissen walten kann. Den Plan für den Krieg - Krauch arbeitet ihn aus. Göring gibt ihn an Hitler weiter. Und das ZDF, was eröffnet es uns über den - wie suggeriert wird - ahnungslosen Göring? "1936 eröffnet ihm Hitler auf dem Obersalzberg: die deutsche Wirtschaft und Wehrmacht müsse in vier Jahren kriegsbereit sein." Und dazu - erstmals - der Original-Freizeit-Göring auf Skiern in den Bergen.
Was bleibt von der ZDF-Serie, die in dieser Woche abgeschlossen wurde? Wie versprochen, "16-mm-Aufnahmen, gedreht von Hermann Göring persönlich". Und wie immer: das zugehörige Buch von Guido Knopp bei Bertelsmann. Ab sofort im Handel. Das ist alles beziehungsweise nichts.
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