D-Day

Invasion überlebt Das "Neue Deutschland" hat Geburtstag

Sechzig Jahre ist das Neue Deutschland alt - vor 35 Jahren arbeitete ich mitten im Kalten Krieg den Geheimvertrag zwischen dem SED-Zentralorgan und Springers unabhängiger Tageszeitung Die Welt aus. Damals, im August 1970, war der Bundeskanzler Willy Brandt nach Moskau gereist, seine neue Ostpolitik trug Früchte. Was lag da näher, als dass die Geschädigten sich zusammenschlossen. Das von mir ausformulierte Abkommen zwischen Welt und ND stellte dementsprechend fest: "Ungeachtet aller tiefgreifenden ideologischen Unterschiede sind sich beide Seiten darin einig, dass es nicht in ihrem Interesse liegen kann, wenn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion allzu freundschaftliche Beziehungen eintreten."

Es folgte die genaue Abstimmung der Schlagzeilen beider Blätter zum - wie sich zeigen sollte - historischen Brandt-Besuch in Moskau. Während das ND etwa mit der bewährten Titelzeile aufmachen sollte: 15 Prozent des Getreides unter Dach und Fach, sollte die Welt kontern: Fünf Mitteldeutsche flüchteten in die Bundesrepublik. Und so ähnlich durch die ganze Besuchswoche - alles nach dem Motto: "Neues Deutschland und Welt stimmen darin überein, dass diese Veröffentlichungen dem beiderseitig erstrebten Ziel dienen, die gegenwärtige Bundesregierung bei internationalen Verhandlungen als unseriös und nicht vertrauenswürdig erscheinen zu lassen."

Das Neue Deutschland dementierte meine Enthüllung mit keiner Zeile. Herbert Kremp aber, der Chefredakteur der Welt, dessen Name die Vereinbarung trug, dementierte in einer Leserzuschrift an den Spiegel eifrig: "Ich brauche nicht zu betonen, dass eine derartige Vereinbarung nicht existiert. Das Kremp-Papier existiert nur in Otto Köhlers Phantasie." - Ich war damals Medien-Kolumnist des Spiegel und hatte aus den real existierenden Schlagzeilen beider Blätter während der Moskauer Verhandlungswoche das Abkommen zwischen Welt und ND konstruiert. Und Kremp, dem man im eigenen Haus nachsagte, dass er das Pulver nicht erfunden hatte, dementierte brav, während das ND inzwischen doch noch mit den Schlagzeilen aufmachte: Vertrag UdSSR - BRD in Moskau unterzeichnet - Ein Erfolg für alle, die Entspannung und Frieden wollen.

Als 1989/90 die schwere Hand der Partei von den DDR-Medien genommen war, blühten sie auf, es war eine Freude, sie zu lesen, auch das Neue Deutschland, dessen Feuilleton vom Frankfurter Börsenverein mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet wurde. Schnell senkte sich der westdeutsche Eiseshauch über die ostdeutsche Medienlandschaft. Der Deutsche Fernsehfunk (DFF) wurde liquidiert, die großen Bezirkszeitungen gingen in den Besitz der mit CDU und FDP verbündeten Konzerne über. Vom Immobilienbesitz der Neuen Zeit der Ost-CDU profitierte die West-CDU, das Blatt wurde an die FAZ verkauft und bald eingestellt. Die Wochenpost wurde von Gruner Jahr übernommen und vom heutigen Springer-Chef Matthias Döpfner zielsicher in den Ruin geführt. Der Vorsitzende der "Unabhängigen Parteivermögenskommission", Hans-Jürgen Papier, der sich bei all dem bewährt hatte, stieg zum Richter am Bundesverfassungsgericht auf und ist heute dessen Präsident.

Nur am ND hat er sich die Zähne ausgebissen. "D-Day: 24. Juni 1991, 08.00 Uhr". So stand es am Beginn einer "Übersicht über notwendige Maßnahmen im Rahmen der Übernahme der Verwaltung der PDS-Grundstücke". Dieses Papier war nicht von mir erfunden, es stammte von der Treuhand, die mit dem Code-Namen für die Invasion der Westalliierten gegen Nazideutschland den Beginn einer vom Finanzministerium abgesegneten Blitzaktion gegen die PDS-Grundstücke tarnte, vor allem gegen das Neue Deutschland. D-Day, so nannten die Treuhandkrieger den Start ihrer Besetzungsaktion. Das Blatt wurde unter treuhänderische Verwaltung genommen und erschien darauf mit der Titelzeile: "Die einzige deutsche Tageszeitung unter direkter Regierungsaufsicht". Gemeinsam mit Professor Papier suchte die Treuhand, das ND in die Pleite zu treiben. Doch das Manöver misslang, weil das Blatt erfolgreich an die Spendenfreudigkeit seiner Leser appellierte. Heute ist die Zeitung, neben der jungen Welt, die einzige von westdeutschen Medienkonzernen unabhängige Tageszeitung im Osten.

Wie mir geht es so manchen westdeutschen Journalisten, die mit den Medienkonzernen nicht mehr zurechtkommen: sie haben ein Asyl im Osten, sie schreiben für den Freitag, für die junge Welt und für das nunmehr 60jährige Neue Deutschland.


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