Das BKA will aufräumen

Die frühen Jahre Wie das Bundeskriminalamt mit seiner derzeitigen Selbstreinigung dem "Spiegel" ein Problem schafft

THE DARK PAST, die dunkle Vergangenheit. Unter diesem Titel geht der Spiegel Anfang Oktober in seiner englischsprachigen Online-Ausgabe aus sich heraus: "Germany´s federal police is admitting that most of its founding members had blood on their hands as active members of Hitler´s brutal security apparatus. It´s the first time one of Germany´s security services is examining its own history." (Die deutsche Bundespolizei räumt ein, dass die meisten ihrer Gründungsmitglieder als aktive Mitglieder von Hitlers brutalem Sicherheitsapparat Blut an ihren Händen hatten. Es ist das erste Mal, dass ein deutscher Sicherheitsdienst seine Geschichte untersucht.)

In der Inlands-Printausgabe dagegen übt das Nachrichtenmagazin vorsichtige Zurückhaltung. Da ist nicht von den blutigen Händen der Männer aus Hitlers Sicherheitsapparat die Rede, es gibt nur eine 43-Zeilen-Meldung, Inhalt: Das BKA wolle "die Verflechtungen früherer Spitzenbeamter mit dem nationalsozialistischen Regime durch eine unabhängige Kommission überprüfen lassen".

Examining its own history - das übersetzt man im Spiegel-Glashaus an der Dovenfleet lieber nicht ins Deutsche. Dort prüft man nicht die eigene Geschichte, dort räumt man nicht auf, nicht mit der eigenen NS-Vergangenheit in den fünfziger Jahren, nicht mit der Augstein-Legende von der Unschuld der Nazis am Reichstagsbrand und schon gar nicht mit den personellen Verflechtungen ehemaliger Mitglieder des Reichssicherheitshauptamtes mit dem Spiegel.

Es könnte allerdings geschehen, dass die unabhängige Kommission, die alle braunen Wurzeln des Bundeskriminalamtes freilegen soll, immer wieder auf Augstein und den Spiegel stößt.

Arthur Nebes Horoskop

1949 plante man in Bonn die Errichtung eines zentralen Bundeskriminalamtes. Der Spiegel war sofort zur Stelle. Er erweiterte seinen Umfang und veröffentlichte die größte Serie seiner Geschichte: 30 zunächst scheinbar unpolitische Folgen über die deutsche Kriminalpolizei und "ihre(n) bisher letzten Chef" Arthur Nebe.

Rudolf Augstein schrieb im Editorial am 29. September 1949 dem lieben Spiegel-Leser: "Gestern war noch ungewiss", ob der neue Fortsetzungsbericht Das Spiel ist aus - Arthur Nebe Anspruch darauf erheben könne, "Ihnen ein ausgeleuchtetes Spiegelbild des ersten und bisher letzten Chefs der deutschen Kriminalpolizei zu entwerfen".

Da war einiges ungeklärt: "Das Bild des Menschen Arthur Nebe stand, aber es gab da einige Tatsachen, die in das Bild nicht passen wollten, und der Spiegel war nahe daran zuzugeben, dass Nebe für ihn ein Mensch in seinem Widerspruch geblieben sei." Doch dann kam gerade noch rechtzeitig Nebes Horoskop von einem bekannten Astrologen aus London. "Dieser Zeuge war in punkto Nebe völlig unverdächtig" - und klärte aus den Sternen alle Zweifelsfragen. Augstein nahm Nebes Horoskop auf das Titelblatt. Unterschrift: Todesschatten am achten Feld - dazu die Ankündigung der Serie über die deutsche Kriminalpolizei.

Augstein ließ schon hier mit Blick auf das geplante Bundeskriminalamt keinen Zweifel, "wie gut es wäre, wenn diese Verantwortlichen alles täten, die Eifersucht auszuschalten, die eine überwiegende Mehrzahl erstklassiger Kriminalisten unter dem Vorwand fernhält, sie hätten dem Regime gedient." (Augstein schrieb die Serie selbst mit Hilfe und nach den Angaben eines Mannes, der Bescheid wusste, davon gleich mehr.)

Die 18. Fortsetzung vom 2. Februar 1950 kam auf den Punkt. Nebe, dessen Reichskriminalpolizei Bestandteil von Reinhard Heydrichs Reichssicherheitshauptamt (RSHA) war, hatte sich 1941 bei Heinrich Himmler zum Einsatz im Osten zur Verfügung gestellt. Nebe war von Juni bis November Chef der Einsatzgruppe B. Eine Todesschwadron, mit der er nach seinen eigenen Meldungen 45.467 Personen liquidierte. Die Spiegel-Serie dazu: "Irrenhaus in Minsk. Irrenhaus in Smolensk: Hunderte ärmster Menschen, irre, tobsüchtige, in Lumpen gehüllte und heruntergekommene Menschen, ohne Nahrung und ohne Pflegepersonal. Nebe funkt an Heydrich. Antwort: ›Liquidieren!‹ Nebe ist konsterniert. Er geht selbst in das Irrenhaus. Unmöglich! Wie sollte man diese Leute erschießen? Das war schon rein technisch unmöglich. Man müsste sie festhalten, binden, um den Schützen einen einigermaßen sicheren Schuss zu ermöglichen. Die Exekution würde Tage dauern. Wer sollte das aushalten."

Augsteins Co-Autor

Mord ist ein schwieriges, verantwortungsvolles Handwerk, lernt der Spiegel-Leser, er bereitet auch erfahrenen Tätern schlimme Stunden. Aber es gibt einen Ausweg: "In Nebe entsteht ein Plan. Er lässt einen Teil der Kranken in eine kleine Holzbaracke, eine Garage, bringen und einen starken Pkw vorfahren. Der auf hohen Touren laufende Wagen strömt seine Auspuffgase in den Raum. Aber die Garage ist nicht dicht. Erschauernd vor einem Guckloch erschrickt Nebe vor seiner eigenen Grausamkeit. Aber er muss irgend etwas unternehmen. Wieder ventiliert er das Erschießen. Unmöglich! Dann lässt er die Garage vollständig abdichten und wiederholt den Versuch mit einem noch stärkeren Wagen. Erfolgreich. Nebe ist vollends am Ende. Er tröstete sich mit dem Gedanken, ordentliche Männer seiner Einsatzgruppe vor der Durchführung der grauenvollen Exekution bewahrt zu haben."

Erfolgreich - dass heißt: Die Menschen sind exekutiert. Sie sind am Ende und brauchen keinen Trost mehr - den braucht der Mörder. Es ist dasselbe Problem, das auch Himmler bewegt hat, wenn ihm beim Massenmordbesuch das Hirn der Opfer auf den Mantel spritzte - bei Augstein gedeiht es zur Gewissensqual eines empfindsamen Menschen. Die Opfer sind nur Objekt, vermutlich empfinden sie nichts bei ihrem Tod, leiden jedenfalls weniger als Nebe, der seine Seelenqual beim Vergasen mit Champagner hinunterspülen musste - Marke Veuve Cliquot - da zeigte sich die Qualität der Spiegel-Recherche.

Geholfen hat dabei als Co-Autor Augsteins Nebes Stellvertreter, SS-Hauptsturmführer Kriminalrat Dr. Bernhard Wehner, Leiter der Dienststelle V B 1a2 im Amt V des Reichssicherheitshauptamtes, seit 1931 in SA und NSDAP. Ohne im Impressum aufzutauchen, arbeitete er als Kriminalreporter und Lobbyist seiner alten Kameraden für den Spiegel, bis er 1954 endlich wieder als Leiter der Düsseldorfer Kriminalpolizei tätig werden und als Chef des Fachorgans Kriminalistik sehr prägend wirken konnte.

Für Rudolf Augstein war - als die Serie mit ihrer 30. Fortsetzung endlich ein Ende nahm - Arthur Nebe, der Massenmörder und Chef der NS-Kriminalpolizei, nichts anderes als "ein ängstlicher, anständiger, ehrgeiziger Beamter, der vor der Gewalt zurückwich, bis er sich selbst nicht mehr ins Gesicht gucken konnte". - Vor der Gewalt zurückwich? War er das Opfer, und sind die Ermordeten Ursache seines Leidens gewesen? Augsteins Fazit: "Arthur Nebe ist tot. Aber die Gewalt ist mächtiger denn je. Wir alle sind kleine oder größere Nebes."

Heydrichs alte Kämpfer

Es blieb ein Wunsch für die Zukunft, nachdem der Fall Nebe "gründlichst entwirrt" war. Die Spiegel-Serie führe doch, so Augstein, "den heutigen Polizei-Verantwortlichen vor Augen, dass die Kriminalpolizei ... auf ihre alten Fachleute zurückgreifen muss, auch wenn diese mit einem SS-Dienstrang ›angeglichen‹ worden waren". 1950 nennt Augstein Beispiele, die er für positiv hält: "Wer auf Vernunft stieß", der sei "schon wieder Kripo-Leiter". Andere SS-Sturmbannführer aber müssten, so klagt er, noch immer warten.

In Bonn hätten sich die Parteien schon beim Aufbau eines Bundeskriminalamtes eingeschaltet, beschwert sich Augstein und fügt hinzu: "Bleiben die ›Angeglichenen‹ ausgeschaltet, ist mehr Raum für Partei-Kriminalisten."

Ja, richtig, das war das klassische antidemokratische Ressentiment: Im guten Kampf gegen Parteibuchbeamte der neuen Demokratie sollen die alten NS-Beamten, die alle nur das eine Parteibuch hatten, den Sieg davontragen. Und so geschah es dann auch. Im Rahmen des 131-Gesetzes gab es in den fünfziger Jahren - ganz nach Augsteins damaligem Wunsch - auf dem Gebiet der Bundesrepublik mit den aus dem Osten Zugezogenen mehr Beamte aus der, nun ja ehemaligen, NSDAP als in der NS-Zeit. Und das Bundeskriminalamt wurde zur Zentrale für NS-Kriegsverbrecher. Es muss heute, mehr als halbes Jahrhundert später, unabhängige Wissenschaftler zu Hilfe holen, um sich über seine braunen Anfänge aufklären zu lassen.

Sachdienlicher Hinweis: Die Jahresbände des Spiegel von 1949 und 1950 sind in den großen Bibliotheken dieser Republik einzusehen und in manchen Antiquariaten auch zu erwerben. Sie können dem Bundeskriminalamt beim Aufräumen helfen.

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