Das Sommermärchen des Patriotismus

Posttraumatisches Aus der Militärpsychiatrie zu Hartz IV - und dann in den Kongo

Nun hat der Fußball auch Thomas Brussig, der so intelligent mit seinen Körperteilen umzugehen vermag, an der Birne erwischt. Er ist stolz, ein Deutscher zu sein, er hat sich selbst angeschmiert, wie er zu Wochenbeginn in der Süddeutschen bekannte, mit schwarzrotgold im Gesicht. Der gerade Vierzigjährige tritt "fähnleinschwenkend" als "ein Patriot neuer Prägung" auf und will es auch "wieder tun".

Die alte Prägung ist auch noch aktiv, nur ausnahmsweise liegt sie, wie wir gerade erst vom Spiegel erfahren haben, im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg-Wandsbek und darf es nie wieder tun. Es handelt sich - für Spiegel-Leser - um einen alten Bekannten. Sie kennen ihn aus der Zeit, als die Bundesrepublik mit dem Krieg gegen Jugoslawien erwachsen wurde. Der deutsche Soldat, der am 12. Juni 1999 erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg auf Befehl zwei Feinde töten durfte: Mit 27 Kugeln aus seinem Sturmgewehr hat er in Prizren zwei angetrunkene Serben durchlöchert. In die Luft schießend waren sie mit einem gelben Lada auf die Deutschen zugefahren und hatten nach einem Warnschuss gestoppt und zurückgesetzt - der Spiegel hatte den Tatbestand in immer neuen Variationen geschildert. Der Spiegel-Almanach 2000 bewunderte die "beeindruckende Sachlichkeit" des erfolgreichen Schützen: "Ich habe nicht getötet, weil ich es wollte, sondern weil ich es musste - und glatt getroffen. Wenn schon, denn schon."

"Eines ist den Einheimischen", freute sich der Spiegel im Februar 2000, "schnell klar geworden: Im Ernstfall fackeln die Deutschen nicht lange."

Leutnant David Ferk, der den Befehl gegeben hatte: "Auf erkannten Feind Feuer frei!" bekam die höchste Auszeichnung der Armee, das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold - er fühlte sich zur Tatzeit 1999 laut Spiegel als Teil einer "neuen Generation", eines "neunen Deutschlands". David Hallbauer, den Soldaten, der 27 mal geschossen hatte, besuchte der Spiegel - die Vorgeschichte im eigenen Blatt erwähnte er nicht - jetzt in der Militärpsychiatrie. Einer von vielen PTBS-Fällen - posttraumatischer Belastungsstörungen. PTBS sei, erläutert der Spiegel sachkundig, "der seelische Kollateralschaden solcher Missionen". Missionen? Gemeint ist Krieg.

Der Spiegel heute: "Für Hallbauer, damals 22, war es der erste Auslandseinsatz. Er hat seinen Job gemacht, nur getan, was er jahrelang trainiert hatte. Er hat das, militärisch gesehen, auch gut gemacht. Er hat es aber nicht verkraftet." - Andere verkraften es: "Mehr als die Hälfte der PTBS-Patienten kehrt wieder in den Bundeswehrdienst zurück. Einen erfolgreich therapierten Soldaten halten die Ärzte sogar für einsatztauglicher..." Diese Ärzte. Erfolgreich therapiert: Der Patient kann wieder töten, mehr töten als zuvor - der Einsatztauglichere.

Auch David Hallbauer ("Ich bin doch kein Weichei") glaubte nach Jahren in der Militärpsychiatrie "geheilt" zu sein. Da muss er sich getäuscht haben. Seine Bewerbung als Berufssoldat wurde, wie der Spiegel formuliert, von der Bundeswehr "trotzdem abgelehnt". Seine "Eignung, Leistung und Befähigung" seien nicht ausreichend.

Aber noch steht ihm ein Ausweg offen. Der Spiegel, für dessen Titel "Deutschland" diese Woche "ein Sommermärchen" des Patriotismus ist, hat ihn enthusiastisch beschrieben. Es ist die Erweckung, wie sie Joachim Erfurt widerfuhr, dem kranken hageren Mann mit wild wucherndem Vollbart, der bisher fast jeden Montag auf dem Augustusplatz in Leipzig gegen Hartz IV demonstrierte. Er kauft sich jetzt eine schwarzrotgoldene Blumenkette und eine Mütze mit der deutschen Flagge. Wenn er auch sonst wieder gesund wird, ja, vielleicht darf er dann morgen im Kongo schießen. Und gewiss keine Tore.


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