Am Donnerstag vergangener Woche, als Die Zeit an die Kioske kam, enthüllte Die Welt das Ziel der neuen Kampagne gegen Lothar Bisky: "Den Integrationsopa könnte das den Ruf kosten, seine Partei aber die Existenz." Zur Jagd geblasen hatte Die Zeit mit Vorabmeldungen schon seit Dienstag, Meldungen, die dazu führten, dass Bisky als überführt galt: "Bisky zählt zu den Tätern", erläuterten die Stuttgarter Nachrichten. Beweis: Eine Verpflichtungserklärung mit seiner Unterschrift gebe es zwar nicht. Aber: "Die Akten der Hauptverwaltung Aufklärung sind vernichtet." Und somit ist durch Nichtvorhandensein seiner Unterschrift bewiesen, dass er Täter ist.
Die BZ, Schwesterblatt der Welt, jubelte: "PDS-Chef Lothar Bisky als Stasi-Spitzel enttarnt", und behauptete: "Bisky hat schon alles zugegeben". Und fragte freudig: "Tritt er jetzt zurück?"
Mit Bisky die PDS zu vernichten, ist in der Tat das Gebot der Stunde. Die Welt klagt: "Plötzlich registrieren wir, dass der Osten tatsächlich wirtschaftlich wie demographisch auf der Kippe steht, und der Wiederaufbau in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ins Stocken geriet. Plötzlich erkennen wir, dass die lästigen Probleme in den neuen Bundesländern eine Schlüsselfrage der Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der ganzen Republik sind und diese sich nicht länger in einen düsteren Winkel verbannen lassen."
Welch eine Hilfe in dieser Not, wenn man mit einer Kampagne gegen Bisky die ganze PDS ihrer Existenz berauben kann.
Schon 1995 hatte Lothar Bisky erklärt, dass er als Professor und Rektor offiziell Berichte über seine Reisen zu Kongressen im Westen gegeben habe, IM sei er nie gewesen.
Da ist nichts Neues im Zeit-Bericht, außer der Behauptung, es spreche "alles" dafür, dass "Bisky Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) war, der Abteilung für Auslandsspionage des Ministeriums für Staatssicherheit". Es gibt nicht nur keine Unterschrift, es gibt keinen Hinweis, dass er je irgend jemanden denunziert, auch nur einem Menschen geschadet habe. Den ehemaligen Rektor der Babelsberger Filmhochschule und heutigen Vorsitzenden der PDS hätte längst jeder angeklagt, der glaubt, durch ihn Schaden erlitten zu haben.
Dass der in Biskys Stellung unvermeidliche Kontakt zur "Hauptverwaltung Aufklärung" allein schon ein Delikt sein soll, muss die Zeit-Kenner verwundern, die wissen, welche Kontakte bei Der Zeit zu den diversen westlichen Hauptverwaltungen Aufklärung üblich waren.
Manch kluger BND-Resident
"Ich bin da völlig unbefangen." So erläuterte Theo Sommer als Zeit-Herausgeber dem Autor Erich Schmid-Eenboom (Undercover. Der BND und die deutschen Journalisten, 1998) sein Verhältnis zum Bundesnachrichtendienst seit den Zeiten von Hitlers ehemaligem Spionagegeneral Reinhard Gehlen. Sommer: "Wenn einer von denen etwas wissen wollte, dann habe ich es ihm gesagt." Und das war vielleicht etwas mehr, als die Berichte, die Bisky nach seinen Auslandsreisen für seine Hochschule schrieb. Und die dann bei der Stasi landeten.
Der Informationsaustausch mit dem Geheimdienst war für den Journalisten Sommer, auch fern der Heimat, unproblematisch: "Bei meinen Aufenthalten im Ausland habe ich manchen klugen BND-Residenten getroffen".
Wer da so klug war, darüber äußerte sich der heutige Zeit-"Editor at Large" nicht. Sommer müsste dabei auch auf BND-Residenten von der in diesen Kreisen nicht unüblichen Qualität eines Alois Brunner gestoßen sein - die rechte Hand Adolf Eichmanns war jahrelang Gehlens Beauftragter in Syrien. Brunners Akten beim BND sind nicht aus Rosenholz, sie blieben fest verschlossen, als Esther Schapira und Georg M. Hafner für einen ARD-Film über den Massenmörder in Pullach um Einsicht baten.
So vielfältig die Zeit-Kontakte zum BND waren - Marion Gräfin Dönhoff wurde - laut Eenboom - im März 1970 unter dem Decknamen "Dorothea" als "erstrangige BND-Sonderverbindung" geführt - andere Geheimdienste konnten sich auch nicht beschweren.
Da war der Verfassungsschutz von 1954 bis 1972 unter der Führung von Hubert Schrübbers, der sich als vorzüglicher nationalsozialistischer Staatsanwalt in Hamm bei zahlreichen Hochverratsprozessen bewährt hatte. Unter Schrübbers besaßen 16 von 46 höheren Beamten in der Verfassungsschutzzentrale einen SS oder SD-Rang.
Alt-NSDAP-Mitglied Schrübbers beschloss nach der Spiegel-Affäre, das Verhältnis von Verfassungsschutz und Presse zu verbessern, und schickte darum seinen Vertrauten Hans Josef Horchem zu einer "Good-Will-Offensive" in das Hamburger Pressehaus. Mehrere Stunden unterhielt sich der Mann, der bald darauf Hamburgs Verfassungsschutzchef wurde, mit Theo Sommer. Und der lief schließlich mit seiner neuen Bekanntschaft zu Gräfin Dönhoff. Doch anders als Sommer hatte sich die Gräfin, die auf den aristokratisch auftretenden Gehlen ("seine politische Gesinnung war immer absolut untadelig") hereingefallen war, einen Sinn dafür bewahrt, welche Zumutung nun auf sie zukam. Horchem: "Als ich Marion Gräfin Dönhoff auf artige Weise meine Mission darzustellen versuchte, sah sie mich an, als ob sie ein seltsames Reptil vor sich hätte."
Ehefrau Maria kochte
Es nützte nichts. Horchem stolz: "Jahre später, als ich Chef in Hamburg geworden war, hatte ich Gelegenheit, an mehreren Konferenzen der Zeit-Redaktion teilzunehmen. Jetzt war die Atmosphäre locker."
Der Geheimdienstchef, der Agentenführer in der Redaktionskonferenz der Zeit. Von einem Protest der distinguierten Zeit-Journalisten ist nie etwas bekannt geworden. Dabei wusste man unter Hamburger Journalisten, wer Chef des Verfassungsschutzes geworden war.
Horchem hatte 1964 unter dem Pseudonym Karl Merten einen schmierigen Sittenroman als "Tatsachenbericht aus der Arbeit des Verfassungsschutzes gegen die kommunistische Untergrundtätigkeit" verfasst. Titel: Die roten Maulwürfe. Aus dem Inhalt: "Der Dicke" - offensichtlich Horchem selbst - setzt sich als Schützer der Verfassung bei einem Kommunisten in den Kleiderschrank, um dessen Gespräche mit dem Sendboten aus dem Osten zu belauschen. Und eine Observationsgruppe robbt im Wald hinter einem anderen Ostkurier her und belauscht den Mann vom Untergrund beim illegalen Geschlechtsverkehr.
Gleich nachdem Horchem das Verfassungsschutzamt in Hamburg übernommen hatte, baute er sein exklusives Haus am Schwanenwik aus zu einem Treffpunkt zwischen in- und ausländischen Geheimdienstleuten und ausgesuchten Pressemenschen, die er nicht IMs, sondern CMs nannte. Gern gesehener Gast: die graue Eminenz der Zeit, Haug von Kuenheim, den der Agentenchef beim Vornamen nennen durfte.
Horchem in seinen 1993 erschienenen Memoiren (Auch Spione werden pensioniert): "Wir organisierten Zusammenkünfte von zwölf bis fünfzehn Journalisten bei uns in der Wohnung an der Außenalster. Einige Abteilungsleiter und Referenten des Amtes beteiligten sich." Ehefrau Maria bekochte die Anwesenden.
Regelmäßig vor dem Essen gab Horchem - so nannte er das - "ein Briefing". Unbekannt ist, ob er dabei erläuterte, warum er das tat, was die Gewerkschaftszeitung metall nach seinem Ausscheiden so beschrieb: "Verfassungsschutz in Hamburg, das war einst die Überwachung von Tausenden von Arbeitern in über hundert Betrieben durch die Denunziationskommandos seines sozialdemokratischen Präsidenten Hans Josef Horchem. Wer gegen die NPD demonstrierte, musste damit rechnen, dass er nirgends eine Anstellung bekam - aufgrund von Verfassungsschutz-Mitteilungen."
Über einen seiner Agententreffs mit ausgewählten Journalisten notierte Horchem: "Ich hatte am Samstag, dem 26. Februar 1977, einige Journalisten mit Kollegen von befreundeten Diensten in unserer Wohnung zusammengebracht. Nach dem Abendessen wurde die Stimmung gelöster. Nina Grunenberg von der Zeit nahm mich in einer Gesprächspause zur Seite und sagte, dies mehr feststellend als fragend: Sie scheinen tatsächlich nicht zu wissen, dass übermorgen im Spiegel ein langer Artikel über eine Abhöraktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz stehen wird." Es handelte sich um den bald berüchtigten Lauschangriff auf den Atomwissenschaftler Klaus Traube. Horchem lief sofort ins Schlafzimmer ans Telefon und alarmierte das Bundesverfassungsschutzamt in Köln.
So wurde die heute noch im Impressum der Zeit verzeichnete Chefreporterin zur Denunziantin ihrer Kollegen. Möglicherweise hatte sie genau so wenig Unrechtsbewusstsein wie Horchem selbst, wenn er unter Journalisten Agenten oder IMs anheuerte. "Ich kann nichts Ehrenrühriges daran finden, für den deutschen Verfassungsschutz zu arbeiten", erklärte er noch lange nach seiner Pensionierung. Im Gegenteil, es sei eine "Pflicht und Ehre".
Sie glaubten daran
Es war schwer in diesen Jahren sich von Subsidien durch Agentenorganisationen freizuhalten. Ich selbst kassierte, ohne es zu wissen, von beiden Seiten. Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger schrieb ich zugleich für konkret wie für den RIAS und gelegentlich für den Monat. Konkret - damals angeführt von dem Untergrundkommunisten und heutigen Ernst-Nolte-Adepten Klaus Rainer Röhl - bezahlte mich, was er stets bestritt, mit Geld aus dem Osten (es war eine Wonne für uns Redakteure, ihn 1973 zu feuern). Die Honorare aber von RIAS und Monat kamen aus CIA-Geld. Auch wenn sich das ausglich, stolz bin ich darauf nicht.
Andere, wie die beiden heutigen Zeit-Herausgeber und Chefredakteure sehen die Honorierung aus Geheimdienstgeld viel gelassener. Als 1999 in den USA Frances Stonor Saunders ihre Untersuchung veröffentlichte Wer die Zeche zahlt... Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg, schrieb eiligst der gerade neuernannte Zeit-Herausgeber Josef Joffe einen "recht deftigen Verriss" (FAZ) für die New York Times Book Review. Darin legte er fest, dass selbst diejenigen, die von den Verbindungen des Monat zum CIA gewusst hatten, sich nicht verkauft hätten, vielmehr, so Joffe: "Sie glaubten an das, was sie taten."
Sie glaubten immer an das, was sie taten. Michael Naumann, bald Mitherausgeber, aber damals noch Kulturstaatsminister des ersten bundesdeutschen Kriegskanzlers Schröder, eilte zum fünfzigjährigen Gedenktag ("Freiheit in die Offensive") für den 1951 von der CIA arrangierten und finanzierten "Kongress für die Kulturelle Freiheit" nach Berlin-Dahlem. Dort würdigte er vor den Veteranen eben diesen CIA-Kongress vor 50 Jahren "als einen der Faktoren, die den NATO-Einsatz im Kosovo ermöglicht" hatten. Naumann war 1979 der letzte Herausgeber des Monat (auch vom BND geführt unter dem Decknamen "Norddorf"), musste aber Schluss machen, weil die Finanzspritzen so nicht mehr funktionierten.
Ja, wenn die dürftigen Erkenntnisse, die von der Zeit über Bisky aus den Rosenholz-Akten destilliert wurden, zum Maßstab würden, wie viel lange und schöne Geschichten, ja Serien und Bücher ließen sich schreiben, wenn endlich auch einmal die Akten der westlichen Geheimdienste offengelegt würden. Aber das wäre ja noch schöner.
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