Die Unternehmen mauern - die Opfer sterben

ENTSCHÄDIGUNGSFONDS Der Bundestag sollte die Wirtschaft aus der bisherigen Regelung ausschließen und ihr damit die Rechtssicherheit vor Sammelklagen wieder entziehen

Als "einen der größten Skandale der Nachkriegsgeschichte" bezeichnet Michel Friedman, der Vizepräsident des Zentralrates der Juden, die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft immer noch nicht ihren Anteil an den Entschädigungsgeldern zusammen hat. Doch die mauert und mauert, und an der Mauer, die sie gegen die Zahlung errichtet hat, sterben jeden Tag Hunderte. Die Wirtschaft setzt offenbar darauf, dass diese "biologische Lösung" die Vernichtungslager ersetzt, in die sie früher ihre nicht mehr einsatzfähigen Zwangsarbeiter überweisen konnte. Ihr Bauwerk bringt ihr jeden Tag einen zusätzlichen Profit von zirka 380.000 DM an Zinsen allein für den Anteil von 3,5 Milliarden, den sie gerade mal beisammen hat. 1,5 Milliarden fehlen immer noch - vor mehr als einem Jahr sollte es erste Zahlungen geben als Almosen für die 180 Milliarden, die deutsche Firmen seit mehr als einem halben Jahrhundert ihren Zwangsarbeitern schulden. Geflossen ist bis heute kein Pfennig.

Wer die Website der Stiftungsinitiative Erinnerung, Verantwortung, Zukunft im Internet aufruft, liest in der Präambel: "Unabdingbare Voraussetzung für die Gründung der Stiftung und die Bereitstellung der Mittel ist, dass für die Unternehmen umfassende und dauerhafte Rechtssicherheit geschaffen wird, das heißt, dass sie vor gerichtlicher Inanspruchnahme geschützt sind." Und dann folgt der Satz, und so steht er schon seit vielen Wochen im weltweit zugänglichen Netz: "Dies wurde inzwischen erreicht: In Deutschland durch das von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz. In den USA durch die inzwischen abgeschlossenen Verhandlungen über ein Statement of Interest, das wesentlicher Bestandteil eines Regierungsabkommens ist."

Verantwortlich für diese Website, die er wohl längst vergessen hat, ist der Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Wolfgang Gibowski, der gerade erneut versicherte, dass er die eingezahlten Gelder nur treuhänderisch verwalte und sie erst an den Entschädigungsfonds für einstige Zwangsarbeiter überweisen wolle, wenn Rechtssicherheit hergestellt sei. Wann dies der Fall sei, könne der Bundestag nicht allein entscheiden, das müsse vielmehr in Übereinstimmung mit den Juristen der Initiative festgestellt werden. Und für diese Feststellung reiche es auch nicht aus, dass die letzte der drei Sammelklagen in den USA abgewiesen sei, es müssten auch die anhängigen Berufungen abgewiesen sein.

Doch von Berufungen ist nichts bekannt. Allerdings hat nach der Gibowski-Erklärung die Richterin, die über die letzte Sammelklage in den USA zu entscheiden hat, festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Rechtssicherheit von Seiten der deutschen Wirtschaft fehlen, und sich geweigert, diese Klage abzuweisen. Wer das wolle, so die Juristin, müsse zuvor die von der Stiftungsinitiative versprochenen Zahlungen bereitstellen.

Diese Sammelklage bezieht sich übrigens nicht auf Entschädigungen für Zwangsarbeit, sondern auf "Arisierungen" durch deutsche Banken. Obwohl es dabei um rechtlich viel leichter zu handhabende Fälle geht, muss die Entschädigung für die "Arisierung" auf Druck der Deutschen Bank aus dem Entschädigungsfonds für Zwangsarbeit bezahlt werden. Die Banken kommen dadurch billig davon. Dabei könnten die noch fehlenden 1,5 Milliarden bequem - nein, nicht aus dem Gewinn - sondern allein aus der Zunahme des Gewinns bezahlt werden, den die Deutsche Bank 1999 gegenüber dem Vorjahr gemacht hat.

Die Herrschaften von Erinnerung, Verantwortung, Zukunft kümmert das überhaupt nicht, sie mauern, sie mauern, sie mauern, und die Opfer sterben. Der deutsche Bundestag stellt - dazu scheinen alle Parteien entschlossen - im Februar die Rechtssicherheit fest. Und wenn dann die Herren von der Stiftungsinitiative immer noch nicht die fünf Milliarden zusammen haben, ja wenn sie sich immer noch unter irgendwelchen Vorwänden weigern, die bereits gesammelten 3,5 Milliarden an den Entschädigungsfonds zu überweisen, damit die ersten Zahlungen im Frühjahr erfolgen können (650.000 Anträge liegen vor), dann gibt es nur noch einen Weg. Der Bundestag beschließt: den Bundesanteil von fünf Milliarden als Abschlagzahlung an die ehemaligen Zwangsarbeiter zu überweisen, schließt durch Gesetzesänderung die Wirtschaft aus dem Entschädigungsfonds aus und überlässt sie ohne jede Rechtssicherheit den dann erneuerten Sammelklagen ihrer Opfer. Dann wird die deutsche Wirtschaft bluten. Und das hätte sie redlich verdient.

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