Er stand auf seines Daches Zinnen und schaute mit vergnügten Sinnen auf das beherrschte Samos hin. "Dies alles ist mir unterthänig", begann er zu Ägyptens König, "gestehe, daß ich glücklich bin." Doch der geladene König aus dem Bundeskanzleramt war gar nicht da, er hatte Grund für seine Abwesenheit. Und Gott - vertretungsweise - war nicht amüsiert. Der Himmel hatte seine Schleusen weit geöffnet und machte am Sonntagabend alle nass, die erschienen waren, dem neuen Ehrenmal des großen Otto Beisheim zu huldigen. So versank die Premierenfeier erst einmal im feuchten Chaos, wie einst die Denkmalsweihe in Heinrich Manns Untertan. Bürgermeister Wowereit machte den Heßling, assistiert vom PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf, der im Smoking gekommen war. Die 1.700 geladenen Gäste blieben im Regenguss stehen, bis das blaue Band durchschnitten war. Ein Denkmal soll es sein für das Lebenswerk eines Mannes, der es vom einfachen Handelsmann zum Multimilliardär gebracht hat: dieses gigantische Beisheim-Center mit zwei Fünf-Sterne-Hotels, 50 Luxus-Apartments und 13.000 Quadratmeter Bürofläche. Wo aber war der Mann aus dem Kanzleramt geblieben? Zagte er? Zum Weihnachtsfest hatten wir doch noch einen ganz mutigen Kanzler. Einen Gerhard Schröder, der in Bild am Sonntag die Superreichen angriff, die ins Ausland ziehen, um unserem Staat die Steuern zu entziehen, für den Reichtum, den sie hier von uns allen eingesammelt haben. Der Kanzler nahm kein Blatt vor den Mund: "Solche Leute verhalten sich unpatriotisch. Mit denen kann man keinen Staat machen." Er bedauerte: "Wir können die Freizügigkeit nicht einschränken, aber wir sollten dieses Verhalten gesellschaftlich ächten."
Erwartungen an den Weihnachts-Patrioten
Doch Weihnachten 2003 ist nun wirklich vorbei. Das neue Jahr ist gekommen und mit ihm neue Absichten, andere Vorsätze und der 80. Geburtstag von Otto Beisheim, einem der reichsten Männer Europas, vom manager-magazin auf elf Milliarden Euro geschätzt. Seit 1988 besitzt der Gründer des allmächtigen Handelskonzerns Metro (mit Kaufhof, Saturn, MediaMarkt, extra, Real und anderen) die Schweizer Staatsbürgerschaft und lebt in Baar, im Kanton Zug, wohin es auch andere Patrioten wie den Sportler Boris Becker und den Milchmann Theo Müller der kaum merkbaren Steuersätze wegen gezogen hat. Die Metro aber in der Düsseldorfer Metrostraße 1 nennt sich jetzt Metro Group ("the spirit of commerce"), fegt mit ihren 2.300 Standorten in 28 Ländern dieser Erde die Konkurrenz mehr und mehr beiseite und konnte im Jahr der allgemeinen Flaute 2003 ihren Umsatz um 5,7 Prozent auf 53 Milliarden Euro steigern. Während der Kanzler 2004 durch ein mitreißendes Enteignungsprogramm für den kleinen Mann (Agenda 2010) begann, feierte Steuerflüchtling Otto Beisheim am 3. Januar seinen 80. Geburtstag erst einmal an einem seiner vielen Wohnsitze, in Miami mit Freunden. Die deutsche Nachfeier fand statt im neugebauten Otto-Beisheim-Center im Zentrum Berlins, Deutschlands, ja der Welt. Denn, siehe, sein Reich, die Metro ist global, sie umfasst ganz Europa, Russland, China, Indien, Japan. "Das Beisheim-Center am Potsdamer Platz ist die Spitzenlage der Hauptstadt", tönten seine Posaunen. "Erste Wahl für alle, die klare Zeichen zu setzen wissen." Er setzte seine Zeichen. In 70 Meter Höhe strahlen die goldenen Buchstaben BC - Beisheim-Center - weit über Deutschlands Hauptstadt. In den unteren Stockwerken verschwendet das Ritz-Carlton-Hotel Reste von dem Glanz, den das alte Europa zu bieten hatte. Dort, wo sich die beste Gesellschaft des Kontinents treffen soll, sind künftig auch gesittete Journalisten willkommen: der Berliner Presseball wird im Beisheim-Center stattfinden. Mit Frackzwang, wie bereits vorsorglich bekannt gegeben wurde. Die Spitze des Centers, das oberste Stockwerk ist ihm selbst vorbehalten. Ein Herrschersitz, der in aller Eile rechtzeitig zum 80. Geburtstag hochgezogen wurde. Nicht ohne Opfer für den reichen Mann. Ein Arbeiter wurde von einer Palette mit Fenstern für das Beisheim-Palais erschlagen. Ein anderer stürzte 27 Meter in die Tiefe und überlebte wie durch ein Wunder. Er wurde entlassen. Von der Spitze des Beisheim-Palais geht der Blick weit übers Land, zum Reichstag - "fußläufig" zu erreichen, wie es im Hotel-Prospekt heißt. Und auch mit Blick herunter auf das Kanzleramt. Und das weckte Erwartungen an den Weihnachts-Patrioten Gerhard Schröder. Wie würde er sich gegenüber dem Steuerflüchtling so hoch da oben verhalten? Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung sah dem Festakt schon zur Jahreswende mit hoher Erwartung und nicht unmaliziös entgegen: "Otto Graf Lambsdorff wird sprechen. Der Berliner Bausenator. Auch der Bundeskanzler. Jener Gerhard Schröder, der eben in einem populistischen Anfall die gesellschaftliche Ächtung von Steuerflüchtlingen gefordert hat - man darf gespannt sein auf die Lobrede für Beisheim."
Edelweißsoldaten noch heute
Ächtung oder Achtung - konnte der arme Kanzler diesen Zwiespalt ertragen? Letzten Donnerstag um 18 Uhr 31 meldeten die Vereinigten Wirtschaftsdienste (vwd) die Antwort: "Bundeskanzler Gerhard Schröder ist krank. Er habe einen grippalen Infekt, der auskuriert werden müsse, sagte ein Sprecher des Bundespresseamtes am Donnerstagabend in Berlin. Der Regierungschef sagte alle Termine für Freitag und Samstag ab." - Auskurieren. Daran musste der türkische Ministerpräsident Erdogan glauben sowie eine europapolitische Grundsatzrede im Internationalen Bertelsmann Forum. Aber auch der gewaltige Otto Beisheim hoch oben in seinem Berliner Beisheim-Center. Oh, weiser König Salomo unten im Bundeskanzleramt. Nein, der geladene Kanzler war nicht dabei, als schon am Samstagmorgen der Metro-Patriarch sich ein Stück vom Potsdamer Platz abschneiden ließ. Er taufte es zusammen mit dem Bausenator Peter Strieder am Samstagmorgen auf den Namen Inge-Beisheim-Platz. Die martialisch bewaffnete "Gebirgsschützenkompanie" aus seinem Drittwohnsitz Tegernsee war auch da und schoss dreimal Salut. Immerhin, sie richtete kein Massaker unter den Gästen an. Die bayerischen Gebirgsschützen, die satzungsgemäß "ihr Bekenntnis zum angestammten Glauben durch Paradedienste und Ehrenbegleitung des Allerheiligsten bei Fronleichnamsprozessionen" (Aufgaben und Ziele der Bayerischen Gebirgsschützen heute) zeigen, sind Traditionsverband der Gebirgsjäger, die am 20. September 1943 auf der griechischen Insel Kephallonia an die 4.000 italienische Offiziere und Soldaten in eine Falle lockten und mit Maschinengewehren niedermetzelten. Die Mordschützen - Edelweißsoldaten nennen sie sich noch heute - wurden nie belangt, bei der SS waren sie nicht, sondern in der Wehrmacht. Was aber ist mit der Vergangenheit des Mannes, in dessen Metro-Reich die Sonne nicht untergeht? Woher hatte Beisheim das Geld, um sein Imperium aufzubauen? Der Medienexperte Michael Radtke hat nachgeforscht. Beim "Mann ohne Gesicht", bei Otto Beisheim, entdeckte er eine "Leerstelle in seiner Biographie". Eine Lücke klafft zwischen 1941 und 1949. Radtke: "Erst nachdem Ende Oktober 1949 die Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen aufgehoben wird und man wieder ohne lästige Nachfragen eine Arbeitsstelle annehmen konnte, ist Otto Beisheim wieder zur Stelle." Beisheim - das immerhin hat Radtke bei seiner intensiven Suche in Archiven herausgefunden - war bis 1945 SS-Scharführer bei der Leibstandarte Adolf Hitler. Wo aber steckte er bis 1949? Radtke hört von ehemaligen SS-Leuten, die geheimnisvoll andeuten, "der Otto mache das schon". Was? SS-Leute ins Ausland schleusen? Die Recherchen stießen auf eine Mauer. "Das Beisheim-Center ist ein Bekenntnis zur Hauptstadt und zur Zukunft Berlins", verkündete bei der Grundsteinlegung vor zwei Jahren Beisheims Nachfolger in der aktiven Metro-Führung Erwin Conradi. Er hoffte, dass das, "was wir heute vergraben, so schnell nicht wieder auftaucht", und erklärte auf die Frage nach Beisheims Vergangenheit, entscheidend sei doch nur, dass er 250.000 Arbeitsplätze geschaffen habe.
Vom Judentum umzingelt
Aber wird es ihm im Zentrum des neuen großen Deutschland gedankt? Schon gibt es Gerüchte, dass Beisheim gar nicht - wie ursprünglich beabsichtigt - das oberste Stockwerk seines Palais selbst beziehen wird. Da stimmt - und darüber sollte der Bausenator noch nachdenken - etwas nicht an der Entourage. Verlässt der große Beisheim das "gediegene wohnliche Ambiente" seines Palais und läuft nach rechts ins Grüne, um frische Luft zu schnappen, kommt er in den Henriette-Herz-Park. Benannt nach der Jüdin, die einen der ersten literarischen Salons in Berlin unterhielt. Arglos verkehrten dort die alten Aufklärer und die jungen Romantiker: Friedrich Gentz, Jean Paul, Friedrich Schlegel und Johann Gottfried Schadow. Das Haus der Henriette Herz wurde zum Tempel des Goethekults. Dass der junge Jude Ludwig Börne sich hoffnungslos in sie verliebte - geschenkt! Aber auch den Wilhelm von Humboldt verführte sie zum Austausch von Liebesbriefen in hebräischer Kursivschrift. Kurz, in ihrem Salon vermischten sich hemmungslos Deutschtum und Judentum, eine unangenehme Vorstellung für einen ehrlichen SS-Mann. Entscheidet sich Beisheim beim Verlassen des Beisheim-Palais statt nach rechts in den Henriette-Herz-Park nach links zu gehen, dann kommt er in die - nichts bleibt ihm erspart - Auguste-Hauschner-Straße. So genannt nach der jüdischen Schriftstellerin dieses Namens, die in Prag geboren wurde, später in Berlin lebte und sich dem Wirken der SS entzog, indem sie bereits 1924 starb. Sie schrieb Romane und Erzählungen, insbesondere aus der Prager jüdischen Gesellschaft (Die Familie Lowositz, 1908). Kurz, Auguste Hauschner gehört zu jenen Schriftstellerinnen, bei denen sich wegen ihrer "jüdischen Offenheit", wie der große völkische Literaturordner Adolf Bartels schon 1922 feststellte, "für uns Deutsche allerlei unangenehme Empfindungen" einstellen. In ihrem literarischen Salon durfte der Freund und Gefährte Gustav Landauer Vorlesungen halten, der - laut Meyers Lexikon von 1939 - als "jüd. Marxist und Anarchist" im Ersten Weltkrieg "an der geistigen Zersetzung des deutsch. Volkes" arbeitete. Während der Bayerischen Räterepublik war er Kultusminister und wurde darum im Mai 1919 vom Freikorps Epp, aus dem so mancher SS-Kamerad hervorging, langsam und mit Genuss zu Tode getreten. Vom Judentum umzingelt, ließ sich das nicht verhindern? Das alles ist einem Otto Beisheim schwer zumutbar. Am besten also, er verlässt sein Beisheim-Palais nimmermehr, gut gesichert vom Doorman für alle Fälle, der laut Prospekt als "Bestandteil eines umfassenden Sicherheitspakets" zum "attraktiven Premium Service" des Beisheim-Center gehört, und genießt hoch oben den Blick aus den Fenstern. Links ganz nah die, ja, Siegessäule. Und rechts, wir wissen es, das Brandenburger Tor mit der gen Osten stürmenden Quadriga. Aber wenn er nun kurz davor den Blick nach unten fallen lässt, was sieht er da? Im Augenblick noch nicht viel, aber wenn er das Wenige erkennt, was schon aufgebaut ist - das ist keine schöne Geburtstagsüberraschung für einen Mann von der Leibstandarte Adolf Hitler. Seine Architekten hatten auf der Karte in der Pressemappe des Beisheim-Centers an der Ecke Behren-/Ebert-Straße einfach einen blinden Fleck gelassen und sie wissen auch warum. Dort entsteht das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Und das ist nichts, worauf ein ehemaliger SS-Mann gern schaut.
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