Am Montag ist es im Roten Rathaus soweit. Der Regierende Bürgermeister hält die Laudatio. Voraussichtlich wird danach Wolf Biermann reden und möglicherweise auch einige Lieder singen, verkündete - laut Berliner Morgenpost - der stellvertretende Senatssprecher Günter Kolodziej. Und: "Abschließend ist ein kleiner Empfang mit Sekt und Fingerfood für die geladenen Gäste vorgesehen."
Genossen! / Nun sagt was! / Erinnert sich keiner? / Mensch, wenigstens einer? / Es muss hier doch einer den Namen noch wissen und wo und wann er starb in Chile.
Keiner. Biermann greift sich Fingerfood vom Silbertablett. Am 11. September 1973 in Santiago - haben sie ihn ins Stadion geschleppt. Bevor sie ihn umbrachten, folterten sie fünf Tage lang, brachen ihm die Arme, damit er nie wieder zur Gitarre greifen könne, die Hände, die Finger: Victor Jara.
Ah! stöhnt Biermann, stopft sich mehr Fingerfood in den Mund und summt: In Santiago, im blutigen Jahr. / Da fielen so viele. / Zu viele. Er schluckt es - mit Sekt - runter. Jetzt im Olymp der Ehrenbürger hat er andere Genossen als Victor Jara. Nein, Hitler nicht mehr, auch nicht Göring und Goebbels, die hat ein umsichtiger Senat aus der Liste gestrichen. Aber Paul von Hindenburg, den kann er umarmen, der die drei Gestrichenen an die Macht gehoben hat. Und noch so viele andere.
Wolf Biermann ist der 115. Ehrenbürger Berlins. Mit dem ersten wird er sich gut verstehen, mit Conrad Gottlieb Ribbeck, dem Beichtvater der Königin Luise, der seine Karriere als Lehrer am Kadettenkorps in Stolpe begann und dessen 16 Bände von Fest und Casualpredigten, Tauf und Traureden, Beichtermahnungen und anderen kleinen Amtsvorträgen (1799-1814) Biermann in der kommenden Ewigkeit dem lieben Gott mit Klampfe und brechender Stimme vortragen mag. Doch so spaßig geht es in seinem Olymp Berliner Ehrenbürger selten zu.
Vorsicht im Umgang mit Ehrenbürger Nr. 6 - Friedrich Freiherr von Schuckmann. Er konnte E.T.A. Hoffmann den Meister Floh, die Satire gegen die Demagogenschnüffelei, nie verzeihen; als der Dichter (kein Ehrenbürger) längst gestorben war, beschimpfte ihn Schuckmann noch als "Wüstling". Als Innenminister leitete er den Ministerialausschuss gegen demagogische Umtriebe - die Königliche Immediat-Untersuchungskommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und staatsgefährlicher Umtriebe. Diese Zensurbehörde des Ehrenbürgers Nr. 6 strich aus dem Meister Floh die Episode über den "Polizeischnüffler Knarrpanti". Und der war kein anderer als Berlins Ehrenbürger Nr. 15 - der Wirkliche Geheime Staats- und Justizminister, Karl Albert Baron von Kamptz.
Dessen Kampf gegen "verwilderte Professoren und verführte Stundenten" machte ihn - so die Allgemeine Deutsche Biographie - zu "einer der Hauptstützen" der "reactionären Partei". Er genoss "den ganzen Hass, ja die Verachtung", die seine demokratischen Gegner an den Tag zu legen vermochten. Aber er war auch modern, da sein "blinder Glaube" ihn geeignet machte zu "einer strengen Verfolgung, durch deren Ergebnisse die unterstellte Gefahr erst entdeckt werden sollte".
"Dank der schonungslosen Behandlung angesehener Personen" - wie des Theologen Friedrich Schleiermacher (kein Ehrenbürger) - wurde Ehrenbürger Kamptz mit seiner "leidenschaftlich reactionären Gesinnung" - so die ADB weiter - "bald die eigentliche Seele dieser Demagogenverfolgung". In seinem "blinden Eifer" machte er sogar den Grafen Gneisenau zum "Haupt der demagogischen Verschwörung". Andererseits erklärte Kamptz, der von der Bankenaffäre noch nichts wissen konnte, in Berlin herrsche "eine Lumpenwirtschaft", nur weil der Kanzler von Hardenberg (kein Ehrenbürger) nicht alle seine Verdächtigungen ernst nahm.
Und da gibt es die vielen Generäle und Polizeipräsidenten, die man meist beim 50jährigen Dienstjubiläum zu Berliner Ehrenbürgern machte: Den General Carl Friedrich Heinrich Graf von Wylich und Lottum (Nr. 9) etwa. Oder den Polizeipräsidenten Eugen von Puttkamer. Da gab es kurz vor der Märzrevolution von 1848 Protest gegen die Verleihung der Ehrenbürgerwürde Nr. 25. Zum Ausgleich warf man dem Polizeichef noch zu Lebzeiten eine Straße hinterher.
Ehrenbürger Nr. 29, Generalfeldmarschall Friedrich Heinrich Ernst Graf von Wrangel, hat heute noch zwei Straßen in Westberlin, die dritte im Osten hatten die Kommunisten - unversöhnlich - gestrichen. Sie hatten Wrangel schon einmal, das war 1848, als Demokratischer Club, seine Würde geraubt und ihn zum "Volksverräther" erklärt, weil er versuchte, "die Nationalversammlung an der Ausübung ihrer gesetzlichen Obliegenheiten mit Bajonetten zu hindern". - "Die Truppen sind gut, die Schwerter haarscharf geschliffen", wusste Wrangel, stürmte mit 13.000 Soldaten durch das Brandenburger Tor und wurde nach der Niederringung der revolutionären Bürger zum Ehrenbürger der Stadt.
Auch ein KZ-Baumeister - Ehrenbürger Nr. 72 - hat die Würde errungen: Westberlin ehrte Heinrich Lübke 1962 als "überzeugungstreuen Menschen, der den Machthabern des nationalsozialistischen Regimes Widerstand entgegensetzte".
Viel Spaß, Wolf Biermann, im Olymp dieser Ehrenbürger. Da sind Sie nun drin - da gehören Sie rein? Der allerdings nicht: Willy Brandt, den man auch dazu gemacht hat. Gehen Sie ihm da oben, im Olymp, aus dem Weg. Er könnte Sie sonst fragen, wie Sie zu der Ehre kamen. Sollten Sie bei der Wahrheit bleiben, müssten Sie sagen: Weil mein Freund, der CDU-Kulturexperte Lehmann-Brauns, so lange gedrängelt hat zusammen mit seinem Autorenkreis der Bundesrepublik. In dem sitzt auch der Schriftleiter Bernhard C. Wintzek, der mit seiner Zeitschrift Mut die berühmte Würzburger Großkundgebung der Aktion Widerstand gegen die Ostverträge organisierte. Parolen: "Brandt an die Wand" und "Deutsches Land wird nicht verschenkt, eher wird der Brandt gehenkt."
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