Freiheit zum Sterben

Selbstbestimmung light Zeitgemäß wie in den Niederlanden?

Als Friedensbewegung haben sie angefangen, die Grünen, dann kämpften sie in Ex-Jugoslawien, in Afghanistan, überall in der Welt getreu der Empfehlung aus Washington: Die Deutschen müssen wieder töten lernen. Und das kommt dazu: sterben. Diese Freiheit haben sie jetzt entdeckt: Die Freiheit zu sterben. So hieß die Fachtagung der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung in den Hackeschen Höfen zu Berlin. "Die Freiheit zu sterben" durch - so der Untertitel - "Selbstbestimmung, Sterbehilfe und Patientenverfügungen".

Sterbehilfe. Aktive Sterbehilfe. Darum ging es Ralf Fücks, dem Vorsitzenden der Böll-Stiftung, der in sein Redemanuskript in letzter Minute den Satz einfügte: "Soll die Tür zu aktiver Sterbehilfe verschlossen bleiben, auch wenn die Betroffenen es wollen?"

Nein. Und das war auch das Thema der Präsidentin der Humanistischen Union, Rosemarie Will, als der Mitveranstalterin dieser Tagung: "Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe wurde ausdrücklich aus den Reformbemühungen ausgeschlossen."

Frau Will verlangt "die strafrechtliche Zulässigkeit der Sterbehilfe im Strafgesetzbuch" durch "Ergänzung" eben jenes Paragrafen 216, der sie verbietet. Ja, es geht, wie der Strafrechtler Torsten Verrel von der Universität Bonn betonte, darum, "Tötungsdelikte aus dem 18. Jahrhundert zeitgemäß auszulegen". Zeitgemäß wie in den Niederlanden, wo die aktive Sterbehilfe, die Euthanasie, längst wieder praktiziert wird? Der Professor pikiert: "Es muss endlich Schluss damit sein, dass diejenigen, die für aktive Sterbehilfe eintreten, mit dem Euthanasieprogramm der Nazis in Zusammenhang gebracht werden."

Schluss. Und da trat als erster in der anschließenden Debatte ein veritabler Philosophieprofessor ans Mikrophon und sprach über die Humanität der Giftspritze am Krankenbett: "Bei Tieren wird so verfahren. Warum nicht auch beim Menschen?" - Das kam nicht notwendig aus dem eigenen Kopf des Philosophieprofessors, der aus Bayern stammt. Unlängst hat Barbara Rütting, grüne Alterspräsidentin des Bayerischen Landtages, in der zeitgemäßen Talkshow des Bayerischen Rundfunks Wann dürfen wir sterben von dem Bauern erzählt, dessen Hund die Spritze kriegt, wenn er altersschwach wird. Und so wolle er es auch haben, habe der Bauer gesagt, berichtete froh die Alterspräsidentin.

Aber die Erzählung vom Bauern, der so etwas sagt, hat ebenfalls ihre Tradition. "Meine Herren", sagt einer der Geschworenen im Liebeneiner-Film Ich klage an, den Hitlers Euthanasiebevollmächtigter Karl Brandt in Auftrag gab: "Meine Herrn, wenn wir Förster ein Tier angeschossen haben, und es quält sich noch rum, dann geben wir ihm eine Gnadenkugel, und wer das nicht tut, der ist ein roher Kerl und kein ehrlicher Waidmann." - "Aber das sind doch Tiere", meint ein anderer Geschworener und bekommt seine Antwort: "Nee, nee, lassen Sie man! Der Mensch ist manchmal auch so ein angeschossenes Tier."

1942 berichtete - geheim - der Sicherheitsdienst der SS über die Aufnahme dieses Euthanasiefilms in der Bevölkerung: "Die breite Masse des deutschen Volkes hat fast durchweg bejahend zu den angeschnittenen Problemen Stellung genommen."

Da hat sich wenig geändert: "So befürworten 64 Prozent der Bevölkerung die aktive Sterbehilfe und mehr als 70 Prozent lehnen deren Verbot ab", freut sich heute Vorsitzender Fücks zu Beginn seiner Fachtagung. In Freiheit sterben - die Grünen haben ein populäres Thema für den nächsten Wahlkampf.

Und irgendwann, wenn das große Reformgeschehen in unserem Land selbstbestimmtes Leben überhaupt nicht mehr erlaubt, werden wir wenigstens selbstbestimmt sterben.

Man hatte allerdings - grün alternativ - auch einen Referenten geladen, der anders dachte: den Hamburger Rechtsanwalt Oliver Tolmein, der sich für die Sterbeunwilligen einsetzte. "Er hat mich aggressiv gemacht", rügte eine Frau. Verständlich. Tolmein drehte sich zu Beginn seiner Rede um zum Fachtagungstitel an der Wand, erklärte sich als Linker an diesem Ort "lebensgeschichtlich desorientiert" und klagte: "Humanistische Union, Böll-Stiftung, dass jetzt die Linke zusammenschnurrt zu der Freiheit zu sterben".


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