Ach, was barmten mich noch Anfang vergangener Woche Hamburgs Sozialdemokraten. Kein Bürgermeisterkandidat mehr weit und breit in Sicht, nachdem irgendeine üble Burschenschaft dem Verlegenheitskandidaten Petersen nächtlings die Stimmen geklaut hatte. Von "Elbegate" sprach man und der hocherfahrene Fachmann und CDU-Landesvorsitzende Dirk Fischer hämte, wie "unglaublich dilettantisch" die SPD das gemacht habe.
Ich wollte schon in all der Not den PEN-Präsidenten, den lieben Johano Strasser, anrufen, damit er als treuer Parteisoldat in die Lücke springe. Doch bevor ich noch zum Hörer greifen konnte, fiel der deus ex machina aus dem verhangenen Hamburger Himmel.
Da bastelten sich die Hamburger Jusos Buttons: "Die Zeit ist reif: Naumann". Die Berliner Zeitung geriet aus ihrem Häuschen: "Ein Weltbürger hilft der SPD". Und so jubelte nicht nur die Washington Post von der Spree. Auch ich - was will er mehr? - finde das gut.
Ja, Michael Naumann, dieses Temperamentsbündel, muss ins Hamburger Rathaus, um all den Staub hinweg zu blasen, den die Jahre mit dem drögen Ole von Beust hinterlassen haben. Mit Michael Naumann wird Politik in Hamburg nie langweilig werden.
Ich erinnere mich, mit Genuss, der Begegnungen, die mir mit ihm zuteil wurden. Zur Buchmesse 1987, da war er Chef von Rowohlt, schwebte er beim Verlagsempfang in der Siesmayerstraße von der großen Freitreppe herab, durchquerte den überfüllten Saal auf mich zu und rief schon von weitem: "Sie haben mich zum Nazi gemacht!" Wann, wo, wie - und warum denn bloß? Ich war verwirrt. Welches Leid hatte ich ihm angetan? Langsam kam es heraus. Chef Naumann hatte ein Buch zur Barschelaffäre ängstlich aus dem Programm genommen, denn Barschel lebte noch. Den zuständigen Lektor Freimut Duve wollte Naumann sogar freisetzen, doch da der (für die SPD) im Bundestag saß, war das unerlaubt. Ich hatte darüber berichtet und an den Mut erinnert, mit dem Rowohlt einstmals in der Nazizeit die NS-Propaganda konterkarierte. Das war alles. Aber beim Rowohlt-Empfang im darauffolgenden Jahr beschied mich die Pressedame, und ich merkte, es war ihr peinlich: Sie habe Anweisung, mich nicht einzulassen.
2003 wieder Buchmessen-Empfang von Rowohlt. Ich stehe an der langen Schlange vor der Garderobe. Naumann, nunmehr auch Gast, kommt herein, durchpflügt die Menge, streckt den Zeigefinger aus und ruft schon von weitem: "Sie haben mich denunziert, Herr Köhler!" Was denn nun schon wieder? Langsam kam es mir. Ein Vierteljahr zuvor hatte die inzwischen von ihm herausgegebene Zeit Lothar Bisky mit Hilfe dubioser Dateien als Stasi-IM zu denunzieren versucht. Aus diesem Anlass hatte ich hier im Freitag (33/2003) an die Geheimdienstverbindungen der Zeit erinnert (der Hamburger Verfassungsschutzpräsident etwa nahm an Redaktionskonferenzen teil). Und daran, dass Michael Naumann der letzte Herausgeber des CIA-finanzierten Monat war (für den ich - das verschwieg ich nicht - selbst noch als FU-Student gelegentlich geschrieben hatte). So wurde ich Naumanns Denunziant.
Mir gefällt der Mann: Er liest, was man über ihn schreibt, setzt sich damit - wie auch immer - auseinander. Was kann sich ein Journalist von einem Politiker mehr wünschen? Ich bin dafür: Michael Naumann soll Hamburgs Bürgermeister werden.
Als Kulturstaatssekretär war er ja nicht schlecht. Er hat dem Amt, das unter Kohl verwest war, Leben eingehaucht. Dass er da, nebenbei auch mal im März 1999 für Schröders Jugoslawien-Krieg eintrat, müssen wir ihm verzeihen. Vom Hamburger Rathaus kann er, zu welchen weltpolitischen Erklärungen er auch immer greifen mag, keine Regimenter in den Krieg werfen. Die Garnison in Fischbek - ihr Kriegslärm drang bis zu mir - ist gottlob aufgelöst. Gewiss das Mühlenberger Loch wird er nicht wiederaufreißen, so klug ist er doch nicht, dass er an der Arbeitsplatzgarantie des Rüstungskonzerns EADS zweifelt. Aber doch so schlau, dass er Schluss mit dem Finanztransfer an die Brüder im Osten verlangt. Hamburgs Pfeffersäcke hören das gern, sie haben am meisten von der Deindustrialisierung des Ostens profitiert.
Hamburgs SPD - und wie gesagt, ich Nichtmitglied auch - wir stehen vor und hinter ihm. Nur einer benimmt sich - das ist man von ihm gewohnt - völlig undiszipliniert: "Wir werden gegenwärtig gut regiert vom Senat mit Ole von Beust, das muss fairer Weise jeder sagen", behauptete mit Blick auf Naumann der glanzlose Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. Er war einst der Ole der SPD und gehört zu denen, die aus Hamburg eine reichlich tote Stadt gemacht haben.
Jetzt kann sie wieder lebendig werden. Dass dieser quirlige Mann die Zeit verlassen wollte, müssen wir verstehen: Das Blatt erstickt im eigenen Fett. Im Rathaus bietet Michael Naumann den größten Unterhaltungswert, besonders dann, wenn er sich an einer starken Linksfraktion reiben kann (mit jeder, nur mit ihr nicht will er koalieren, das gelobte er). Und er ist das kleinste Übel, das man sich in Hamburgs SPD-Bezirken vorzustellen vermag.
Aber warum Übel? Nun, er hat eine verzehrende Leidenschaft für Hamburger. Im Februar bekannte er, ausgerechnet in Phoenix, er esse sie "ganz gerne mal". Dies ist nun wirklich degoutant.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.