Hitler auf dem Dach

Vergangenheits-Vergewaltigung Wie Geschichte in Theater, Film und Fernsehen aufbereitet wird

Nichts darf man mehr in dieser Republik. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung aktivierte am Wochenende in ihrem Leitartikel Ernst Noltes Dogma von der unbefleckten Geburt Hitlers aus Abwehr gegen den jüdischen Bolschewismus. Sie klagte über den Ausschluss des CDU-Abgeordneten Hohmann ("In der Sache hat man ihn nicht diskutiert") seinerzeit aus der Bundesfraktion von CDU/CSU. Und sie bedauerte, dass "Auseinandersetzungen nach Art des Historikerstreits über dessen Frage (die Singularität des Judenmords) heute weder statthaft noch möglich sind." Denn: "Es gibt Fragen, die als nicht verfügbar gelten." Die Nolte-Frage, ob nicht doch letztlich der Jude an allem Schuld ist, bleibt verboten. Die "Verfügung über Hitler und seine Verbrechen ist in Deutschland durch Sitte und sogar strafrechtliche Norm geregelt". Nichts ist erlaubt.

Alles darf sein. In Hamburg schwingt sich Adolf Hitler in Riesengestalt hoch auf das Schauspielhaus und grüßt von oben mit seiner erhobenen Rechten auf das Volk herab. So zeigt den Führer eine (auch zum Versenden nach Israel geeignete) Postkarte des dortigen Schauspielhauses, die für eine miserable und alles verharmlosende Bühnenversion von Ernst Lubitschs berühmtem Anti-Hitler-Film Sein oder Nichtsein wirbt. In Hamburg spielt der Führer comedy. Und im Publikum lacht es fröhlich auf, wenn der Jude Grünberg den Shylock-Monolog gegen Hitler anstimmt: "Bin ich nicht auch ein Mensch wie ihr?"

Sein oder Nichtsein, das ist nicht mehr die Frage. Die Berliner Republik ist aufgebrochen, ihren Platz an der Sonne des Sicherheitsrates einzunehmen. Mit bereinigter Vergangenheit und sehr vergnügt.

Allerdings, in der FAZ werden widerstrebende Interessen deutlich. Während sie am Wochenende per Leitartikel nicht länger geheim hielt, dass eine ihr genehme Verfügbarkeit über unsere Geschichte unerlaubt und strafbewehrt sei, hatte sie zuvor enthüllt, dass veritable Neonazis als Komparsen am Film Der Untergang mitgewirkt haben. Jener Apotheose des Nazireiches, die FAZ-Herausgeber Schirrmacher als "Akt von Normalisierung" und "großes Kunstwerk" zum "wichtigen Datum unserer Verarbeitungsgeschichte" hoch gejubelt hatte. Doch die ARD benutzt solche Leute nicht einfach als Komparsen, sie machte aus ihnen in ihrer dreiteiligen Doku-Soap über "Goebbels" veritable "Zeitzeugen" - ohne jedoch darauf hinzuweisen, wer sie wirklich damals waren.

Gut, wenn die Goebbels-Angestellte Lucie Kluge, bevor ihr Chef freiwillig in die Hölle fährt, heult und jammert und sich unter Tränen erinnert, wie sie dankte: "Herr Doktor, Sie haben uns so viel gegeben", dann geht das in Ordnung. Da weiß man, wer sie ist.

Ganz anders, wenn der tote Wolfgang Liebeneiner als eine Art Widerständler gegen Goebbels aus dem Archiv exhumiert wird und von "Camouflage" reden darf, mit der er Goebbels getäuscht habe. Er war - das bleibt unerwähnt - mit seinem Euthanasiefilm Ich klage an einer der erfolgreichsten NS-Propagandisten. Doch das ist heute nicht mehr so schlimm, weil spätestens "Hartz VII" zu unserem sozialverträglichen Ableben mit 75 keine Alternative mehr erlauben wird.

Wilfred von Oven, den sich die ARD aus dem tiefbraunen Zeitzeugenstadl der Knopp-Werkstatt des ZDF ausgeborgt hat, wird hier nur als schlichter "Referent" von Goebbels geführt, mehr nicht. Der 92-jährige Altnazi fliegt immer wieder aus Südamerika nach Deutschland, um auf Neonazikundgebungen zu sprechen. 1939 war er als Propaganda-Kompanie-Mann Teilnehmer eines Massakers an Polen - die "Humanitätsapostel der westlichen Demokratien" sollten sich darüber, wie er schrieb, ruhig "die Mäuler" zerreißen. Als Adjutant von Goebbels stand er an den Schaltstellen der Macht, tauchte 1945 unter, wurde von Rudolf Augstein entdeckt, der nichts dabei fand, einen Goebbels-Adjutanten zum Spiegel-Korrespondenten zu machen. Im Spiegel beschrieb von Oven 1951 liebevoll, wie säuisch es in der erwachenden Demokratie zugehe, bevor er sich mit einem von Augstein unterschriebenen Presseausweis nach Südamerika absetzte. Noch nicht hinreichend erforscht ist, inwieweit der junge SS-Mann von Oven als agent provocateur in van der Lubbes Umgebung am Reichstagsbrand beteiligt war. Das alles verschwindet für die ARD hinter der harmlosen Bezeichnung "Referent".

Eine andere Zeitzeugin ("Ich glaube, dass Goebbels von allen, die damals sprachen, der überzeugendste war") ist die Volksbeschauerin Elisabeth Noelle. Sie hätte eigentlich - auch das erfahren wir nicht - von Ovens Platz an Goebbels Seite einnehmen sollen. Der trug ihr an, seine Adjutantin zu werden, doch sie erkrankte. Die Beraterin aller CDU-Kanzler von Adenauer bis Kohl war die erste, die nach einem Studienbesuch in den USA schon unter Hitler die Demoskopie einführen wollte. Aber nach der "deutschen Auffassung vom Wesen der öffentlichen Meinung", wie es Noelle damals mit einem Wort von Goebbels definierte. Nur beim Zeitzeugen Fritz Hippler - der einstige Reichsfilmintendant und spätere Freund des Bundespräsidenten Scheel hatte Juden als Ratten dargestellt - durfte ein Filmhistoriker eine vorsichtige Einordnung versuchen.

Abgesegnet hat diese Abfolge der nicht hinterfragten "Zeitzeugen" unter dem Signum einer "Wissenschaftlichen Gesamtberatung" der nicht unrenommierte Bochumer Historiker Norbert Frei. Die neue deutsche Geschichtsbetrachtung ist die alte, nur noch unverschämter in ihrem Desinteresse an der Gesellschaft, die Figuren wie Hitler und Goebbels hervorbrachte. Der frontbewährte Tagesspiegel - Motto: "rerum cognoscere causas" - hat dies vollendet formuliert: "Hätte Goebbels literarischen Erfolg gehabt, und Hitler wäre Maler geworden - wer weiß, was der Welt erspart geblieben wäre."


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