Leitmedium der Republik

Gastkommentar Zu große Schuhe für den Spiegel

Nun träumen sie wieder im Hamburger Glashaus den schönen Traum vom Spiegel als kritischem Leitmedium der Republik. Auch wir hatten einst diesen Traum, bis wir vor die Tür gesetzt wurden - wir, die Leute von der so genannten Redakteursbewegung des Spiegel. Die Verbliebenen hat Rudolf Augstein mit einem genialen Coup ruhig gestellt. Er beteiligte sie mit 50 Prozent am Gewinn - da setzte so mancher lieber auf erhöhte Anzeigenerlöse denn auf den Ruf als kritisches Nachrichtenmagazins. Nun ist der Spiegel bei stetig steigendem Profit heruntergewirtschaftet "zu einem geschwätzigen Blatt unter anderen", wie Augsteins Tochter Franziska vor zwei Jahren Stefan Aust öffentlich bestätigte, dem Chefredakteur, der nun bald gehen muss.

Der hatte mit einem diabolischen Trick die mehr als befähigte Tochter aus jeder Debatte um die Nachfolge des Vaters als Herausgeber gedrängt. Nur wenige Stunden nach dessen Tod diktierte er die Hausmitteilung "Betr.: Rudolf Augstein", die im darauffolgenden Spiegel erschien: "Nach ihm kann und wird es keinen Herausgeber geben, der diesen Titel verdient. Die Schuhe sind zu groß." Damit hatte Aust die Kontrollinstanz hinweggeputscht, die sich ihm in den Weg hätte stellen können.

Herausgeber des Spiegel, diese Institution fehlt in den Turbulenzen um die Nachfolge für den jetzigen Chefredakteur mehr denn je. Anteilseigner Gruner Jahr will, so heißt es neuestens, einen radikalen Bertelsmann, den Stern-Matussek Hans-Ulrich Jörges, durchsetzen. Da könnte man auch gleich Austs eigenen Kronprinzen, den neoliberalen Extremisten Gabor Steingart zum unumschränkten Spiegel-Herrscher machen. Für jeden Extremisten des Neoliberalismus muss es eine Schande sein, in diesem grotesken Kandidatenkarussell nicht genannt zu werden: Schirrmacher, Lorenzo, Keese, Steingart, Jörges, Bohlen. Nein, der bis Redaktionsschluss noch nicht. Da habe ich etwas korrekt verwechselt: Zusammen mit dem beachtenswerten Schriftsteller Dieter Bohlen hat Aust auch für seine eigene Lebensleistung 2003 die Goldene Feder des Softpornokonzerns Bauer errungen. Mehr konnte sich ein Spiegel-Chefredakteur seiner Art nicht erträumen.

Augsteins Tochter könnte mit ihrem kritischen Verstand, wenn nicht als Chefredakteurin, dann besser als Herausgeberin, den Spiegel, den es so nie gab, aber den sich viele erträumten, annähernd herstellen: Leitmedium dieser Republik.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland schafft das nicht, da stehen ihr die Albernheiten ihres Oberherausgebers Frank Schirrmacher im Weg. Bleibt nur die Süddeutsche Zeitung. Doch deren Eigentümer schert dieser Anspruch einen Dreck. Sie wollen Kasse machen und alles an noch üblere Kapitaleigner verkaufen, damit die Süddeutsche zu einer Berliner Zeitung unter vielen verkommt. Wenn da die besten Journalisten gern das Blatt verlassen, gibt es in Deutschland das freie Potential für ein Leitmedium. Der Spiegel muss nur zugreifen, dann kann er - soweit so etwas in der heutigen Medienlandschaft noch möglich ist - das Leitmedium werden. Franziska Augstein als Herausgeberin, Heribert Prantl als Chefredakteur - das könnte einen Spiegel geben, dessen Redakteure mit Lust auch dann schreiben, wenn die Rendite aus dem Anzeigenertrag ein wenig sinkt.

Und um Stefan Aust wollen wir uns keine Sorgen machen. Dass er nun zu Springer geht, um die TV- und Printgeschäfte des Konzerns zu bündeln, gilt als ausgemacht, zumal er aufgrund seiner Vorbildung Friede Springers Kleinanzeigenplantage für häufig wechselnde Lebenshilfe ins sehr bewegte Fernseh-Bild umsetzen könnte.

Otto Köhler war von 1966 bis 1972 Medienkolumnist beim Spiegel

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