Logenplatz über der Elbe

Selbstmordpartei "Heimat Hamburg" Ex-Justizsenator Kusch bekommt im Luxusaltersheim Augustinum ein Forum für seine Euthanasiewünsche

Roger Kusch ist zurück. Der aus der CDU ausgetretene Ex-Justizsenator, die "lächelnde Guillotine", wie nicht nur Die Welt Kusch nennt, hat eine neue Partei gegründet: "Heimat Hamburg - der rechte Weg für unsere Stadt". Mit ihr will er offenbar Ronald Schill beerben, jenen "Richter Gnadenlos", der mit seiner "Schill-Partei" zunächst Ole von Beust zur Macht über Hamburg verhalf, dann aber als Innensenator entlassen wurde, weil er intime Beziehungen zwischen dem Bürgermeister und dem Justizsenator unterstellte.

Im Frühjahr 2006 musste Roger Kusch wegen der so genannten Protokoll-Affäre seinerseits gehen. Seine Behörde hatte sich unrechtmäßig vertrauliche Unterlagen aus einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu seiner Amtsführung beschafft und weitergegeben. Nach dem Verlust des Senatorenpostens trat Kusch aus der CDU aus, will aber seine politische Karriere - unter Kohl zunächst Leiter des Referats Innere Sicherheit im Bundeskanzleramt, dann Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof und schließlich Hamburger Justizsenator - durchaus nicht beenden. Die Lücke, die Schill mit seiner rechtspopulistischen Partei hinterlassen hat, möchte er gern füllen. Aber so einfach ist das nicht. Denn die "innere Sicherheit", mit der Schill noch Punkte machen konnte, ist als profilträchtiges Thema verschwunden. Alle großen Parteien sind inzwischen ein einziger radikaler Schily und die meisten kleinen auch.

Doch Kusch hat eine andere politische Marktlücke entdeckt. Sie heißt Euthanasie oder wie er als Führer der "Heimat Hamburg" es umschreibt: "verantwortungsvolle, mitfühlende Sterbehilfe". Er glaubt, dass 75 Prozent aller Deutschen seiner Meinung sind, aber 99 Prozent der Politiker dagegen. Kusch will nun der Mister-Ein-Prozent sein. Er setzte ein Zeichen: Drei Tage vor dem "Tag der Suizidprävention", der am Sonntag auf dem Breitscheidplatz in Berlin mit einer Kerzendemonstration gegen Selbstmord begangen wurde, lud er in Hamburg zu seiner ersten Wahlversammlung, für die Plakate auf allen Ausfallstraßen Hamburgs warben. Thema: "Tabu Sterbehilfe". Als Versammlungsort hatte seine neue Euthanasiepartei mit viel Sinn für makabren Zynismus das Luxusaltenheim Augustinum gewählt - "Ihr Logenplatz über der Elbe".

Der Hausherr, Stiftsdirektor Dr. Christian Bendrath, hieß am Donnerstag vergangener Woche die Partei für den "selbstbestimmten" Tod willkommen. Das Augustinum biete Raum, sagt er im überfüllten Versammlungssaal den Gästen und Heimbewohnern, "zu einer gesellschaftlichen Diskussion, die geführt werden muss". Denn: "Auf das Argument der prinzipiellen Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens kann sich keiner zurückziehen."

Richtig, verantwortungsvolle Euthanasie hilft auch, die Zahl der unrentablen Pflegefälle zu senken. Sterbehilfe ist ein Gebot unserer Wirtschaftsordnung, die sich mit dem überbordenden Sozialstaat und dem damit verbundenen Altenberg auseinandersetzen muss. Euthanasie-Parteiführer Kusch dankt dem Hausherrn für den "Mut" und das "faszinierende Einfühlungsvermögen", mit dem er sein Altenheim "zur Verfügung gestellt" hat.

Der Dritte im Bund, ein pensionierter Pastor Christian Rüß von der Michaeliskirche, dem Wahrzeichen Hamburgs, kann sich noch erinnern: "Tod auf Verlangen war lange Zeit unter Christen undenkbar". Jetzt aber zeigt er schon mal Verständnis, wenn Angehörige die Medikamente etwas ungenau dosieren. "Abspritzen wollt ihr uns, ihr Totmacher", ruft ein Sterbeunwilliger dazwischen. Kusch erstarrt und antwortet nicht, obwohl er an dieser Stelle auf sein Leitmotiv verweisen könnte: Selbstbestimmung.

Was das heißt, hat die Kuschpartei programmatisch festgelegt. Von "selbstbestimmter Heimat" ist die Rede, und von einer "Heimat mit Hunden". Entsprechend fordert sie "die Abschaffung des generellen Leinenzwangs und die Ermöglichung der artgerechten Haltung von Hunden." Und so ergänzt das Leben der Hunde das wichtigste Anliegen, den Tod der Menschen.

Der ehemalige Justizsenator, der 1984 mit seiner Dissertation "Der Vollrausch" über den Paragraphen 323a des Strafgesetzbuches "in teleologischer Auslegung" promovierte, hat aus dem ernsthaften Problem des Selbstmords in ausweglos erscheinender Lage einen Wahlkampfschlager gemacht. Mit seinem Euthanasiebegehren liegt er voll im Trend, seit im Herbst 2005 die vom ehemaligen Spiegel-Redakteur Ludwig Minelli geführte Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas in Hannover eine Filiale eröffnete. Selbstmordwillige werden von hier in die Schweiz geleitet, wo die von der Dignitas geleistete Beihilfe noch immer straflos ist. Vor der niedersächsischen FDP-Landtagsfraktion durfte der Dignitas-Chef die Deutschen ausdrücklich einladen, zu ihm in die Schweiz zu kommen, um einen, wie er betonte, "risikolosen Suizid" durchführen zu können. Die Einrichtung seiner Filiale in Hannover begründete der Selbstmordhelfer in einem großen Interview mit dem Rechtsaußenblatt Junge Freiheit: "Man geht nicht auf große Reise, ohne das Reisebüro konsultiert zu haben."

Begleitet wurde die Eröffnung der deutschen Dignitas-Filiale von einer Euthanasiekampagne in den Medien. Die Zeit veröffentlichte ein vierseitiges Dossier über die Vorzüge der Sterbehilfefirma, verfasst von ihrem Redaktionsmitglied Bartholomäus Grill, der liebevoll schilderte, wie er seinen krebskranken Bruder zwecks selbstbestimmten Ablebens im verdeckten Lieferwagen über die Grenze zu Minelli in die Schweiz transportierte (siehe Freitag 03/2006). Grill wurde im Mai für seine Reportage im Deutschen Schauspielhaus Hamburg vor 1.200 prominenten Gästen aus Kultur, Politik und Wirtschaft mit dem Henri-Nannen-Preis belohnt. Der Preis zeichnet "Bestleistungen im deutschsprachigen Journalismus" aus. Innen- und Verfassungsminister Schäuble war dabei und hielt die Festrede für den gleichfalls ausgezeichneten Joachim Fest.

"Diese Begleitung des Bruders in einer existenziellen Grenzsituation ist meisterhaft beschrieben", heißt es in der Begründung der Preisverleihung für Grill, "und gewinnt exemplarische Bedeutung, weil der Umgang mit dem selbst gewählten Tod zu den großen Themen der Gegenwart und Zukunft gehört." Exemplarische Bedeutung für die Zukunft dürfte es auch haben, dass Euthanasiebegleiter Grill, wie in diesem Zusammenhang ausdrücklich betont wird, "Mitglied im Afrika-Beraterkreis des Bundespräsidenten" ist.

Für mediale Aufmerksamkeit sorgte auch das ZDF und sendete zwischen Weihnachten und Ostern auf seinen diversen Wiederholungskanälen und in den dritten ARD-Programmen insgesamt vierzig Mal den Film Dignitas heißt Würde über die kranke Rentnerin Marly. Für sie ist es, so formuliert der ZDF-Film, "gut zu wissen, dass sie den Weg zu Dignitas gehen kann."

Mit dieser Schweizer Dignitas will Kusch allerdings nichts zu tun haben. Die Preise seien zu hoch - er spricht von 9.000 Euro pro Sterbefall, Minelli selbst gibt rund 3.500 Euro an. Kusch hat vor allem das Parteiziel der "Heimat Hamburg" vor Augen: "Wenn ich in Hamburg wohne, will ich auch in Hamburg sterben und nicht in die Schweiz vertrieben werden", sprach Kusch im Altersstift an der Elbe. Auch manche Schweizer wären glücklich, wenn nicht mehr so viele Deutsche kämen. Die Bewohner des Zürcher Hochhauses, wo der Dignitas-Chef deutschen Touristen den "guten Tod" verabreicht, beschweren sich schon, weil allzu häufig ein Toter im Fahrstuhl mit nach unten fährt.

Das könnte sich nun ändern. Denn der Wahlkampf für die Wiedereinführung der Euthanasie in Deutschland geht in Hamburg munter weiter. Am 17. September agitiert der Ex-Justizsenator wieder mit dem hilfswilligen Pastor Rüß in der Gaststätte des Bramfelder Sportvereins gegen das "Tabu Sterbehilfe", und am 14. Oktober spricht Vollrauschexperte Kusch im Luxushotel Hyatt auf Einladung der "Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben" über "Sterbehilfe als rechtspolitisches Anliegen".


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