Mit Schweinemaske geächtet

Tito toter als tot? Was bleibt von Jugoslawien, fragt ein Theaterprojekt in Hamburg

Das ist selbstverständlich. Die Kulturstiftung des Bundes, die satzungsgemäß internationale Kulturprojekte innerhalb der Zuständigkeit des Bundes fördert, befand dieses Theater-Projekt als nicht förderungswürdig. Das Projekt hieß Tito - Der Dritte Weg und wurde von Gordana Vnuk, der aus dem nunmehrigen Kroatien stammenden Intendantin des Hamburger Kampnagel-Theaters eingereicht.

Die Absage ist einsichtig. Die Kulturstiftung des Bundes kann nicht die Erinnerung an einen Mann fördern, dessen Werk nachhaltig zu zerstören der Kriegsstiftung des Bundes 1999 gelungen war - da will man nicht ein Projekt unterstützen, das sich differenziert mit dem Mann auseinandersetzt, der 1945 Jugoslawien aus den Trümmern wieder entstehen ließ, in die es 1941 von der deutschen Wehrmacht zerschlagen worden war.

Seit drei Jahren bemühte sich Gordana Vnuk, die Intendantin des Hamburger Kampnagel-Theaters, einen großen Themenschwerpunkt über Tito und den Dritten Weg zu setzen. Jetzt, gegen Ende ihrer Amtszeit, ist es endlich gelungen. Allerdings steht die Kulturstiftung des Bundes mit ihrem Urteil nicht allein. Als 2006 in Mazedonien eine scharf rechte Koalition von Nationalkonservativen und albanischer Minderheit mit dem Ziel eines noch engeren Anschlusses an NATO und EU an die Macht kam, verbot Kulturminister Ilirian Bequiri das Stück mit dem allzu programmatischen Titel Tito nach einem Text von Slobodan Snaider. Der daraufhin einsetzende Protest zwang ihn zum Rücktritt, das Stück wurde uraufgeführt und war jetzt unter dem Titel Tito, gewisse Diagramme der Sehnsucht das zentrale Stück des Hamburger Tito-Festivals.

"Tito ist toter als tot - das Land, das er personifiziert hat, ist untergegangen", verkündete Boris Buden, der in Berlin lebende kroatische Österreicher jugoslawischer Geburt auf der einleitenden Podiumsdebatte. Aber es schien nicht, dass er sich darüber freuen konnte. Er weiß, das schließlich durch NATO-Bombardements zerstörte Jugoslawien wurde zum "dunkelsten Kapitel" des - wie er glaubt - "hoffnungsvollsten Ereignisses unserer Zeit, der so genannten demokratischen Revolutionen von 1989". Buden fragt: "Warum noch an einen dritten Weg glauben, wenn es keinen zweiten mehr gibt?"

Tito lebt. In einem auf dem Festival gezeigten serbischen Dokumentar-Film Tito´s Second Time Among The Serbs verlässt er sein Grab und besteigt das Auto. "Wohin, Genosse Tito?" - "Hören, was das Volk denkt."

Tito ist ein Schauspieler. Das Volk ist echt. "Wir haben gut gelebt", sagt einer. "Wann wird es besser?" fragt eine andere. "Ich weiß es nicht", sagt der Tito, der ein Schauspieler ist.

Tito, gewisse Diagramme der Sehnsucht, das zentrale Stück, zeigt in 25 Szenen den Lebenslauf des Mannes, der Jugoslawien wieder begründete bis über seinen Tod hinaus: die Tito-Büste im Einkaufswagen auf dem Friedhof. Madame Tussaud ist anwesend und fragt: "Was gehört zur Geschichte und was bist du?" Zur Geschichte gehört auch Stalin, der in einer Szene als Ballerina mit Tito den sterbenden Schwan tanzt.

Und dazu Schlüsselszenen der Selektion. Tito mit seiner Frau 1920 an der Grenze zwischen Russland und Estland. Ein Weißgardist stößt ihn und andere Verdächtige aus der Reihe der Wartenden. 70 Jahre später selektiert der Schauspieler des Weißgardisten erneut - diesmal als Franjo Tudjman - Tito wird mit einer Schweinemaske geächtet. Der kroatische Nationalist und engagierte Antisemit Tudjman hatte - von Kohl, Genscher und dem BND großzügig unterstützt - Anfang der neunziger Jahre das Erbe des 1941 von Hitler eingesetzten Faschisten Ante Pavelic´ angetreten, um Jugoslawien ein zweites Mal von Kroatien aus zu zerschlagen. Und tatsächlich ließ einer seiner späteren Minister schon in den siebziger Jahren auf einer Veranstaltung ein Schwein los, auf dem der Name Tito geschrieben stand.

Mit einer grandiosen dreistündigen Montage, die alle aufgeführten Stücke in die "Diagramme der Sehnsucht" integrierte, ging letztes Wochenende das Tito-Festival auf Kampnagel zu Ende. Die ehemalige Maschinenfabrik gilt inzwischen als das größte freie Zentrum für experimentelles Theater in Deutschland. Gordana Vnuk ist allerdings verwöhnt aus Titos Zeit. Da konnte sie mit ihrer freien Avantgarde-Theatergruppe Coccolemocco riesige Spektakel machen und zweimal im Jahr ein internationales Theaterfestival organisieren, das "über ein Budget verfügte, von dem ich hier nur träumen kann."

Tito ist lange tot. Christina Weiß, ehemals auch Hamburger Kultursenatorin, hatte Vnuk 2001 als Intendantin in die Hansestadt geholt. "Wir wollten etwas anderes zeigen als all die anderen", sagte Vnuk. 2002 gründete sie das Sommerfestival Laokoon mit Tanztheater aus aller Welt, das von außereuropäischen Kuratoren geleitet wurde. Immer mit dem Ziel, "unsere Wahrnehmungsgewohnheiten zu ändern und für neue Ausdrucksformen zu öffnen". - Gordana Vnuk hat in ihrer sechsjährigen Amtszeit als Intendantin auf Kampnagel mehr getan, um Hamburg wieder als Tor zur ganzen Welt zu öffnen, als es der um das Verrammeln redlich bemühte Beust-Senat wiedergutmachen konnte.


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