Sachverstand mit Bypass

Helmut Schmidt Das Rauchen habe ich mir schon abgewöhnt, da war Helmut Schmidt noch lange nicht ins Kanzleramt eingezogen. Doch der Altkanzler übertrifft mich: "Ich ...

Das Rauchen habe ich mir schon abgewöhnt, da war Helmut Schmidt noch lange nicht ins Kanzleramt eingezogen. Doch der Altkanzler übertrifft mich: "Ich zahle meinen Gewerkschaftsbeitrag seit meinem Eintritt ins Berufsleben - damals war übrigens der Kollege Bsirske noch nicht geboren." Und fügt hinzu: "Aber ich halte nichts davon, die Bürger insgesamt zu erpressen."

Das schrieb Helmut Schmidt als Herausgeber der Zeit in seinem Plädoyer gegen flächendeckende allgemeinverbindliche Tarife. Mit dieser Sucht müsse endlich "Schluss gemacht werden", damit ein jeder einzeln und in voller Freiheit seinen Lohn aushandeln kann.

Am Sonntag zuvor hatte der Hamburger Varieté-Künstler Eberhard Möbius bei seinem Neujahrsempfang Altkanzler Schmidt freudig begrüßt: "Es würde auch was fehlen, wenn er mit seinem Sachverstand nicht in der ersten Reihe säße. Auch wenn er 15 Bypässe hätte, er ist ein Hanseat mit Preußengeist."

Der Altkanzler lachte und nickte fröhlich zum Theaterchef auf der Bühne hinauf und zog - wie das Hamburger Abendblatt beobachtete - "genüsslich an seiner Zigarette". Das Foto daneben dementiert den Bericht: Da ist kein Genuss. Die rechte Hand im Sitzen auf den Stock gestützt - der infarktgeplagte Altkanzler hat nach drei Tagen ohne Bewusstsein vor wenigen Wochen erst das Krankenhaus verlassen - zieht er voll Gier an der Nikotingabe. Ehefrau Loki neben ihm zieht mit leerem Blick im gleichen Takte mit. Das Foto bildet alles erbarmungslos ab.

Wohin das vorbildliche Ehepaar - inmitten von Leuten, die nicht rauchen - seine Asche gestreut haben könnte, ist dem Bild nicht zu entnehmen. Immerhin erinnerte sich der Hanseat mit Preußengeist gleich darauf in der Zeit, was er bei der Tarifauseinandersetzung 1974 als Kanzler dem ÖTV-Vorsitzenden Heinz Kluncker gesagt hatte: "Ich kann dich nicht hindern, wochenlang die Mülltonnen überlaufen zu lassen. Aber dann gehe ich ins Fernsehen und erkläre dem deutschen Volk, dass du als Oberschwein für die Schweinereien vor den Haustüren verantwortlich bist." Das Hamburger Abendblatt hatte seinen Lesern nach dem Abdruck des Fotos auch viel zu erklären. Aus der Fülle der Briefe druckte es einen einzigen ab unter der Überschrift "Unser Altkanzler: Ein Foto, das für sich spricht".

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