"Schinderhannes" statt "Mutter Courage"

PEN-Kongress in Potsdam Wird diesmal die Westgeschichte aufgearbeitet?

Als aber Hans Mayer, Mitglied des deutschen PEN-Zentrums seit 1948, sah, wie da einige Herrschaften des westdeutschen PEN den ostdeutschen einfach übernehmen wollten nach dem Prinzip "Kaltes Buffet", "wo man sich aussucht, was man haben möchte", da schrieb er dem westdeutschen Ehrenpräsidenten Walter Jens im Juli 1990 einen Brief.

Hans Mayer, der 1948 Westdeutschland verließ, um als Literatur-Professor nach Leipzig zu gehen, der 1956 in dieser Zeitung (als sie noch Sonntag hieß) seinen Rundfunkvortrag "Zur Gegenwart unserer Literatur" veröffentlichte, den ihm zuvor der Intendant des Deutschlandsenders verboten hatte - Hans Mayer, der immer wieder in Konflikt mit der offiziellen Kulturpolitik der SED geriet und von der Stasi überwacht wurde, er hatte diesen Zirkus schon einmal erlebt, als er 1963 nach Westdeutschland zurückkehrte.

1948, als er eintrat, gab es nur das eine, soeben wiedergegründete deutsche PEN-Zentrum. Als Mayer ebenso wie Ernst Bloch 1963 nach Westdeutschland zurückkehrte, da - so schrieb er Jens - hätte man "einfach fragen müssen, ob wir den Antrag stellen wollten, von nun an dem westdeutschen Zentrum anzugehören".

Wenn er tatsächlich Bloch und Mayer bekommen könne, schrieb 1964 Robert Neumann, damals Vizepräsident des Internationalen PEN, dem westdeutschen Ehrenpräsidenten Kasimir Edschmid, "so griffe ich an Ihrer Stelle so rasch wie möglich zu". Doch das taten die westdeutschen PEN-Granden nicht.

Mayer: "Man spielte die Komödie einer Neuwahl. Wir wurden also offiziell in einen Club gewählt, dem wir längst angehörten, ich selbst zumeist länger als diejenigen, die mich ›gewählt‹ hatten."

Es war die feinsinnige Rache der unter Hitler im Land Gebliebenen an den zweimaligen Emigranten. Einige drohten sogar mit Austritt wegen der "kommunistischen" Vergangenheit der beiden Zurückgekehrten. "Diese Unverschämtheit und Torheit habe ich niemals verziehen", schrieb Hans Mayer dem Ehrenpräsidenten West, und tatsächlich hat er mit einer Ausnahme nie wieder an einer PEN-Veranstaltung teilgenommen.

"Die Mitglieder des Zentrums DDR sind und bleiben Mitglieder des Clubs", bekräftigte Hans Mayer in seinem Brief an Walter Jens und protestierte gegen "denunziatorische Versuche einzelner Mitglieder, als Saubermann oder Sauberfrau aufzutreten und entscheiden zu wollen, ob ein Mitglied des PEN-Zentrums DDR dem Club angehören darf oder nicht".

Das Buch, dem dies alles entnommen ist und das diesen Samstag auf der Mitgliederversammlung des nunmehr doch vereinten PEN-Zentrums Deutschland in Potsdam vorgestellt wird, endet mit diesem Protest Mayers gegen den Alleinvertretungsanspruch des westdeutschen PEN: Sven Hanuschek, Geschichte des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums von 1951 bis 1990 (*). Die Zeit danach, die endlosen Querelen bis zur Vereinigung beider PEN, die Geschichte des PEN in der DDR und der Weimarer Republik, sie werden noch in eigenen Bänden aufgearbeitet.

Wahrscheinlich Mitglied der SED

Das PEN-Zentrum Deutschland wurde im November 1948 noch vor der Spaltung des Landes in Göttingen wiedergegründet. Johannes R. Becher war einer seiner drei Präsidenten, lange bevor er 1954 Kultusminister der DDR wurde. Als sich 1949 zunächst ein West- und dann ein Oststaat konstituierten, wirkte dies auf einige PEN-Mitglieder im Westen anregend. Sie schritten 1951 zur Sezession und gründeten - zwölf von den damals fünfzig westdeutschen PEN-Mitgliedern - in Düsseldorf ein "P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland". Deren Bundespräsident Theodor Heuss - er hatte 1933 im Reichstag die Hand für das Ermächtigungsgesetz gehoben - wurde bald darauf in diesen PEN gewählt.

Gleich nach der Abspaltung 1951, die beim internationalen PEN in London wenig Begeisterung erregte, verschickte der neue West-PEN eine Informationsschrift mit dem Titel Über Toleranz und Geistesfreiheit /an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club. Einen Verfassernamen trug die Schrift nicht, aber ein Begleitbrief unterrichtete, dass "eine Aufklärung der PEN-Mitglieder über die Situation der geistigen Freiheit unter dem sowjetkommunistischen Regime" unerlässlich sei. Ursache: "Der Geist muss daran zugrunde gehen, es bleibt nur noch der praktikable Intellekt." Unterschrieben hatten diese Feststellung über den eingeschränkten Menschenverstand im Osten prominente Westschriftsteller: Martin Beheim-Schwarzbach, Karl Friedrich Borée, Hermann Kasack, Ernst Kreuder, Wilhelm Lehmann, Rudolf Alexander Schröder und Georg von der Vring.

Die Aufklärungsschrift des West-PEN enthielt wichtige öffentliche Bekanntmachungen über Johann Wolfgang von Goethe - einige seiner Werke seien in der DDR verboten - und über die Kollegen des Ost-PEN: Friedrich Wolf ist "Verfasser zahlreicher kommunistischer Dramen, mit denen er sich auch dem Stalinismus zur Verfügung stellt". Bernhard Kellermann ist "begeisterter Freund der Sowjetunion". Stephan Hermlin ist "wahrscheinlich Mitglied der SED". Und Peter Huchel ist "Chefredakteur der staatlich finanzierten Zeitschrift Sinn und Form, deren Aufgabe es ist, den intellektuellen Westen zu zersetzen".

Davor galt es zu warnen. Im Sonntag, der damals nicht nur als Wochenzeitung für Politik und Kultur, sondern auch für Unterhaltung firmierte, war über Wilhelm Lehmann nachzulesen, dass er von einem DDR-Kollegen befragt wurde, weshalb er dies alles unterschrieben habe. Antwort des Dichters: "Ich habe unterschrieben. Herr Dr. Borée hat es gewünscht." Borée war - wie auch Hanuschek heute belegt - der Verfasser der PEN-Broschüre.

Auch Negerstaaten

1957 hatte der westdeutsche Außenminister Heinrich von Brentano die Bewohner des Landes unterrichtet, dass die Lyrik von Bert Brecht, dem kurz zuvor verstorbenen Präsidenten des Ost-PEN, zu vergleichen sei mit der von Horst Wessel, dem Dichter der vierten Strophe des Deutschlandliedes. Das ahnungslose PEN-Mitglied Harry Buckwitz wollte kurz zuvor zur Jahresversammlung des West-PEN seinen Kollegen die Aufführung eines Brecht-Stückes bieten. Doch die einflussreichen PEN-Mitglieder Joseph Witsch, Eugen Gürster und Hermann Kesten protestierten. Kesten tat dem Generalsekretär Schmiele kund, Brecht habe als der "rabiateste und devoteste Propagandist einer dehumanisierten Diktatur" gedient und sein "beliebtestes Thema" sei die "Unterdrückung des freien moralischen Willens" gewesen. Buckwitz bekehrte sich zu dem freien moralischen Willen, die Mutter Courage abzusetzen und die PEN-Mitglieder mit dem Schinderhannes von Zuckmayer zu erfreuen.

Mit der Zeit hatten sie sich ihren PEN fein eingerichtet, sauber von linkem Unrat. Walter Schmiele, der 1998 verstorbene langjährige Generalsekretär des West-PEN, empörte sich 1962 über den Ost-PEN, weil dessen Präsidialmitglieder die Errichtung der Mauer zu rechtfertigen versucht hätten. Im Internationalen PEN sei eine Diskussion darüber unterblieben. Und Schmiele wusste auch warum. Viel hatte sich verändert, seit der PEN 1921 als kleiner feiner Club in England gegründet wurde. Damals waren "ausschließlich Kulturnationen mit alten Literaturen im PEN vertreten", erinnerte sich Schmiele. "Heute schicken auch Negerstaaten Delegierte in den PEN, deren Großväter sich noch mit der Trommel verständigten."

Er schrieb das am 3. Mai 1962 im Tagesspiegel, der das Motto führt: "Rerum Cognoscere Causas" (Die Gründe der Dinge erkennen). Als der Mann vom West-PEN so den Dingen auf den Grund gegangen war, regte sich die Sekretärin des Ost-PEN Ingeburg Kretzschmar auf und schrieb einen Protestbrief. Schmiele sehr gelassen: er habe "keine Lust, auf diese totalitären Sophismen einzugehen".

Eine IM im Vorzimmer

1960 wollte das "Deutsche Pen-Zentrum Ost und West" - der Ost-PEN trug von 1954 bis 1967 diesen Namen wegen seiner westdeutschen Mitglieder - die Jahrestagung in Hamburg abhalten. Sie wurde von der Polizei verhindert. Der liberale CDU-Abgeordnete und Zeit-Verleger Gerd Bucerius lud darauf den so verbotenen Ost-West-PEN zu einer Tagung in seinem Redaktionsgebäude ein. Der ebenfalls eingeladene West-PEN solidarisierte sich mit der Polizei, indem er eine Teilnahme verweigerte. Der Halbnazi Thedieck, Staatssekretär im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, protestierte gegen die Finanzierung der Tagung durch Bucerius.

Aus seinem Ministerium, das seinerseits eher nichtliterarische Untergrundorganisationen finanzierte, war für den West-PEN schon öfter mal Geld geflossen. Ja, das Ministerium führte es auf seine Initiative zurück, "dass sich die Geister reinlich schieden und eine westliche Sektion des PEN ihre Anerkennung im internationalen PEN-Club gefunden hat". Der gesamtdeutsche Minister Jakob Kaiser selbst hatte mit dem Generalsekretär Edschmid und dem tüchtigen Broschürenverfasser Borée Gespräche geführt, um "eine Sowjetisierung des PEN-Clubs aufzuhalten".

Was in Hanuscheks Buch, das vieles zurecht rückt und manches klar stellt, etwas unterbelichtet bleibt, ist die enge Zusammenarbeit des West-PEN mit dem vom CIA gelenkten und finanzierten Kongreß für kulturelle Freiheit - Frances Stonor Saunders sorgfältige und vielbeachtete Forschungsarbeit Wer die Zeche zahlt ... Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg von 1999 (deutsch bei Siedler 2001) scheint er gar nicht zu Kenntnis genommen zu haben. Nur einmal, am Rande verweist er in einem Satz darauf, dass der Fund for Intellectual Freedom 1952 vom Generalsekretär und späteren Ehrenpräsidenten Kasimir Edschmid für den PEN verwaltet wurde. Dass es dem CIA gelungen war, eine IM im Vorzimmer des auch bei Hanuschek viel erwähnten internationalen PEN-Präsidenten David Carver zu platzieren, ist nur im Saunders-Buch nachzulesen.


Anfang der neunziger Jahre bekam ich eine Mitteilung, dass ich in den PEN gewählt sei. Ich vergaß es, aber 1995, als in Mainz mit der Wahl von Ingrid Bachér zur West-PEN-Präsidentin die Ausgrenzungspolitik gegen den Ost-PEN begann, gegen den "Verein der Täter" und gegen die "Kryptomarxisten und Sympathisanten des realen Sozialismus" im West-PEN, da dachte ich mir: mit der wird das lustig, und trat ein. Gleich als Doppelmitglied - wie rund 80 Mitglieder des West-PEN, die sich gern mit diesen Schwestern und Brüdern im Osten vereinigen wollten.

1996 trat Bachér zurück, weil ihr das Ergebnis einer Abstimmung missfiel. Unter dem geduldigen Karl Otto Conrady begann der mühselige Vereinigungsprozess. Christoph Hein wurde 1998 für ein Jahr der Vereinigungspräsident. Inzwischen schreitet die Sozialdemokratisierung des Gesamt-PEN voran unter dem liebenswürdigen Johanno Strasser (bis 2002 Generalsekretär, seither Präsident), der knallhart reagiert, wenn die Interessen seiner Partei - er hat lebenslänglich mit dem Verfassen von Zwischenberichten aus der SPD-Grundwertekommission - tangiert werden.

Als 1999 die rot-grüne Regierung erstmals seit Hitler wieder Krieg führte - zum dritten Mal gegen den Erzfeind Serbien - da brachten Christoph Hein und ich mit konkreten Beispielen einen Antrag ein gegen die Desinformationspolitik, mit der die Bundesregierung, besonders Strassers Grundwerte-Freund Scharping, Deutschland in den Krieg getrieben hatte. So schnell wie der Generalsekretär das Ding unter Berufung auf Scharpings Dementis von der Tagesordnung herunterholte, das macht ihm keiner nach.

Der ungeliebte Hans Mayer aber, seit 1996 Ehrenpräsident im Ost- und dann bis zu seinem Tod im Gesamt-PEN, hatte vielleicht doch nicht so Unrecht, als er 1990 in seinem Brief an den Kollegen Jens die Alternative abschätzte: die Mitglieder der beiden Zentren zusammenzuschweißen - "ein grausiger Gedanke" - oder das parallele Bestehen zweier Zentren zu akzeptieren.

Weg mit den grausigen Gedanken, ich werde gern wieder Doppelmitglied: Im Westen belästige ich meinen Präsidenten und im Osten fühle ich mich unter vorwiegend kriegsabgeneigten Menschen wohl.

(*) Niemeyer Verlag, Tübingen, 592 Seiten, 88 Euro


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