Wattestäbchen und Rasenmäher

Hamburger Speichelleben Was Innensenator Schill gegen eine sinkende Aufklärungsquote seiner Polizei und mit dem Gras des Nachbarn tut

Ich bin ein Bürger Niedersachsens, etwas sturmfest und manchmal erdverwachsen, aber Hamburgs Innensenator Ronald Barnabas Schill, dessen Machtbereich eigentlich erst 300 Meter hinter meinem Häuschen beginnt, ist - wie ich der Berliner Zeitung entnehmen darf - scharf auf meinen Speichel. Als die Deutsche Mark auf den Euro umgestellt wurde, geschah es, dass ich zweimal - Wiederholungstäter! - schwarz mit der Hamburger S-Bahn ins Zentrum gefahren bin. Der Automat wollte nicht wechseln. Somit besteht die Gefahr, dass ich jemanden - mutmaßlich eine Frau, aber da legt Schill sich nicht fest - vergewaltige oder ermorde.

Das kommt so: In Hamburg ist trotz über eineinhalbjähriger Tätigkeit des einstigen Amtsrichters Gnadenlos als hanseatischer Innensenator die Aufklärungsquote für Verbrechen gesunken, während die Zahl der Polizisten um 500 erhöht wurde, bis zum Jahresende sollen es sogar 1.000 mehr sein. Senator Schill, der zweite, aber eigentlich regierende Bürgermeister, erklärt die sinkende Verbrechensaufklärung damit, dass in Hamburg - ganz im Gegensatz zum südlichen Stoiberland - die Polizei keine "verdachtsunabhängigen Kontrollen" von Passanten vornehmen dürfe. "In Hamburg muss die Polizei immer einen Vorwand finden, um jemanden zu kontrollieren", klagt er. Am besten man prüft die Spucke aller, die sich verdächtig machen. Schill hat zwar schon, wie er offen erklärt, eine "Gen-Datei über 6.200 Einträge mit deutlich steigender Tendenz". Und er sieht keinerlei Grenzen für hanseatische Speichelproben: "Man muss nur über ein Wattestäbchen lecken. Das heißt, es kann bei jedem Straftäter angewendet werden."

"Auch bei Ladendieben oder Schwarzfahrern?", fragte da die hauptstädtische Zeitung. Die Antwort kommt wie aus jener Pistole geschossen, die der Senator immer gern bei sich trägt: "Die meisten Straftäter, die in Wohnungen einbrechen, jemanden vergewaltigen oder ermorden, sind schon vorher in Erscheinung getreten. Auf die Art und Weise hätte man die Möglichkeit, sie zu identifizieren."

Zwar hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Joachim Jacob sofort gemahnt, die DNA-Analyse des Speichels dürfe "nicht zum Routinewerkzeug im kriminalistischen Alltag der Polizei werden", und schon gar nicht, sagte Jacob, bei jedem kleineren Delikt wie Schwarzfahren oder Ladendiebstahl. Doch der Datenschutzbeauftragte verlässt bald sein Amt, der Hamburger Innensenator bleibt und muss sich wegen der sinkenden Aufklärung von Hamburger Straftaten jetzt auch für meine Schwarzfahrerspucke interessieren.

Ein hochrangiger Speichel allerdings vermochte bisher das kriminalistische Interesse des Senators nicht zu erregen. Der seines Staatsrats Walter Wellinghausen, der übrigens früher auch sein Strafverteidiger war in den gegen den wütenden Amtsrichter Gnadenlos anhängigen Gerichtsverfahren. Wellinghausen wird seit Wochen beschuldigt, unzulässige Nebenverdienste aus seiner Anwaltskanzlei bezogen zu haben, und jetzt liegen dem Hamburger Abendblatt Dokumente dafür vor, dass Wellinghausen nebenamtlich auch noch im Vorstand einer Münchner Aktiengesellschaft tätig gewesen sei.

Doch Speichel her, Speichel hin, zu seinem Staatsrat hat der Innensenator "volles Vertrauen", dass er trotz anders lautender Dokumente seine verbotene Tätigkeit nicht weiter ausgeübt habe. Und wenn schon: "Ich mähe zuweilen den Rasen meines Nachbarn und lasse mir das auch bezahlen", erklärte Schill der Welt am Sonntag. Sein Lohn: Bier, eine Dose Bier. Gut zum Einspeicheln. Wellinghausen dagegen bleibt trocken: Bis Juni dieses Jahres bezog er über sein Staatsratsgehalt von mehr als 9.000 Euro hinaus ein monatliches Pauschalhonorar aus Tätigkeiten seiner alten Rechtsanwaltskanzlei von 4.600 Euro, ungeachtet etwaiger Bezüge aus seiner Münchner Vorstandstätigkeit. Ohne Bier ist da wohl eine Speichelprobe nicht drin.

Ole von Beust aber - der nominelle Bürgermeister der Hansestadt - musste sich jetzt auch noch von dem Verdacht einer Insubordination gegen seinen Innensenator reinigen. Seine Senatskanzlei ließ dementieren, dass sie disziplinarische Vorermittlungen gegen Wellinghausen eingeleitet habe, weil der als Staatsrat für einen Polizeibeamten eintrat, den er zuvor als Rechtsanwalt vertreten hatte - es ging um die Misshandlung eines Journalisten.

Weil dabei aus Akten der Innenbehörde zitiert worden sei, stellte Schill einen Strafantrag wegen "Geheimnisverrats" gegen Unbekannt. Jetzt müssen wohl alle Beamtinnen und Beamten der Innenbehörde ihre Spucke beim Chef abgeben. Am Ende muss dann auch noch Ole von Beust über das Wattestäbchen lecken.

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