"Wir müssen als Christdemokraten zeigen, was unsere Gesellschaft leiten soll", erklärte Christian Wagner, Fraktionsvorsitzender der hessischen CDU, jüngst bei der Präsentation einer CDU-Vortragsreihe unter dem Titel Was uns leitet - Eckpfeiler einer bürgerlichen Kultur. Ereignisse wie die Begeisterung um den deutschen Papst oder das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer während der Fußball-WM hätten gezeigt, dass es eine Rückbesinnung auf die bürgerliche Kultur gebe, hieß es in der Ankündigung. Um diesen Werten mehr Geltung zu verschaffen, hatte Wagner als ersten den sehr bekannten Historiker Arnulf ("Bürger auf die Barrikaden!") Baring eingeladen, der schon einmal Auschwitz als einen "historischen Fehler" betrachtete und jetzt vor der CDU-Fraktion in Wiesbaden hinzu fügte: Die Einschätzung, dass die Gräueltaten an Juden als Verbrechen einzigartig und unvergleichbar seien, "scheint mir schon eine Übertreibung zu sein". Schließlich sei die NS-Diktatur nur eine "beklagenswerte Entgleisung" gewesen, und außerdem müsse man den Ausdruck "Integration" durch das - ja, zugegeben, nationalsozialistische Wort - "Eindeutschung" ersetzen.
Es gab Proteste von Gegnern solcher bürgerlicher Leitkultur. "Wer den Holocaust als bedauernswerte Entgleisung verharmlost und von Migranten Eindeutschung statt Integration fordert, stellt sich selbst ins Abseits", glaubte Renate Künast von den Grünen und verlangte, Kanzlerin Merkel müsse sich von Baring und seinen Thesen "eindeutig distanzieren".
Doch CDU-Fraktionschef Wagner warf darauf allen Kritikern Barings ein "ungeklärtes Verhältnis zum Vaterland" vor, und die Kanzlerin saß am vergangenen Montag zusammen mit Baring in der ersten Reihe auf einer Veranstaltung der Unions-Bundestagsfraktion zum Thema "60 Jahre Vertreibung". Nicht Merkel, sondern Baring distanzierte sich reichlich eindeutig. Ihm ist der Bund der Vertriebenen nicht extremistisch genug: "Die deutschen Opfer kommen nicht genug vor", tadelte er dessen Ausstellung Erzwungene Wege. Und die geforderte europäische Initiative lehnte er auch ab. Zusammen mit Polen und Tschechen werde man nie ein "Zentrum gegen Vertreibungen" bekommen.
Aber Baring ist nicht eigentlich ein Revanchist, er ist mehr. Er konnte sich schon 1991 durchaus vorstellen, dass "die Polen im nächsten Jahrzehnt von uns die Stationierung von Truppen erbitten werden" - schließlich ist die nunmehrige Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach selbst eine alte Stationierungstochter.
Arnulf Baring hatte 1991 einen vaterländischen Katechismus Deutschland, was nun? verfasst, der vom "Neuen Denken der Deutschen" kündete - ein patriotisches Programm für Deutschland und den Rest der Welt, in dem manches zunächst nur, wie er sagte, "verhüllt, beiläufig, verschwommen" formuliert werden konnte, aber doch deutlich genug wurde.
Überall im Osten nahm Baring wahr, dass die Ungarn, Slowaken, Tschechen und Polen vom neuen Deutschland die "Regelung ihrer Angelegenheiten" erwarten. Viel schlimmer als jeder neue Einmarsch deutscher Truppen wäre für die Polen, so ergänzte Baring damals in der Welt, "dass die Deutschen nämlich gar nicht kommen und ihr Scheckbuch stecken lassen". Wir wären aber "schlecht beraten, wenn wir in ein so hoffnungsloses Land wie Polen mit seiner negativen Arbeitsmoral, seinen unguten Standortbedingungen und politischen Ressentiments investierten".
Noch schlimmer als das Problem mit den richtigen Polen erschien ihm der Ärger mit den Ostdeutschen. Baring hatte sich klar gemacht: "In der alten DDR herrschte im Grunde, wie man es früher formuliert hätte, polnische Wirtschaft." Ja, aus den "Menschen dort" seien weithin "deutsch sprechende Polen" geworden.
Baring weiß, dass sich "in den Köpfen überhaupt nichts tat". Folge: "Die Universitäten waren weitgehend keine Universitäten, die Schulen keine Schulen" - die Leute waren "unfähig zur Ausübung ihrer Berufe". Aber sagen durfte man das alles nicht. Immer wieder gab es Leute in den Gewerkschaften und den Kirchengemeinden, die ihm erklärten: "Wir können doch nicht Hunderttausenden von Leuten sagen, sie seien nichts wert."
Baring hält es für "Schönfärberei", wenn man verschweigt, dass die Ostdeutschen nichts taugen. Da ist nichts zu retten, die Leute drüben sind "verzwergt", sie sind "verhunzt". Baring über das minderwertige ostdeutsche Menschenmaterial: "Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal: Sein Wissen ist auf weite Strecken unbrauchbar." Den politisch und charakterlich Belasteten könne man ruhig ihre Sünden vergeben, es nützt nichts: "Denn viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht weiter verwendbar".
Darum ist die frühere DDR "weithin ein kopfloses Land". Ganz anders Hitlers Staat und seine Universitäten. Denn bis zum Kriegsbeginn 1939 "waren die deutschen Universitäten durchaus noch leistungsfähige Gebilde". Aber alle gutgemeinten Alarmrufe halfen nicht, die fürchterliche "Gefahr der Ver-Ostung" brach über Baring herein. Und die "kulturelle Verarmung" rüttelte an den Eckpfeilern bürgerlicher Leitkultur - entsetzlich, wie viel "Primitivität aus der näheren und weiteren Umgebung jetzt nach West-Berlin hineinschwappt".
Dazu diese Frechheit des Ostens, diese "kompensatorische Arroganz des unterlegenen Schwächeren". Sie lieben uns nicht. Diese "Ressentiments" und dann auch noch der sächsische Dialekt, "dieses Idiom des deutschen Sozialismus" und das Gerede, dass man "zu Honeckers Zeiten doch besser dran" gewesen sei. - Bitte sehr, könnt ihr haben, Baring platzte schon 1991 die Geduld: "Wenn vielen von euch das alles so wenig gefällt, wenn ihr weder zu arbeiten noch etwas dazuzulernen bereit seid, sondern nur Forderungen stellt, schlagen wir euch vor, wir setzen euch raus. Wir ändern die Verfassung, ihr werdet frei und könnt euren Kram künftig alleine machen!"
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