Wer sich nicht ändert, bleibt sich treu

Medientagebuch Protokoll einer Erregung. Arnulf Baring sagt´s im Fernsehen klipp und klar: "Minderwertig!"

Keiner merkte, dass Kerstin Kaiser, die charmante Fraktionsvorsitzende der Linken im Brandenburger Landtag, die Handgranate in ihre Finger nahm und abzog: "Im Übrigen haben Sie, Herr Baring, wie ich weiß, in Ihrem Leben Ihre politischen Positionen geändert."

Arnulf Baring explodierte: "Das verbitte ich mir von Ihnen! Wie kommen Sie dazu!"

Eine Ungeheuerlichkeit, ihm, dem emeritierten Geschichtsprofessor der Freien Universität Berlin etwas Derartiges nachzusagen - geschehen: vergangene Woche in der RBB-Talkshow Klipp und Klar. Thema: "Mit denen kann man nicht! Sozialisten nicht regierungsfähig?"

Baring hat unbeirrt seine Positionen aufrechterhalten. Die Redaktion hatte doch ausdrücklich das Buch genannt, in dem er diese klar und deutlich formuliert: Deutschland, was nun? - die politischen Perspektiven der Bundesrepublik im Wiedervereinigungstaumel, schon lange, 1991, erschienen.

Damals war ihm schon klar, dass man nicht mehr alles über die Ostdeutschen ehrlich sagen darf. Immer wieder gebe es Menschen in den Gewerkschaften und den Kirchengemeinden, die ihm erklärten: "Wir können doch nicht Hunderttausenden von Leuten sagen, sie seien nichts wert." Doch Baring hielt es schon 1991 für "Schönfärberei", wenn man denen verschweigt, dass sie nichts taugen. Da ist nichts zu retten, die Leute drüben sind "verzwergt", sie sind "verhunzt". Baring über das minderwertige ostdeutsche Menschenmaterial: "Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal: Sein Wissen ist auf weite Strecken unbrauchbar." Den politisch und charakterlich Belasteten könne man ruhig ihre Sünden vergeben, es nütze nichts: "denn viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht weiter verwendbar".

Und jetzt wirft ihm so eine wie Kerstin Kaiser vor, er hätte sich doch auch geändert. Sie hat die Frechheit, ihn anzulächeln, was immer er auch sagt, unbeirrt anzulächeln, als sei er eine komische Krawallschachtel, mit der man freundlich und nachsichtig umgehen muss. Das ihm, der doch der Kraftmeier der Nation ist, unentbehrlich für jede anständige Talkshow.

"Wie kommen sie dazu!" schrie er und fand den erlösenden Ausbruch: "Sie haben als Studentin in Leningrad ihre Kommilitonen bespitzelt. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Sie haben sie bespitzelt und verraten. Und das ist ein moralischer Makel, der ihnen anhängt auch heute noch. Wenn das frühere Nationalsozialisten machen, dann wird Ihnen das noch nach 50 Jahren vorgeworfen, dass sie sich daneben benommen haben. Sie haben moralisch versagt. Sie wollen eine Führungsposition einnehmen!"

Er schnappte nach Luft. Die Atempause wollen wir nutzen, daran zu erinnern: Ja, Kerstin Kaiser hat in den siebziger Jahren als Studentin in Leningrad Mitstudierende im Auftrag der Stasi bespitzelt. Aber das wurde ihr schnell zu dumm, sie offenbarte sich - damals schon - ihren Opfern und wurde so für die Staatssicherheit wertlos, minderwertig könnte man sagen. Weit im Westen, in Bremen gibt es übrigens heute einen Innen- und Verfassungssenator, der damals auch heimlich und für Geld als Mitglied des Hamburger AStA seine Kommilitonen bespitzelte. Er hat sich nie offenbart, er verklagte vielmehr wegen "Geheimnisverrats" den Verfassungsschutzpräsidenten Hans Josef Horchem, als dieser ihn in seinen Memoiren outete.

Hier in der Talkshow sucht Baring noch nach dem Wort, das Kerstin Kaiser für immer erledigt. Er hat es schnell und schreit es ihr ins lächelnde Gesicht: "Minderwertig!" Und noch einmal, sie lächelt immer noch: "Minderwertig!"

Schließlich begab sich Arnulf Baring nach der Talkshow seiner Wege und schlief - mutmaßlich - den Schlaf des Gerechten.

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