Seit er da drin ist, im Kanzleramt, muss Gerhard Schröder schon öfter einmal eine Neugier überfallen haben, wie man das macht: das Regieren. Und wenn da jetzt in unmittelbarer Nachbarschaft eine Schule des Regierens aufmacht, kommt er sofort - bis zur nächsten Wahl will er endlich verstanden haben, was von ihm erwartet wird. Die Hertie School of Governance hat sich gerade im - Siegesgesten müssen sein - ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR eingerichtet, und Gerhard Schröder durfte die erste Rede halten. Die Süddeutsche Zeitung behauptete, noch bevor er seine Ausführungen begann: "Der Bundeskanzler kann, das steht außer Frage, regieren."
Dort, wo künftig jeder anstellige Student seinen "Master of Public Policy", seinen Meister des Gemeinwesens, machen kann, hat einer schon ausgelernt, der Ex-König von Sachsen, Kurt Biedenkopf, der in seiner höchsteigenen Person die Überführung von Staatsgeschenken zu Privateigentum aufs Trefflichste vereint. Er führt das Kuratorium der Hertie School of Governance an, für sich allein schon ein Kompetenzteam für korrektes Regieren.
Schröder, Biedenkopf und all die anderen Redner waren das "erste Highlight an der neu gegründeten Hertie School of Governance" in Berlin, wie der Projektleiter der Stiftung Dr. Bernhard Lorentz vorher allen Interessenten mitgeteilt hatte. Dass nunmehr der Großkonzern den Studenten beibringt, wie man zu regieren hat, das hat ohne Zweifel Zukunft. So trug die innovative Eröffnungstagung den Titel: "Die Rolle des Staates im 21. Jahrhundert".
Der Mann von der Hertie-Stiftung versteht allerdings auch etwas von der Rolle des Staates im 20. Jahrhundert, von seiner Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, besonders an einem Ort: Er weiß, welche "Anziehungskraft" von Auschwitz ausging. Projektleiter Lorentz hat 2003 "im Zusammenhang der Diskussionen und Prozesse um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter, mit denen auch die damalige Degussa-Hüls AG konfrontiert war", eine Studie geschrieben. Titel: Chemie und Politik - Die Geschichte der Chemischen Werke Hüls, erschienen im renommierten C.H. Beck Verlag. Die Chemischen Werke Hüls sind heute in der Degussa aufgegangen, die einst das aus den Vernichtungslagern gelieferte Zahngold der Juden zu verkaufsfähigen Goldbarren einschmolz und die heute die Imprägnierung des Holocaust-Mahnmals gegen Schmierereien von Neonazis besorgt.
Gegründet wurde Hüls 1941 als Tochtergesellschaft der IG Farben. Sie errichtete in Auschwitz das Buna-Werk IV der IG. Es handelte sich dabei um eine hervorragende Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft. Bei der Errichtung des Werkes kamen damals schon - wie Hertie-Stiftungsmann Lorentz betont - günstige "Ost-Sonderabschreibungen (...) zum Tragen" (S. 72). Der Staat lieferte auch die Arbeitskräfte, die er nach Verbrauch ihrer Arbeitskraft zurücknahm und mit dem Degussa-Produkt Zyklon B vergaste - etwa 30.000 Zwangsarbeiter wurden so vernichtet.
Darauf allerdings geht der nunmehrige Geschäftsführer und Kaufmännische Direktor der Hertie School of Governance kaum ein, er behandelt vielmehr in aller Ausführlichkeit den hervorragenden Eindruck, den Auschwitz auf Zeitgenossen in den Chemischen Werken Hüls machte. Lorentz auf Seite 321: "Schließlich mussten sich die Hülser auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass das neue Synthesekautschukwerk Buna IV in Auschwitz aufgrund qualitativ besser ausgestatteter Lager offensichtlich eine hohe Anziehungskraft auf Arbeitskräfte in Hüls besaß." Er belegt das im Jahr 2003 mit einem Brief aus dem Jahr 1943, in dem die Rede ist von der "werbenden Wirkung von Auschwitz", dass dort "die Verpflegung besser sein kann" als in den "Lagereinrichtungen" in Hüls, wo es auch nicht schlecht war.
Die Hertie School of Governance, zu deren Geschäftsführer Dr. Bernhard Lorentz ernannt wurde, ist Teil der Hertie-Stiftung. Und diese gemeinnützige und somit steuerbegünstigte Einrichtung mit einem Vermögen von 750 Millionen Euro gründet - wie Stiftungschef Dr. Michael Endres in seinem Willkommensgruß für den Kanzler und die Gäste betonte - auf dem "Lebenswerk" ihres Gründers, des 1972 verstorbenen Georg Karg, des Eigentümers der Hertie Warenhaus und Kaufhaus GmbH.
Lebenswerk? Gewiss, so muss man das nennen. Unter den Nazis arisierte Karg die Warenhäuser von Hermann Tietz. Sein Lebenswerk setzte sich - so ist das nun mal - nach 1945 fort. Er fusionierte mit der Warenhauskette Wertheim, die von seinem Kollegen Arthur Lindgens arisiert worden war. Bevor Karg seine Unterschrift unter den Vertrag setzte, schickte er den Wertheim-Arisierer in die USA zu den zwei Wertheim-Erben. Die Neue Zürcher Zeitung dazu: "Lindgens reiste nach New York und erklärte den beiden, der Besitz sei von der Sowjetunion enteignet oder zerstört worden. Für 40.000 Mark luchste er ihnen am 7. November 1951 ihre Anteile ab."
Ein Milliardenvermögen, um das die Erben betrogen worden waren und um das sie seit Jahren prozessieren. In seiner Eröffnungsrede für die letztlich so zustande gekommene Hertie School of Governance freute sich Gerhard Schröder über die Vergrößerung der europäischen Staatengemeinschaft. Das sei eine "unglaubliche historische Chance", die "nicht verpasst werden" dürfe.
Auch der Ort Oswiecim in Polen, dessen deutschen Namen wir nun beruhigt vergessen können, gehört dann wieder zu Europa.
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