Die Analyse widerlege die verbreitete Annahme, der DDR sei es gelungen, die westdeutsche Medienlandschaft zu unterwandern. Das sagte die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler bei der Präsentation der ARD-Studie über die Unterwanderung durch die Stasi im ARD-Hauptstadtstudio. Tatsächlich verfügte die DDR unter den Journalisten und Angestellten der ARD-Sendeanstalten offenbar nur über wenige Informanten.
Das durfte nicht sein. "Wo stecken die Spitzel?", fragte der Rheinische Merkur. Und fand trotz redlichen Bemühens auch nicht viel. Aber dies: Einen Fall von "Verrat" im Herausgeber-Gremium des Freitag, den "Fall des kürzlich verstorbenen, aber bis zuletzt - nimmt man die salbenden Nachrufe als Indikator - wirkungsmächtigen Osterklärers Günter Gaus, von dem man nie genau wusste, ob er nun Ständiger Vertreter der Bundesrepublik in der DDR gewesen war oder zumindest mental und publizistisch der Sendbote der SED im Westen."
Bei solchen Leuten, weiß der Rheinische Merkur, musste Ostberlin "gar nicht eingreifen, zahlen, fälschen oder locken", sie begingen freiwillig den Verrat am eigenen Ethos "zugunsten verschwurbelter deutsch-deutscher Gemeinsamkeiten."
Andere wahren ihr eigenes Ethos: Er war nur - sagt er selbst - "ein schlichter ARD-Korrespondent". Und doch ist er heute stolz wie ein König: "ARD und ZDF haben einen dicken Nagel in den Sarg der DDR geschlagen. Wir haben sie destabilisiert, wir haben sie mit zum Zusammenbruch gebracht", freute sich Lothar Loewe letzte Woche in dem ARD-Zweiteiler Operation Fernsehen.
Wieder mal nach Pullach
Loewe tat noch mehr. Als die DDR erfolgreich eingesargt war, betätigte er sich als Leichenfledderer. Für die ARD übernahm er gemeinsam mit einem Mann vom ZDF die Abwicklung des nach der Wende entstandenen, aber viel zu unabhängigen Deutschlandsenders Kultur, der dann nach seiner Entkernung mit dem RIAS zusammengelegt wurde. Dieser Loewe-Partner beim Vernichten von DS Kultur war der als IM "Althans" geführte Journalist Reinhard Appel. Er wurde nach Aktenlage schon als Redakteur der Stuttgarter Nachrichten vom BND-Pressesonderverbindungsführer E. Böhm, Deckname Elze, betreut, der insgesamt 54 journalistische "Quellen" anleitete.
Der BND-Agentenführer hielt dem IM Althans alias Appel auch die Treue, als er 1973 Intendant des Deutschlandfunks wurde und später beim ZDF Karriere machte als Chefredakteur und Leiter der Fernsehrunde Journalisten fragen - Politiker antworten. Appel konnte allerdings auch schnell und anscheinend selbstständig reagieren. So untersagte er dem ZDF-Politikmagazin Kennzeichen D die Ausstrahlung eines Beitrags über die dubiose "Gesellschaft für Menschenrechte", von dem er durch IM "Loeben" rechtzeitig Wind bekommen hatte. IM Loeben - das war Gerhard Löwenthal von dem rechtsaußen konkurrierenden ZDF-Magazin. Seine Sendung war die Stimme des BND für die Zone.
Eingesetzt hatte 1990 die beiden Hochkommissare Loewe und Appel der Generalgouverneur für das ostdeutsche Medienwesen Rudolf Mühlfenzl. Dieser "Rundfunkbeauftragte für die neuen deutschen Bundesländer" von Gnaden Helmut Kohls hatte sich schon lange als vielgefürchteter Befehlsgewaltiger im Bayerischen Rundfunk seine Anregungen bei regelmäßigen Arbeitsessen mit dem BND-Chef Wessel in Pullach geholt. Mühlfenzl, treulich assistiert von seinen Kommissaren, bereitete dem nach der Wende kritisch und frei aufblühenden Fernsehen und Rundfunk im Osten mit Massenentlassungen ein jähes Ende und vollzog den Anschluss an ARD und ZDF.
Journalisten, die als Inoffizielle Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes arbeiten - gibt es das wirklich? Der Bundesnachrichtendienst war zumindest unter seinem Gründer, Hitlers Spionagegeneral Reinhard Gehlen, eine eher kriminelle Organisation. Als Chef von "Fremde Heere Ost" hatte General Gehlen sowjetische Kriegsgefangene durch Folter zum Sprechen gebracht, nach 1945 brachte er in den Auslandsstationen seines BND viele SS-Leute unter, die wegen ihrer Verbrechen gesucht wurden. Der Nachfolger General Gerhard Wessel, Gehlens Stellvertreter schon vor 1945, erklärte 1974 vor dem Guillaume-Untersuchungsausschuss: "Ich halte es für eine legitime und ehrenvolle Mitarbeit auch von Journalisten, wenn sie dem BND Erkenntnisse vermitteln."
So unterwanderte der BND die Medien nach besten Kräften. Journalisten bekamen Agentennummern, Agentennamen und Agentenführer. Manfred Bissinger veröffentliche 1987 im Stern einen Aufsehen erregenden Artikel "Warum so viele Journalisten für den BND arbeiten". Er hatte - "Mir sind die Augen übergelaufen" - Einblick in eine Liste journalistischer BND-Agenten bekommen. Da er das BND-Dokument nicht im Original besaß, konnte er keine Namen nennen. Dieses Dokument verschaffte sich schließlich der Geheimdienstspezialist Erich Schmidt-Eenboom. 1998 veröffentlichte er schließlich bei Kiepenheuer Witsch sein Buch Undercover - Der BND und die deutschen Journalisten, in dem er Namen bis in die Chefredaktionen angesehener Blätter und Anstalten nennt.
Das Buch wurde wenig beachtet, kaum einer versuchte, juristisch dagegen vorzugehen. Nur Reinhard Appel und Ex-Bild-Chef Peter Boenisch erwirkten eine Einstweilige Verfügung, die Schmidt-Eenboom untersagte, sie "BND-Vertrauensjournalisten" zu nennen. Und Löwenthal ließ die Behauptung verbieten, dass er von der BND-Konkurrenz Verfassungsschutz "waschkorbweise" Akten bekommen habe.
Arbeit für den BND - das ist, zumindest, Ehrensache. "Ich bin da völlig unbefangen", erläuterte der immer mal wieder nach Pullach reisende damalige Zeit-Chefredakteur Theo Sommer dem Buch-Autor. "Wenn einer von denen was wissen will, dann habe ich es ihm gesagt."
Der "Fall Lübke"
Es ging nicht nur um Ehre, es gab auch Geld: der gleich zweifach - als Rattay und als Manzel - angeworbene frühere WDR-Chefredakteur August Hoppe bekam ein monatliches Zusatzsalär vom BND und auch noch einen Betrag für "Unterquellen".
Es gab auch Naturalien, exklusive Informationen für ausgewählte Journalisten. Peter Ferdinand Koch konnte in seinem Buch Der Fund aufgrund einer "umfangreichen Ausarbeitung" des BND aufklären, dass der Flick-Vertraute Otto Ambros "mit einem gefälschten Brief in die Nähe der SS gerückt" wurde. Der Brief, in dem er sich 1941 als IG-Farben-Vorstandsmitglied über die Einschaltung des "wirklich hervorragenden Betriebes des KZ-Lagers zugunsten des Buna-Werkes" in Auschwitz geäußert hatte, habe sich als "Totalfälschung" aus den Fälscherwerkstätten der Stasi herausgestellt. Pech für Koch und Informationsspender BND: Der Brief lag schon im Nürnberger Prozess vor, lange bevor es eine DDR und eine Stasi gab. Und so wurde Koch auch informiert, dass Bundespräsident Heinrich Lübke vom Stern mit "falschen Papieren" aus dem Osten zum KZ-Baumeister gemacht wurde.
Diese BND-Behauptung hält sich bis heute. Vergangene Woche im Deutschlandfunk beschäftigte sich Stefan Wolle vom "Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität", der die ARD-Studie ausgearbeitet hat, mit "Desinformationskampagnen" der Stasi gegen "einzelne Persönlichkeiten" in der Bundesrepublik. Wolle im Interview: "In diesen Zusammenhang gehört auch die Kampagne gegen Heinrich Lübke als KZ-Baumeister". Der "Fall Lübke, der dann als KZ-Baumeister sozusagen in die deutsche Geschichte eingegangen ist", sei das "bekannteste Beispiel" für die Desinformationskampagnen der Stasi. Der Fall sei ein "Werk der Stasi, die da regelrecht Unterschriften gefälscht" habe. Und am Sonntag erklärte im Bericht über die ARD-Studie die Moderatorin der medienkritischen NDR-Sendung Zapp Caren Miosga, die Vorwürfe gegen Lübke seien "alle perfekt gefälscht".
Der Stern, der diese "Stasi-Fälschungen" veröffentlichte, hat inzwischen zahlreiche Prozesse geführt. Noch 2001 musste der Springer-Verlag in einem Vergleichsverfahren mit dem Stern 30.000 Mark an "Mut gegen rechts" zahlen und sich verpflichten, nie wieder zu behaupten, die Lübke-Dokumente im Stern seien Fälschungen. Bis heute hat das Magazin alle Prozesse in Sachen Lübke gewonnen: gegen focus, gegen den Bechtle-Verlag, den MDR und ebenso auch gegen den bewährten Alt-Nazi Kurt Ziesel.
Es ist übrigens eine Uraltgeschichte: am 12. Oktober 1984 schrieb der Welt-Redakteur und BND-Konfident "Locke" mit seinem Klarnamen Enno von Löwenstern unter der Befehlszeile Den "Stern" durchleuchten: das Magazin habe aufgrund "gefälschter Papiere" des Ostberliner Staatssicherheitsdienstes Heinrich Lübke als KZ-Baumeister verleumdet.
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