Die Wehrmacht steht noch immer im Feuer." So lamentieren gerade die allerneuesten Vierteljahrshefte des Münchner Instituts für Zeitgeschichte. Deutschlands Neonazis marschierten am Samstag in Hamburg gegen die Kulturfabrik Kampnagel, der letzten Station der Wehrmachtsausstellung. Motto: "Unser Großvater war kein Verbrecher". Die Gegendemonstranten mit der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejerano trafen die Wasserwerfer des Ex-Schill-Senats. Zwei Tage später aber - Montagabend im Reemtsma-Institut am programmatischen Hamburger Mittelweg - war alles wieder gut: die Freunde der Bundeswehr trafen sich dort zum Ausspracheabend.
Vergangene Woche schon auf der Pressekonferenz suchte Jan Philipp Reemtsma zum wiederholten Male die Gemüter zu beruhigen. Eigentlich war alles nicht so böse gemeint. Eigentlich wollte sein Institut für Sozialforschung nur ein umfangreiches Forschungsprojekt "Angesicht des Jahrhunderts. Gewalt und Destruktivität im Zivilisationsprozess" verwirklichen. Das Projekt sollte den Schlüssel dazu finden, was im 20. Jahrhundert "falsch gelaufen" war, und entdeckte Auschwitz, den Gulag und Hiroshima als "exemplarische Trias" der als "Rätsel" bezeichneten "Makroverbrechen", denen nun eine "Makrotheorie" beikommen sollte. Das lief mal wieder auf die Totalitarismustheorie hinaus mit dem Fazit: Wir sind alle Opfer.
Doch als Nebenprodukt dieser langwierigen Untersuchungen der "Chiffren der Gewalt im 20. Jahrhundert" war zunächst eine institutsinterne Stellwand entstanden, die sich zur öffentlichen Ausstellung auswuchs: "Verbrechen der Wehrmacht". Verdienst dieses Ausstellung war es, dass die noch immer in der westdeutschen Öffentlichkeit herrschende Legende von der "Sauberen Wehrmacht" gekippt wurde. Das war so nicht beabsichtigt. Reemtsma bescheiden zur Welt: "Das Schicksal dieser Ausstellung ist ihre öffentliche Aneignung. Die hat dazu geführt, dass vieles, was Wirkung der Ausstellung ist, uns als Intention angerechnet wird."
1999, mit dem letzten Krieg der Deutschen im 20. Jahrhundert, kam die Wende. Reemtsmas Hamburger Institut am Mittelweg hatte sich schnell als Think Tank der rot-grünen Koalition entwickelt. Mit allen Konsequenzen.
Bei der Kölner Ausstellungseröffnung im April 1999 erklärte die SPD-Bürgermeisterin: "Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um Tausende braver Soldaten und Offiziere der ehemaligen Wehrmacht, die von einer verantwortungslosen Regierung unter einem verbrecherischen Diktator getäuscht wurden, als man ihnen sagte, sie müssten ihr Vaterland verteidigen, und die dann zu Werkzeugen eines Angriffskrieges wurden." Es gab einen - kleinen - Skandal, als die Bürgermeisterin sich dann für den damals gerade begonnenen Krieg gegen Jugoslawien einsetzte.
Ausstellungsleiter Hannes Heer versicherte später auf Befragen: "Ich bin ein Befürworter der Intervention gewesen. Ich habe das auch geäußert im Rahmen der Öffnung der Ausstellung, und ich bin als Privatmann zufällig derselben Meinung wie die Bürgermeisterin."
Die führenden Sozialingenieure des Mittelweginstituts wurden sehr schnell mit ihrer Wissenschaft bekennende Privatleute. Im Frühjahr 1999, einen Monat nach Kriegsbeginn, als längst auch deutsche Flugzeuge sich an der ersten Bombardierung Belgrads seit 1941 beteiligten, rief Wolfgang Kraushaar zur bedingungslosen Parteinahme auf: Wer glaube, er könne sich hier neutral, friedensstiftend oder diplomatisch verhalten, der mache sich zum "Komplizen eines Massenmordregimes".
Heinz Bude, Leiter des Institutsbereichs "Politik und Gesellschaft der alten und neuen Bundesrepublik", verkündete im Juni 1999, sofort nach dem Kosovo-Krieg, den "Stilwechsel in der Performanz" der "neuen Politikergeneration". Bilanz: Wer sich für den Krieg einsetzte, hat gewonnen. Am meisten Rudolf Scharping, der "als Verteidigungsminister wohl den größten Glaubwürdigkeitsgewinn zu verbuchen" habe. Man nehme ihm ab, dass er "unsere Soldaten" nicht leichtfertig aufs Spiel setze: "Scharping trägt an der Last des Ältesten, der an Stelle des Vaters Sorge für seine Geschwister zu tragen hat. Das ist keine freudig gewählte Aufgabe, sondern eine Obligation natürlicher Vergemeinschaftung. Als psychodynamische Führungsfigur verkörpert Scharping die Transformation der großen patriarchalischen Brüderlichkeit in eine kleine, aber unnachgiebige Geschwisterlichkeit."
Und Gerhard Schröder schließlich sei "mit der Entscheidung für das erste militärische Engagement der Deutschen außerhalb des Landes nach 1945" das "Kellerkind", das "sich jetzt im Ernstfall bewähren" konnte.
Verständlich, dass am Ende des Ernstfall-Jahres 1999 die Wehrmachtsausstellung erst einmal geschlossen wurde. Offizieller Anlass waren einige wenige Fehler bei den Foto-Unterschriften, die in der Tat nicht hätten passieren dürfen. Doch war berechtigte Kritik bis zum 99er Krieg unbeachtet geblieben.
Als sie zwei Jahre später - "völlig neu konzipiert" - wieder eröffnet wurde, war mit den wenigen Fehlern vieles verschwunden, was Anstoß erregt hatte: das Eiserne Kreuz etwa, um das Fotos mit Verbrechen der Wehrmacht gruppiert waren - die Einsatzflugzeuge der Bundeswehr über Belgrad hatten auch wieder dieses Symbol getragen.
1999, drei Tage bevor die erste Ausstellung abgebrochen wurde, hielt Klaus Naumann, der Koordinator des Institutsprojekts "Angesicht des Jahrhunderts", einen Vortrag über die Kontinuität der Militäreliten, der keinerlei Zweifel ließ, wie die Wehrmachtsgenerale die Bundeswehr aufbauten. Naumann aber zog ein beruhigendes Fazit: Es sei doch alles gut gegangen, und die Bundeswehr habe heute eine demokratische Wehrverfassung.
Jetzt, vergangenen Montag, sprach er wieder vor kleinem Kreis - einer informellen Militärzelle im Institut - über "Prägungen des Offizierkorps der Bundeswehr". Man sprach über die "Osterfahrung" der Leute, die einst die Bundeswehr aufbauten - ohne auf Einzeleinheiten einzugehen. Über den ersten Generalinspekteur Adolf Heusinger und den mächtigen Heusinger-Kreis. Dass er als Chef der Operationsabteilung im Führerhauptquartier für die in der Ausstellung dokumentierten Verbrechen der Wehrmacht im Osten entscheidend mitverantwortlich war, blieb unerwähnt.
Mit Peter Strucks neuem Auftrag ("Mögliches Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt") ist Kritik an der alten Wehrmacht nicht mehr zeitgemäß. Reemtsma hat alle Angebote ausgeschlagen, die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" an festem Ort weiterbestehen zu lassen. Ende März wird sie eingemottet. Im Keller des Deutschen Historischen Museums.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.