Halloween in der Höhle des Bergkönigs

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Als liberale Ironikerin seh ich das Halloween-Treiben eher gelassen, es gibt ja Dümmlicheres und Gefährlicheres, mit dem die ‘Kulturindustrie’ auf Taschengeld und Denke unserer Kleinen zugreift. Eigentlich sollte man den Klamauk sogar unterstützen, da doch der Bundesvorsitzende der Jungen Union (JU), Philipp Mißfelder, im Feiern von Halloween einen Angriff auf christliche Werte und Traditionen sieht und in der “Bild am Sonntag” schreibt: “Wir sind in der Pflicht, christliche Traditionen gegen den Zeitgeist zu verteidigen, mag er noch so locker daherkommen.”
Ah wo, was heißt da Zeitgeist, beleuchtete Kürbis- oder Rübengesichter in den Fenstern oder als Stangenlaternen sind ja keine Halloween-Erfindung, sondern waren schon in vorchristlicher Zeit sichtbarer Ausdruck für die Dorfnachbarn und die Feldgötter, dass man was zum Ernten gehabt hatte; und Kinder liefen damit wohl auch schon seit Rübengedenken herum, weil Spaß am Verkleiden und Gruseln zu den kulturanthropologischen Konstanten gehört, ohne die der künstlerische Ausdruck in Theater und Dichtung gar nicht denkbar wäre. Und schon lang vor der Kommerzialisierung des Halloween gehörte die Bettelei der (ärmeren) Kinder an den (reicheren) Häusern zum “Riabagoaschtern“, wie der Brauch in einigen Orten meiner jetzigen Heimat an der oberbairisch-schwäbischen Lechgrenze genannt wird.

Ein wenig skurril erscheint es mir aber, dass heutzutage manche Kinder aus offenbar besonders pädagogisch ambitionierten Elternhäusern an der Haustür nicht einfach ein paar Süssigkeiten oder Nüsse einfordern, sondern mafiosimäßig in der Gruppe auf gut Amerikanisch “trick or treat” skandieren, als würden sie dir bei Zahlungsverweigerung nächtens die Bude anzünden wollen. Da ich nun aber auch gelegentlich pädagogisch ambitioniert bin, hab ich mich letztes Jahr drauf vorbereitet und eine kleine, zu der Angelegenheit passende Gegenleistung verlangt, als sie mich und meine höchst attraktive Nachbarin rausgeklingelt hatten: in der Linken also eine große Tüte feinster Leckerein hochgehalten, in der Rechten aber ein Packerl Zettel, auf denen ein kleines Gedichterl stand, das erst nach auswendigem Gemeinschafts-Vortrag die Übergabe der Wundertüte nach sich ziehen würde.
Nach kurzem Murren zogen sich die Horrorzwerge mit den Zetteln zurück, doch schon nach etwa zehn Minuten - Kinder lernen bei entsprechend hoher Motivation ja sehr schnell - standen sie wieder vor meiner Haustür und rezitierten auf der Strasse vor unserem Haus, sehr zum mirgefälligen Erstaunen bei der an diesem Abend noch nicht anderweitig verabredeten Nachbarin, das “Gruselett” von Christian Morgenstern im gemischten Kinderchor:

Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwaruwolz,
die rote Fingur plaustert,
und grausig gutzt der Golz.

Da wo ich meine Kindheit verbracht hatte, gab’s im Herbst zwar keine Rüben und Kürbisse, dafür war ich mit dem Gruseln das ganze Jahr über vertraut. Mehr noch: früh bildete sich in meiner Phantasie der Zusammenhang zwischen Macht, Mythos & Grauen heraus, denn ich bin die ersten acht Lebensjahre direkt am Fuße des Untersberg bei Berchtesgaden aufgewachsen, der von einem großen unheimlichen Höhlensytem durchzogen ist, in dem der Sage nach Kaiser Karl der Große in einer palastartigen unterirdischen Halle auf seine Auferstehung und die letzte große Schlacht der Menschheit auf dem Walserfeld wartet, von den „Untersberger Mandln“ umsorgt, zwergenähnlichen Gestalten, die nicht nur dem Kaiser treu ergeben sind, sondern jeden reich beschenken, der den Eingang in ihr gruseliges Höhlen-Zwergenreich findet - ein sozusagen auf den Kopf gestelltes Halloween.

Wenn man also direkt vor so einem Höhleneingang lebt (und jeder hat ja irgendwie seinen eigenen), spukt das damit verbundene Grauen als Dauer-Subtext durch die natürliche kindliche Metaphysik und deshalb erscheint es mir auch im Nachhinein nicht verwunderlich, dass mich früh schon Edward Griegs “Hall of the Mountain-King” schwer beeinduckte; plastisch-greifbar wie in Klarträumen erschienen mir beim Hören die Sagenfiguren, die Höhle und das leichte Gruseln in dieser Musik dargestellt, einem Höhepunkt der Romantik mit Vorausweisungen zum Impressionismus.

Den Gestus des Grauens, des Unheimlichen dieses Stückerls haben die finnischen Cello-Hardrocker von “Apocalytica” entsprechend ihrem Genre in einem zeitgenössischen musikalischen Ausdruck adaptiert und aus aktuellen Gruselanlass gibt’s das nun hier zu hören.
Dabei nehm ich gern in Kauf, dass mancher hier zufällig vorbeisurfende Kultur-Bildungsbürger die Nase respektive die Ohren rümpfen mag über diese “Halloween-Musik”, über die Unverfrorenheit dieser ästhetischen Metamorphose, und wie Mißfelder gleich einen Angriff auf unserer kulturellen Traditionen und Werte vermutet; doch das Gegenteil ist der Fall, denn in dieser Performance zeigt sich, wie das Originalwerk durch “das schamlose Schwelgen im Glück der Nachahmung zu einer sinnlichen Gegenwärtigkeit aufersteht” und dass “die Kraft der Kunstwerke geheim stets noch von Nachahmung gespeist wird.” (Adorno, MM 145)





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Geschrieben von

oxnzeam

Notizen, Essays und Rezensionen zu Kultur, Medien, Literatur und Gegenwartsphilosophie

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